Man muss mit dem T-Shirt anfangen. Erzählt man von der Designerin Maria Grazia Chiuri und ihrem Aufstieg in der Welt der Mode, kommt man um seine Geschichte nicht herum. Es war das Model Nummer 18, das an diesem 30. September 2016 in ihm über den Pariser Laufsteg stakste. Wer in der Mode etwas gelten will, saß auf einer der Bänke, die man in den Garten des Musée Rodin gestellt hatte. Schließlich war es die erste Modeschau Chiuris für Dior, eine Marke, die der Inbegriff von Weiblichkeit ist – und von absolutem Luxus.

T-Shirts sind in dieser Welt nicht vorgesehen. "Dior ist keine T-Shirt-Marke", hatte Sidney Toledano, der mächtige CEO der Marke, einige Wochen vorher der gerade eben engagierten Designerin gesagt. Von deren Vorgänger, dem Belgier Raf Simons, hatte man sich nach nur einigen Saisonen überraschend getrennt. Arbeitsüberlastung hieß der offizielle Grund. Der Designer wollte die Kontrolle über das gesamte Image der Marke, der inoffizielle.

Dior-Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri begutachtet eine Kreation aus ihrer aktuellen Frühjahrskollektion.
Foto: Dior / Sophie Carre

Überredungskunst

Dazu muss man wissen, dass Dior so etwas wie ein französisches Nationalheiligtum ist. Wer immer an der Spitze des in den Nachkriegsjahren von einem der letzten Päpste der Mode, von Christian Dior, gegründeten Marke steht, hat es nicht nur mit einem überaus profitablen Milliardenunternehmen zu tun, sondern auch mit einem Stück französischer Identität. Ein unbedachter Schachzug und Profite und Image sind in Gefahr.

Raf Simons wollte mehr Handlungsspielraum – den er nicht bekam.

Und jetzt war da eine Modemacherin, die mit einem T-Shirt ins Rennen gehen wollte. Einem, auf dem zudem in großen Lettern prangte: "We should all be feminists".

Dazu sollte man noch eine zweite Sache wissen: Die Welt des Luxus ist nicht nur eine, in der man über so schnöde Kleidungsstücke wie ein T-Shirt die Nase rümpft, sondern auch eine, in der man nichts von Politik hören will. Man verkauft seine überteuerte Mode nämlich nicht nur an die feinen Damen im achten Pariser Arrondissement oder auf der New Yorker Upper East Side, sondern auch an saudische Prinzessinnen oder gelangweilte Gattinnen von zentralasiatischen Diktatoren.

"Es war ganz schön schwer, Sidney Toledano zu überreden, dieses T-Shirt herstellen zu lassen", bekannte Maria Grazia Chiuri nach ihrer Einstandsmodeschau. Vor den Augen der vielen modischen Scharfrichter hatte sie federleichte Tüllröcke mit applizierten Bienen gezeigt, strenge Lederkleider oder mit dem Namenszug der Marke versehene Bustiers. Die Berichte über die Show dominierte aber ein Kleidungsstück, jenes das von Model Nummer 18 getragen wurde.

"We shold all be feminists" – Es bedurfte einiger Überredungskunst, dieses T-Shirt herstellen zu lassen.
Foto: apa/afp/guillot

Erfinderin der It-Bag

Auch heute noch, drei Prêt-à-porter-, zwei Couture- und eine Cruise-Kollektion später, ist das "We should all be feminists"-T-Shirt jenes Kleidungsstück, mit dem man Chiuri ganz automatisch verbindet. Sicher, da war die berühmte Baguette-Tasche, die sie 1989 mit ihrem Designpartner Pierpaolo Piccioli bei Fendi entwarf und die als die erste It-Bag der Modegeschichte gilt, da sind die mit Nieten übersäten Rockstud-Schuhe und -Taschen, mit denen die beiden als Chefdesigner bei Valentino die Finanzen des Hauses sanierten, da sind tausende Accessoires und Kleidungsstücke mehr – solche Wellen wie das Feminismus-T-Shirt hat jedoch keines von ihnen geschlagen.

Was war geschehen? So genau kann das heute niemand mehr sagen, am wenigsten wohl Maria Grazia Chiuri selbst. Die 53-jährige italienische Designerin ist für eine Stippvisite nach London gekommen, in der Royal Albert Hall wird ihr der "Swarovski Award for Positive Change" verliehen. Ihre Augen sind wie immer dunkel umrandet, an ihren Fingern glitzert ein ganzes Heer von Silberringen.

Ihre Stimme bricht, als sie das vorbereitete Dankesschreiben vorliest, auch nach so vielen Jahren geht ihr das Englisch nicht so leicht von den Lippen. "Der Feminismus, mit dem ich mich schon so lange identifiziere, hat in unserer Gesellschaft endlich etwas zum Klingen gebracht", sagt sie.

