Eine moderne künstlerische Interpretation eines skythischen Fürstenpaars in Lebensgröße kann in der tuwinischen Hauptstadt Kyzyl am Ufer des Jenissei betrachtet werden.

Foto: T. Richter

Blick über einen Owaa auf den Jenissei und das West-Sajan-Gebirge.

Foto: A. Pollak

Eine seltene Begebenheit: Mehrere Grabhügel werden gleichzeitig durch Archäologen gegraben.

Foto: D. Breineder

Dem Wasser der Biberquelle wird heilende Wirkung nachgesagt.

Foto: A. Pollak

Im Gräberfeld Krasnaja Gorka wurden Kurgane in verschiedenen Formen und Größen angelegt.

Foto: T. Loitfelder

Reiter und Jurten prägen auch heute noch die Landschaft in Tuwa.

Foto: D. Breineder

Mit Sibirien verbindet man zumeist eisige Kälte und ein hartes Leben. Etwa 5.000 Kilometer von Österreich entfernt, ist es auch heute noch Habitat von Rentier, Wolf und Adler. Weniger bekannt ist, dass diese Region in Bezug auf die Erhaltungsbedingungen archäologischer Hinterlassenschaften im Boden ein Paradies für Archäologen darstellt. Erst unlängst wurde die Entdeckung eines wohl bis heute ungestörten skythischen Riesengrabhügels aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. bekanntgegeben. Bereits drei Jahre zuvor entdeckten zwölf Archäologiestudenten in Wien diese Region für sich und beschlossen, gemeinsam an einer russischen Expedition mitzuwirken. Vier von ihnen verschlug es in die Region Krasnojarsk, acht in die Republik Tuwa.

Die Expedition

Tuwa ist eine autonome Republik an der russischen Grenze zur Mongolei, die bis heute eine schwer zugängliche und weitgehend unberührte Region mit spärlicher Infrastruktur ist. Das Kyzyl-Kuragino-Bahnprojekt sollte das ändern und die Hauptstadt Kyzyl mit dem 400 Kilometer entfernten Abakan verbinden.

Entlang der gedachten Baustrecke werden von der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg Notgrabungen durchgeführt – unterstützt von der Russischen Geografischen Gesellschaft im Rahmen der "Kyzyl-Kuragino-Expedition" mit freiwilligen russischen und internationalen Studenten.

Land und Leute

Das Camp lag etwa 20 Kilometer westlich der tuwinischen Hauptstadt Kyzyl in direkter Nachbarschaft zum großen Strom Jenissei. Der Jenissei ist der zweitgrößte Fluss der Russischen Föderation und durchfließt Tuwa von Westen nach Osten, teilt das Land in eine von Gebirgslandschaften dominierte nördliche Hälfte und in eine hügelige Steppenlandschaft im Süden. Die hohen Berge des Nordens sind mit tiefen Gebirgstälern, mit schmalen grünen Wiesen und kleinen Wäldchen durchzogen. Eines dieser Täler ist in der heutigen Literatur auch als "Valley of the Kings" bekannt und beheimatet eine alte Begräbnisstätte der Skythen. Das Reitervolk lebte etwa zwischen dem 9. und 3. Jahrhundert v. Chr. in der eurasische Steppe. Berüchtigt sind sie heute vor allem durch ihre hinterlassenen Grabhügel und das "Gold der Skythen". Mehrere Tausend dieser Kurgane liegen alleine in der Region Tuwa.

Bis vor etwa 80 Jahren pflegten die Tuwiner noch einen althergebrachten nomadischen Lebensstil und wohnten mit ihren Familien in traditionellen Jurten. Erst aufgrund der kommunistischen Ideen wurden Städte gebaut und die Kinder zur Schule geschickt. Nach der Auflösung der Sowjetunion entspannte sich die Lage wieder, und die tuwinische Kultur und Lebensweise erblühte von Neuem.

Buddhistisches Turkvolk

Die Landschaft ist von diversen kleinen und gelegentlich auch größeren Gebetsstellen geprägt. Beinahe auf jeder Bergspitze lassen sich Totems aus Steinhaufen mit aufgesetzten Tierschädeln finden. Diese Gebilde werden in der Landessprache als Owaa bezeichnet und sind Opferstellen für den Schutzgeist des Berges und des darunter liegenden Tales. Der alltägliche Glaube der Tuwiner wird auch heute noch stark vom traditionellen Schamanismus beeinflusst.

Abgesehen vom Schamanismus bekennen sich die meisten Tuwiner zum Buddhismus. Seit dem 8. Jahrhundert erfreut sich diese Religion großer Beliebtheit. Eine der wichtigsten buddhistischen Pilgerstätten ist die Biberquelle in der Nähe von Kyzyl. Die kleine Quelle mündet direkt in den großen Jenissei, und ihr Wasser soll von jeglichen Krankheiten heilen. Auf Anraten von Einheimischen sollte es aber nicht getrunken werden, da das zu schweren Erkrankungen führen könne.

