Frage: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) haben am Mittwoch bekanntgegeben, ein Verfahren zur Auflösung der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt einzuleiten. Geht das so einfach? Das Vereinsrecht ist doch ein Menschenrecht.

Antwort: Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in der Menschenrechtskonvention verankert ist. Das heimische Versammlungsrecht sieht allerdings in Paragraf 29 sehr wohl vor, dass ein Verein mit Bescheid aufgelöst werden kann, "wenn er gegen Strafgesetze verstößt, seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschreitet oder überhaupt den Bedingungen seines rechtlichen Bestands nicht mehr entspricht".

Werden strafbare Handlungen festgestellt, dann könnte die Burschenschaft am Ende aufgelöst werden.
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Frage: Kann die Vereinsbehörde, in diesem Fall die Landespolizeidirektion Niederösterreich, nun erst aktiv werden, wenn jene Burschenschafter, die verdächtigt werden, gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen zu haben, strafrechtlich verurteilt wurden?

Antwort: Nein. Wie der auf Vereinsrecht spezialisierte Anwalt Thomas Höhne erklärt, muss die Vereinsbehörde autonom beurteilen, ob gegen Strafgesetze verstoßen wurde. Diese Rechtsansicht vertreten auch mehrere Experten des Justizministeriums, die nicht genannt werden wollen. Theoretisch könnte die Landespolizeidirektion also schon vor einer gerichtlichen Verurteilung den Verein Germania auflösen. Natürlich muss aber auch sie nachweisen, dass strafbares Verhalten vorliegt. De facto ist daher wohl davon auszugehen, dass die Behörden eng zusammenarbeiten werden.

Innenminister Herbert Kickl (rechts) wies am Mittwoch über seinen Generalsekretär die Landespolizeidirektion Niederösterreich an, ein Auflösungsverfahren gegen die Germania einzuleiten.
apa

Frage: Hätte die Germania Möglichkeiten, sich gegen die Auflösung zu wehren?

Antwort: Wie in jedem Verwaltungsverfahren könnte sie sich an das Landesverwaltungsgericht wenden. In weiterer Folge wäre auch ein Gang zum Verfassungsgerichtshof sowie zum Menschenrechtsgerichtshof möglich. Die Burschenschaft ließ am Mittwoch offen, ob sie im Fall des Falles berufen würde. Was auch nicht übersehen werden darf: Vereine können leicht gegründet werden, die Germania-Mitglieder könnten also jederzeit einen neuen Verein ins Leben rufen.

70 Mitglieder zählt die Burschenschaft Germania mit Sitz in Wiener Neustadt. Der prominenteste war bis vor Kurzem Udo Landbauer – die Unterstützung von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache genießt er immer noch.
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Frage: Kommen behördliche Auflösungen von Vereinen oft vor?

Antwort: Das Innenministerium war für den STANDARD dazu vorerst nicht erreichbar. Laut Anwalt Thomas Höhne kommen sie "eher selten" vor, er kennt aber durchaus einige Fälle. So wurde ein Verein des rechtsextremen Blood-and-Honour-Netzwerks aufgelöst, weil dieser zur Verbreitung strafrechtlich relevanter Ideologie genutzt wurde. Ein anderes Beispiel: Ein Vereinsobmann wurde wegen schweren Betrugs verurteilt; da die Behörden davon ausgingen, dass der Verein nur zum Zweck des Betrugs gegründet worden war, wurde dieser aufgelöst. Auch die Burschenschaft Olympia wurde 1961 bereits einmal wegen Verstrickungen in Bombenanschläge in Südtirol behördlich aufgelöst.

Das umstrittene Liederbuch der Verbindung Germania, das 1997 in dritter Auflage neu aufgelegt wurde.
Foto: Kurier / Jürg Christandl

Frage: Wie weit sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt schon fortgeschritten?

Antwort: Wie berichtet wird gegen vier Personen ermittelt. Wie am Dienstag bekannt wurde, war der Illustrator des Buches ein hoher Beamter in Wiener Neustadt und SPÖ-Mitglied (mittlerweile wurde er ausgeschlossen). Bei Hausdurchsuchungen wurden vergangene Woche 19 Liederbücher und zwei Aktenordner der Burschenschaft sichergestellt. Die Aktenordner werden noch vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ausgewertet, in den Liederbüchern waren laut dem Behördensprecher Erich Habitzl alle NS-verherrlichenden Passagen geschwärzt.

Zur Erinnerung: Ein Lied enthält in Anspielung auf die Vergasung von sechs Millionen Juden unter der Nazi-Diktatur während des Zweiten Weltkriegs die Zeilen "Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: 'Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million'" und "Da schritt in ihre Mitte ein schlitzäugiger Chines': 'Auch wir sind Indogermanen und wollen zur Waffen-SS'".

