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Methusalem unter den Kleinsäugern: Der aus Ostafrika stammende Nacktmull kann über 35 Jahre alt werden und verblüfft damit die Biologen.
Foto: AP Photo/WCS, Julie Larsen Maher

San Francisco / Wien – Unter den Modellorganismen – also jenen Tier- und Pflanzenarten, die von Forschern intensiv untersucht werden – nimmt der Nacktmull eine besondere Stellung ein. Das liegt weniger am eher hässlichen Äußeren der Tiere als an ihren erstaunlichen inneren Werten. Die in Wüstengegenden Ostafrikas beheimateten Kreaturen, deren auffälligste Merkmale ihre faltige rosarote Haut und ihre großen vorstehenden Zähne sind, gelten als die erstaunlichsten Überlebenskünstler unter den Säugetieren.

Kaum Schmerz, kaum Krebs

Nacktmulle können zum Beispiel bis zu 18 Minuten ohne Sauerstoff auskommen, Krebserkrankungen sind bei den Nagetieren extrem selten, und außerdem sind sie gegen die meisten Arten von Schmerz resistent. Während andere ähnlich kleine Nager wie Mäuse, die ebenfalls als Modellorganismen in Verwendung sind, zwei bis drei Jahre alt werden, haben Nacktmulle die fünf- bis zehnfache Lebenserwartung. Und das macht sie für die Alternsforschung besonders interessant.

Wie es der Nacktmull schafft, ohne allzu viel Sauerstoff auszukommen und was ihn sonst noch für die Wissenschaft so interessant macht.
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Dieses Interesse wird nach der jüngsten Studie über die kooperativen Koloniebewohner vermutlich noch weiter steigen. Denn Forscher um Rochelle Buffenstein vom kalifornischen Biotechnologieunternehmen Calico Life Sciences, das 2013 von Google in San Francisco gegründet wurde, zeigen im Fachblatt "eLife", dass der Nacktmull die Gompertz-Kurve der Sterbewahrscheinlichkeit zu ignorieren scheint, die für so gut wie alle Säugetiere gilt.

Verdoppelung des Sterberisikos

Der britische Mathematiker Benjamin Gompertz entwickelte bereits 1825 die nach ihm benannte Funktion, die unter anderem beschreibt, wie unser Sterberisiko mit dem Alter steigt: Beim Menschen zum Beispiel verdoppelt es sich nach dem 30. Lebensjahr alle acht Jahre. Mit Abänderungen beschreibt die Kurve auch die Entwicklung der Sterbewahrscheinlichkeit von erwachsenen Tieren.

Doch beim Nacktmull dürfte die Sache rätselhafterweise anders liegen. Jedenfalls legen das die Daten von Rochelle Buffenstein nahe, die seit mehr als 30 Jahren an den Tieren forscht und über die Lebensdaten von 3300 Nacktmullen akribisch Buch geführt hat. Laut ihren Aufzeichnungen blieb die Sterbewahrscheinlichkeit der Tiere nämlich über große Teile ihres Erwachsenenlebens konstant und betrug an jedem Tag etwa 1,8 zu 10.000, ja, sie ging mit den Jahren sogar ein wenig zurück.

Wie ist die Anomalie erklärbar?

Wie lässt sich diese Anomalie erklären? Beruht sie auf Fehlern bei der Datensammlung? Das könnte eine Rolle spielen: Denn nur knapp 50 Tiere in der Studie wurden über 15 Jahre alt, da viele in andere Labors gebracht oder getötet wurden. (Buffensteins ältester Nacktmull ist übrigens 35 Jahre alt.) Andererseits reichen 100 Tiere, um die Gompertz-Kurve bestätigt zu sehen.

Besondere Erbgutreparatur

Forscher, die nichts mit der Studie zu tun hatten und vom Magazin Science dazu befragt wurden, halten die Ergebnisse dennoch für höchst bemerkenswert. Die Vermutung, dass Nacktmulle offenbar über eine besonders effiziente Erbgutreparatur und über viele sogenannte Chaperon-Proteine verfügen, die bei der korrekten Eiweißentfaltung helfen, könnte dadurch eine Bestätigung erfahren.

Zwar sei es noch früh, konkrete Schlüsse zu ziehen, so die Biologen. Sie vermuten aber, dass auch beim Nacktmull Zellalterung stattfindet – nur halt sehr viel später als bei vielen anderen Säugetieren. (Klaus Taschwer, 30.1.2018)