Archäologische Ausgrabung

Die kleine Zeltstadt, in der wir Freiwilligen untergebracht waren, hatte bis auf einen Markt alles zu bieten, was man für einen Monat Aufenthalt in der Wildnis benötigte. Als Schlafplätze dienten insgesamt sechs große Mannschaftszelte mit integrierten Öfen für die kühlen Nächte. Pünktlich um 6.45 Uhr wurden die Campbewohner über Lautsprecher zum Morgensport geweckt. Nach dem Frühstück ging es, in zwei Busse gepfercht, an den bewaffneten Wachleuten vorbei zu den Ausgrabungsstellen.

Die Ausgrabung fand nur wenige Kilometer vom Lager entfernt statt. Neben nicht mehr genutzten Stolleneingängen im Berghang, verfallenen Gebäudekomplexen und Abfallhalden von neuzeitlicher Kohlebergbautätigkeit stachen vom ersten Moment an die allgegenwärtigen Kurgane in unterschiedlichen Formen und Größen ins Auge. Wie uns die Archäologen der Universität St. Petersburg mitteilten, zieht sich diese Bestattungsform in der Region ab der Bronzezeit durch die Jahrtausende, sogar mit gelegentlicher Wiederverwendung im 11. Jahrhundert Die meisten Kurgane auf diesem Areal bestanden aus einem äußeren Ring in Form einer niedrigen Steinmauer oder einzeln aufgestellten größeren Steinen und dem eigentlichen Grabhügel mit einer Kammer aus Stein oder Holz für die Grablegung und darüber aufgeschüttetem Erdreich, bedeckt von Steinen.

Meist leere Kurgane

Die Forschungsfragen der Ausgrabungen 2015 drehten sich vorrangig um Aufbau und Konstruktion der Steinhügelgräber. Daher wurde zuallererst das lockere Erdreich auf den Steinen, danach verstürzte und deplatzierte Steine entfernt, um der ursprünglichen Konstruktion möglichst nahe zu kommen. Dabei wurden zwei Stege kreuzförmig über dem Grabhügel stehen gelassen, um die sedimentierten Profile zu erhalten. Erst nach ausführlicher fotografischer Dokumentation für Fotogrammetrie und dreidimensionale Modelle wurde die mittig liegende Grabkammer geöffnet und die Stege entfernt. In den meisten Fällen war diese allerdings leer. Die Kurgane sind hier, vor allem durch ihre deutliche Sichtbarkeit, größtenteils bereits nicht lange nach ihrer Errichtung vollständig beraubt worden. In den Fällen, in denen noch Knochen, Metall, Holz oder anderes organisches Material gefunden werden konnte, war die Erhaltung jeglicher Funde allerdings exzellent.

Zusätzlich zu den Grabungsstellen gab es noch eine eigene Baracke für die Fundaufbereitung. Zwei Restauratoren und eine Anthropologin waren dort für die grobe Restauration und Auswertung der Funde zuständig. Zusätzlich hatten noch zwei von uns die Möglichkeit, bei dieser Arbeit mitzuwirken. Neben den eher spärlichen Funden auf der aktuellen Grabungsstelle gesellten sich noch Funde aus der vorjährigen Grabungskampagne und einige Objekte aus dem Nationalmuseum in Kyzyl hinzu. Es bestand somit die einmalige Möglichkeit, wertvolle Funde aus ganz Tuwa selbst in Augenschein zu nehmen. Zu den täglichen Arbeiten im Labor gehörte neben der Rekonstruktion von Keramikobjekten auch die Katalogisierung der Funde. Das trockene Klima begünstigt den Erhalt vieler organischer Hinterlassenschaften, die die Reise nach St. Petersburg ohne das Zutun eines Restaurators nicht überstehen würden.

Do swidanja!

Vieles geschah anders als geplant, doch kehrten wir mit sehr wertvollen Erfahrungen nach Hause. So danken die Mitglieder des österreichisch-türkischen Kontingents der Russischen Geografischen Gesellschaft für die Einladung zur Teilnahme an der Expedition und ganz besonders den Archäologen der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg. Ähnlich der Expedition scheint auch bei dem Bahnbauprojekt nicht alles streng nach Plan zu verlaufen. Das Bauprojekt wurde 2017 offiziell eingestellt und mit ihm auch die archäologischen Notgrabungen. Somit geht auch die Kyzyl-Kuragino-Expedition nach fünf Jahren zu Ende. Vielleicht ist das auch ganz gut, denn ohne das Bahnbauprojekt bleibt Tuwa weiterhin, was es ist: eine der letzten urtümlichen Regionen der Erde.

Der Erfahrungsbericht des Teams in Krasnojarsk erscheint als nächster Archäologieblog-Beitrag! (Daniel Breineder, Thomas Loitfelder, Fiona Poppenwimmer, 1.2.2018)