Wien – Magisch grünes Licht bricht durch die Oberfläche. Und doch ist diese Unterwasserwelt, durch die die Kamera zu Beginn von The Shape of Water gleitet, kein Meer, sondern eine gewöhnliche Wohnung. Möbel und Gegenstände schweben im Wasser, leuchtende Lampen gar, gerade so, als wären die hohen Räume eben noch bewohnt gewesen. Und tatsächlich taucht plötzlich eine Frau auf einem Bett auf, auch sie mitten im Raum schwebend. Schlafend. Träumend. Wie aus einem anderen Universum.

Zum Frühstück gibt es von Elisa (Sally Hawkins) für den gefangenen Amphibienmann gekochte Eier. Sein Auftauchen in einem geheimen, unterirdischen Labor beschwört bei den Kriegstreibern und Technokraten indes die alten Ängste vor dem Fremden.
Foto: Twentieth Century Fox

Doch wir schreiben die Sechzigerjahre. Die Reinigungsangestellte Elisa (Sally Hawkins) arbeitet in einem Hochsicherheitslabor der US-Regierung. Tagein, tagaus wischt sie mit ihrer Kollegin und einzigen Freundin Zelda (Octavia Spencer) Instrumente und Böden. Die eine stumm, die andere schwarz. Die weißen Männer hingegen, sie reden, diskutieren, streiten, machen Politik, säen Hass und verbreiten Furcht, als eines Tages der aus dem Amazonas gefischte Amphibienmann eingeliefert wird. Vor allem seine Atmungsorgane sind für die Wissenschafter und Militärs von Interesse, erhofft man sich doch im Wettrüsten mit den Sowjets einen entscheidenden Vorteil in der Raumforschung: America first.

In dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte, die sich zwischen Elisa und der Kreatur anbahnt, zwischen Monster und Mädchen, die ihren märchenhaften Vorbildern nicht so recht entsprechen wollen, stecken unzählige Referenzen: unmittelbar Jack Arnolds Science-Fiction-Klassiker Creature from the Black Lagoon, aber ebenso das Genre des Musicals, das die Musik von Alexandre Desplat mit nostalgischen Chanson- und Walzerklängen heraufbeschwört. Und unter Elisas und ihres schwulen Nachbarn Giles (Richard Jenkins) Wohnung erstreckt sich ein riesiger Kinosaal in leuchtendem rotem Plüsch, in dem der Monumentalfilm in seinen letzten Zügen liegt.

Gegen den Strich

Guillermo del Toro ist für seinen unkonventionellen Zugang zur Fantastik bekannt. Seit vielen Jahren versucht der bibliophile, US-mexikanische Filmemacher etwa als Langzeitprojekt, H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns zu realisieren. Sein moderner Vampirroman und die gleichnamige, nach seinem Drehbuch entstandene Fernsehserie The Strain (2014) bürsteten das Horrorgenre gegen den Strich – und bedienten dabei umso intensiver die alten Ängste vor dem Fremden, das man in sich selbst zu erkennen glaubt.

Vielleicht pflegt del Toro auch deshalb seinen Status als Außenseiter in Hollywood, weil sich seine Liebe zu den von der Gesellschaft Versteckten und Verachteten wie ein roter Faden durch sein Werk zieht. Del Toros Figuren stammen aus der Literatur, aus Comics, jedenfalls aus Parallelwelten, die sich unaufhaltsam mit der Wirklichkeit überlagern. In Hellboy (2004) ging eine solche bizarre Kreatur mit Kiemen, Schwimmhäuten und bläulicher Haut – gespielt vom ehemaligen "Schlangenmenschen" Doug Jones – auf Dämonenjagd. In The Shape of Water hat Jones die Rolle des gepeinigten und gefangenen Amphibienmanns übernommen, der zum Gejagten wird.

FoxSearchlight

Vor allem vor dem Zugriff des brutalen Sicherheitschefs Strickland, dem Michael Shannon die gewohnt dunklen Züge verleiht, möchte Elisa das Wesen retten. Strickland, autoritäres Familienoberhaupt und zugleich selbst Gefangener innerhalb der militärischen Hierarchie, bringt der Kreatur seine ganze Abscheu entgegen, weil er sich auch selbst mit elektrischem Folterstab in der Hand keinen Fehler erlauben darf. Und doch ist Strickland mehr als bloßer Antagonist, der sich hasserfüllt der ungehörigen und deshalb unerlaubten Liebe entgegenstellt: Er ist ein Produkt jener Gesellschaft, die im Nachkriegsamerika die Freiheit des Einzelnen propagiert und zugleich mit eiserner Disziplin unterdrückt.

Das Grün und das Grau

Del Toro schließt die mit einer strategisch angelegten Befreiungsaktion einhergehende Liebesgeschichte mit der Realpolitik der Sechzigerjahre kurz. Vieles erinnert hier an seinen in der Zeit der Franco-Diktatur spielenden Pan's Labyrinth (2006), nur dass Fantastik und den Realismus diesmal ganz eng miteinander verzahnt sind: die Außen- mit dem Unterwelt des Bunkers, das strahlende Grün des Wassers mit dem stählernen Grau des Labors, Elisas karg eingerichtete Wohnung mit dem luxuriösen Filmpalast, in den sich irgendwann das Wasser ergießt, weil dieses wie die Liebe unaufhaltsam strömt.

Der brutale Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon) lässt Elisa (Sally Hawkins) und ihre Kollegin Zelda (Octavia Spencer) nicht aus den Augen.
Foto: Twentieth Century Fox

The Shape of Water, bei den Filmfestspielen von Venedig vergangenes Jahr verdientermaßen mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, mangelt es seither nicht an Beschreibungen wie "magisch", "bildgewaltig" und "opulent". Doch irgendwann im Laufe dieses Films stellt sich die Frage, woher diese Bilder eigentlich stammen. Aus del Toros überbordender Vorstellungskraft? Vom dänischen Kameramann Dan Laustsen, der bereits Mimic (1997) und Crimson Peak (2015) für ihn fotografierte? Oder entstammen sie nicht eher einer kollektiven Fantasie, die del Toro mit persönlichen Erinnerungen und Reminiszenzen befeuert? Die Antwort lautet: von allen und allem etwas.

The Shape of Water ist ein Film, der seine Kunstfertigkeit offen zur Schau stellt. Das mag man als Widerspruch zur geheimnisvollen Attitüde, mit der del Toro seinen perfekt komponierten Film schmückt, kritisieren. Doch will er im Gegensatz zu Le fabuleux destin d'Amélie Poulain, mit dem er verglichen wird, dafür nicht bewundert werden. Denn das Fabelhafte liegt hier woanders: in der Überwindung jeder buchstäblich erdenklichen Grenze. Im festen Glauben, dass ohne Selbstliebe keine Empathie möglich sei. Das ist nicht rätselhaft oder gar fantastisch. Vielleicht ist genau das die Wahrheit. (Michael Pekler, 25.1.2018)