Es sind Worte, die nicht sonderlich originell sind, in einem Umfeld, das von der gesellschaftlichen Wirklichkeit meistens nicht viel wissen will, halten aber manche den Atem an. Seit einem Jahr sitzt in den USA jemand auf dem Präsidentenstuhl, der sich als "Mösengrapscher" feiert, die #MeToo-Debatte ist mittlerweile auch in der Mode angekommen.

Selbst in der Welt der schönen Oberflächen ist Feminismus kein Wort mehr, bei dem die Leute automatisch zusammenzucken. Vor allem wenn man ihn so definiert, wie dies Maria Grazia Chiuri in einem schriftlichen Statement gegenüber dieser Zeitung tut: "Für mich bedeutet das Wort, den Zorn abzuschütteln und sich dem Dialog zu öffnen." Und schiebt dann hinterher: "Meine Dior-Kollektionen haben eine Diskussion entfacht. Dadurch habe ich verstanden, wie wichtig es ist, die Anliegen von Frauen ins Scheinwerferlicht zu rücken und Frauen zu ermuntern, über ihre Position in der Welt nachzudenken."

Es gibt wohl kaum jemanden, der bei solchen Sätzen nicht zustimmend nickt. Der Feminismus, für den Maria Grazia Chiuri steht, ist ein Wohlfühl-Feminismus. Ohne Ecken und ohne Schaum vor dem Mund. Für mehr weibliche Sichtbarkeit. Gerechte Entlohnung und gleiche Chancen. Die aktuelle Frühjahrskollektion eröffnete Chiuri mit Supermodel Sasha Piwowarowa, das Jeans und einen Ringelpulli mit der Frage "Why have there been no great women artists?" trug.

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Sasha Piwowarowa im Ringelpulli.
Foto: ap/mori

Zitate, die provozieren

Genauso wie beim Feminismus-T-Shirt, das einen Ted-Talk der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie aufgriff, handelt es sich auch diesmal wieder um ein Zitat, und zwar eines der feministischen Historikerin Linda Nochlin, die 1971 einen Essay mit dieser provokanten Frage titelte. Genauso gut hätte Chiuri ihre Schau natürlich auch mit der Frage "Why have there been no great women designer?" eröffnen können.

In der über 70-jährigen Geschichte von Dior ist die in Rom geborene Chiuri nämlich die erste weibliche Chefdesignerin des Modehauses. Vor ihr: von Gianfranco Ferré bis John Galliano – nur Männer. Neben ihr: von Karl Lagerfeld (Chanel) bis Nicolas Ghesquière (Louis Vuitton) – ebenso fast nur Männer. Die einzigen Pariser Modehäuser, die von Frauen geleitet werden, sind Givenchy (Claire Waight Keller), Chloé (Natacha Ramsay-Levi) und Hermès (Nadège Vanhee-Cybulski). Und das, obwohl Frauen wesentlich mehr Geld für Mode ausgeben als Männer. "Für mich ist es wichtig, immer wieder zu betonen, dass meine Arbeit als Frau für andere Frauen gedacht ist", schreibt Chiuri: "Es geht mir nicht nur darum, unsere Sichtbarkeit im Modesystem zu verstärken, sondern in der gesamten Gesellschaft."

Erst Fendi, dann Valentino, jetzt Dior: Chiuri ist im Olymp der Mode angekommen.
Foto: Dior / Sophie Carre

Konzept Weiblichkeit

Ein Label wie Dior scheint da besonders prädestiniert zu sein. Keine andere Marke wird so stark mit dem Konzept Weiblichkeit assoziiert – allerdings nicht immer in einem emanzipatorischen Sinn. Als Christian Dior 1954 seinen berühmten "New Look" vorstellte, war dies ein modischer Rückschritt in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Er verordnete Frauen den Atem abschnürende Wespentaillen und unbequeme Bauschröcke, was Konkurrentin Coco Chanel zu der Aussage verleitete, seine Frauen sähen aus wie "alte Sessel".

Von dieser Einschätzung hat sich das weltberühmte Pariser Modehaus bis heute nicht erholt. Nicht zuletzt unter John Galliano übertraf man sich selbst mit abenteuerlichen (Kostüm-)Kreationen. Mode für die mit beiden Beinen im Leben stehende Frau? Eben diese hat sich jetzt Chiuri an die Fahnen geheftet.

"Es geht mir darum, die Sichtbarkeit von Frauen nicht nur in der Mode, sondern in der gesamten Gesellschaft zu verstärken", sagt Maria Grazia Chiuri.
Foto: Dior / Sophie Carre

Bei ihrer jüngsten Modeschau trugen die Models Jumpsuits aus Denim, einfache Shirt-Kleider und Mary-Janes. Alles natürlich mit interessanten Details, in der allerbesten Qualität und mit astronomischen Preisschildern versehen. Keine Revolution für die Mode, für Dior aber ein gewaltiger Schritt – und zudem garniert mit einer starken Botschaft, die jeden Marketingstrategen vor Neid erblassen ließe. (Stephan Hilpold, RONDO, 30.1.2018)

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Ansichtssache Chanel- und Dior-Couture Frühling 2018