Fläschchen oder Brust? Nicht immer ist Stillen die einfachste und beste Option.

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Stillen gilt als die beste und natürlichste Ernährung für Säuglinge. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Kinder in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich zu stillen. Danach könne mit geeigneter Beikost begonnen werden, wobei das Kind bis zu 24 Monate lang oder darüber hinaus gestillt werden könne, so der Rat der WHO. Was aber, wenn Frauen – aus welchen Gründen auch immer – nicht stillen können oder wollen?

Die Soziologin Sunna Símonardóttir von der University of Iceland in Reykjavík hat sich Debatten zum Thema Stillen genauer angesehen. In ihrer Studie hat sie untersucht, wie dominante biomedizinische Diskurse über Säuglingsnahrung mit "guter Mutterschaft" verknüpft sind. Dazu hat sie 77 Interviews ausgewertet, die sie mit Frauen in Island führte, für die Stillen zum Problem wurde. Die Ergebnisse der Studie sind nun im wissenschaftlichen Journal "The Sociological Review" veröffentlicht.

"When breast is not best"

Die Stillraten in Island gehören zu den höchsten der Welt. Wie auch in anderen nordeuropäischen Ländern ist die Auffassung weit verbreitet, dass alle Mütter stillen sollten. "Was, du stillst nicht?" In einer Gesellschaft in der Stillen als soziale Norm gilt, reagiert das Umfeld wenig verständnisvoll auf nichtstillende Mütter. Frauen, die ihrem Baby das Fläschchen geben, werden oft vorwurfsvoll angesehen – nicht nur in Island.

"Jede Frau kann stillen", diese Botschaft ist in den Informationsbroschüren zum Thema allgegenwärtig. Und: Stillen ist die einfachste und natürlichste Art, einen Säugling zu ernähren. Viele Mütter haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht stillen. Hinzu kommt das Gefühl, versagt zu haben und sich erklären zu müssen, um feindselige Blicke anderer abzuwenden. Natürlich würden Frauen in Island nicht gezwungen werden zu stillen, sagt die Studienautorin. Aber: Der Begriff "Aufgeben" beim Stillen würde bedeuten, dass die Frau ihre Identität als "gute Mutter" verfehlt habe.

Stillen als allumfassendes Projekt

Eine Mutter, die nicht stillt, hat in diesem Deutungsraster ein "persönliches Manko". Zur Behebung des "Fehlers", so die Soziologin, werde Frauen nahegelegt, die Anweisungen von Gesundheitsexperten zu befolgen, um den "natürlichen" Milch erzeugenden Körper wiederherzustellen.

Die Erfahrungen nichtstillender Mütter zeigen, wie hier die binären Kategorien "natürlich" und "unnatürlich" zum Einsatz kommen und die Mutterrolle naturalisiert wird. "Für einige Frauen wird dieses Projekt des Stillens so allumfassend, dass für alles andere wenig Platz ist, da das Aufgeben keine legitime Wahl darstellt", schreibt Símonardóttir. Stattdessen werden Frauen angewiesen, mit den Stillversuchen fortzufahren, bis sie Erfolg haben oder zumindest vom medizinischen Personal "grünes Licht" erhalten, damit aufzuhören.

Was Väter tun können

Interessantes Detail: Väter würden in der Literatur über das Stillen meist fehlen. Wie die Studie zeigt, kann ihre Rolle aber entscheidend sein. Denn: "Väter müssen sich nicht mit den gleichen normalisierenden Diskursen auseinandersetzen wie Mütter, und ihre Identität als Väter ist nicht so eng mit der Rhetorik von 'guter Mutterschaft' oder wissenschaftlichen Wahrheiten verbunden", so die Studienautorin. Väter können Frauen also einen Ausweg bieten, indem sie die Regeln der Säuglingsnahrung offen hinterfragen und geteilte Verantwortung für die Ernährung des Säuglings übernehmen.

Stillen ist nicht für alle Frauen die einzige Option, resümiert Sunna Símonardóttir. Viele Frauen wollen stillen. Manche entscheiden sich dagegen. Andere können ihr Baby nicht ausreichend mit der Brust ernähren. Indem dominante Diskurse über das Stillen aber davon ausgehen, dass alle Frauen eine "natürliche" Fähigkeit zum Stillen haben, werden die Erfahrungen einer großen Anzahl von Frauen marginalisiert. Símonardóttir: "Diese Studie über isländische Mütter, die mit dem Stillen zu kämpfen haben, ist ein Versuch, die Stimmen derjenigen, die durch dominante Gesundheitsdiskurse zum Schweigen gebracht wurden, zu hören." (Christine Tragler, 31.1.2018)