Die schlagende Burschenschaft Germania soll nun von der Vereinsbehörde aufgelöst werden. Ein Kenner der Burschenschaft hat der ZIB 2 ein Interview gegeben, in dem er erzählt, wie es dort zugeht.
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Frage: Welche Ermittlungsschritte werden nun gesetzt?

Antwort: Das Bundeskriminalamt wurde gebeten, eine chemische Analyse durchzuführen, damit geklärt wird, wann die Schwärzungen vorgenommen wurden.

Frage: Warum ist es relevant, wann geschwärzt wurde?

Antwort: Das hat mit den Verjährungsfristen im Verbotsgesetz zu tun. Infrage kommt voraussichtlich Paragraf 3g des Verbotsgesetzes, der eine Art Generalklausel für alle Arten von Wiederbetätigung ist, die nicht nach anderen Bestimmungen strafbar sind. Die Strafdrohung beträgt ein bis zehn Jahre, allerdings gibt es eine Verjährungsfrist von zehn Jahren.

Kann also nicht nachgewiesen werden, dass die Schwärzungen jünger als zehn Jahre sind, oder bestätigt niemand, dass die erwähnten Liedpassagen in jüngerer Vergangenheit gesungen wurden, wird eine strafrechtliche Verurteilung schwierig. Allein der Druck des Buches im Jahr 1997 dürfte jedenfalls zu wenig für eine Verurteilung nach dem Verbotsgesetz sein.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stellt sich weiter hinter seinen niederösterreichischen Spitzenkandidaten Udo Landbauer.
apa

Frage: Was passiert jetzt mit Udo Landbauer? Immerhin war er stellvertretender Obmann des Vereins.

Antwort: Das Verfahren nach dem Vereinsgesetz richtet sich einzig gegen den Verein als Rechtsperson, nicht gegen seine Mitglieder oder Funktionäre. Zu den vier Mitgliedern, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, gehört Landbauer, der bei der niederösterreichischen Landtagswahl FPÖ-Spitzenkandidat war, nicht.

Frage: Wird Landbauer jetzt Landesrat?

Antwort: Eher nicht, weil Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Zusammenarbeit mit ihm ausgeschlossen hat. Als wahrscheinlichster Kandidat gilt Klubobmann Gottfried Waldhäusl. Eine endgültige Entscheidung über die Postenbesetzung trifft die FPÖ am Donnerstagnachmittag.

Für Kanzler Sebastian Kurz sind die niederösterreichischen Vorkommnisse einfach nur "widerwärtig".
apa

Frage: Was sagt die Regierungsspitze zum Fall Landbauer?

Antwort: ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz war am Mittwoch in seiner Wortwahl eindeutig. Er forderte, dass sowohl strafrechtliche als auch politische Konsequenzen gezogen werden. Die Linie von Landeshauptfrau Mikl-Leitner, nicht mit Landbauer in der Landesregierung zusammenzuarbeiten, unterstütze er zu "100 Prozent".

Auf die Frage, ob sich Landbauer ganz aus der Politik zurückziehen beziehungsweise aus der Partei ausgeschlossen werden soll, ließ er indirekt seine Meinung durchklingen: "Sie können sich vorstellen, dass ich für mich in der ÖVP weiß, wie ich die Entscheidung treffen würde", sagte Kurz, der auch darauf verwies, dass seine Partei im Vorjahr Funktionäre der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft, die in Whatsapp- und Facebook-Gruppen NS-verherrlichende und antisemitische Postings geteilt hatten, sofort ausgeschlossen habe.

Als Regierung habe man die Verantwortung, alle Möglichkeiten gegen Antisemitismus auszuschöpfen, so Kurz. Die niederösterreichischen Vorfälle bezeichnete er als "widerwärtig", hier dürfe man "weder zu- noch wegschauen". Daher begrüße er auch die von FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache angekündigte Historikerkommission, die sich der Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Lagers widmen soll.

Frage: Und was ist mit Strache? Steht er noch immer zu Landbauer?

Antwort: Ja. Auch er grenzt sich zwar seit Tagen bei jeder Gelegenheit vom Antisemitismus ab und machte auch in seiner Rede beim Akademikerball klar, dass seine Partei nichts mit Rassisten zu tun haben wolle, der FPÖ-Chef glaubt allerdings noch immer den Worten Landbauers, nichts von den Liedtexten gewusst zu haben. Die politische Verantwortung müssten all jene übernehmen, "die sich etwas zuschulden kommen ließen", so Strache. Landbauer habe aber glaubhaft versichert, nicht verantwortlich zu sein, daher solle man keine "Vorverurteilungen vornehmen". Nicht einmischen will er sich in die niederösterreichischen Personalfragen: "Ich werde dem nicht vorgreifen." (Günther Oswald, Sebastian Fellner, 31.1.2018)