Umweltzerstörung? Ressourcenknappheit? Überbevölkerung? Norwegische Forscher haben eine Antwort: Wir schrumpfen alle Menschen auf zwölf Zentimeter Körpergröße, dann gibt es genug Platz für alle. Science-Fiction? Ja, es handelt sich um den Plot des aktuellen Films Downsizing mit Kristen Wiig und Matt Damon.

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"Miniaturisierung" als Lösung gegen Überbevölkerung? Paul Safranek (Matt Damon) glaubt im Film Downsizing daran.
Foto: ap/Paramount Pictures

Die Menschheit schrumpfen

Die Themen Überbevölkerung und Flucht sind omnipräsent – ebenso wie das vorherrschende Narrativ: Das Boot ist voll. Wir können zwar keine Menschen auf zwölf Zentimeter schrumpfen, aber wir müssen unbedingt die Menschheit schrumpfen. Nur so sei der Wohlstand für alle möglich. Nur so könnten wir die Umweltkatastrophe verhindern. Bereits 1968 behauptete der Schmetterlingsforscher Paul Ehrlich in seinem vielbeachteten Buch Die Bevölkerungsbombe, dass auf der Erde nur Platz für rund 1,2 Milliarden Menschen sei. Und der einflussreiche CNN-Gründer Ted Turner – der Millionen US-Dollar in Kampagnen investiert, die den Bevölkerungsrückgang anstreben – fordert "eine Bevölkerung von weltweit 250 bis 300 Millionen Menschen, also ein Rückgang um etwa 95 Prozent, das wäre ideal".

Im Jahr 1974, während der Ölkrise, schrieb Henry Kissinger das bis 1989 geheim gehaltene National Security Study Memorandum 200. "Das oberste Gebot der US-Außenpolitik ist die Bevölkerungsreduktion – in anderen Ländern", notierte Kissinger. Die USA hatten Angst vor einem Machtverlust gegenüber einer steigenden Zahl von Erdbewohnern außerhalb ihrer Landesgrenzen – und parallel dazu hatten sie Angst vor einer vermehrten Zuwanderung innerhalb ihrer Landesgrenzen. Die wachsenden Massen könnten "leicht dazu überredet werden, die rechtmäßigen Institutionen der Regierung anzugreifen – oder das Eigentum des 'Establishments', der 'Imperialisten' und der multinationalen Konzerne". Kissinger notierte außerdem: "Die US-Ökonomie bedarf großer und steigender Mengen mineralischer Bodenschätze von außerhalb, insbesondere von den weniger entwickelten Ländern". Kissinger forderte in dem Memorandum eine globale Kampagne, gesteuert über Massenmedien, Schulbildung, Lebensmittelverknappung und andere politische Zwangsmaßnahmen, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen. Vor allem "Nahrungsmittel" und deren Verteilung sollten als "Werkzeug nationaler Machtausübung" genutzt werden.

Eine Milliarde Menschen hungert

Derzeit leben auf der Erde rund 7,6 Milliarden Menschen, eine Milliarde hungert. Ein Drittel der Menschheit ist nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt (hidden hunger). Doch angesichts der enormen Produktivität in den Industriestaaten könnte man ohne weiteres zwölf Milliarden Menschen ernähren, wie der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, betont. Dennoch sterben täglich über 57.000 Menschen an Hunger. Und die Ursachen hierfür liegen nicht einfach in der angeblichen Überbevölkerung.

Früher haben die europäischen Kolonialherren die Menschen des globalen Südens ausgeraubt, ermordet, zwangschristianisiert, versklavt und in die Schuldknechtschaft getrieben. Sie haben beliebige Grenzlinien über die Landkarte Afrikas gezogen, die noch immer für Konflikte sorgen. Heute überschwemmt die EU den afrikanischen Markt mit Billigfleisch und anderen Agrarprodukten, während die dortigen Märkte den Bach runtergehen und die Menschen weiter verarmen. Dabei handelt es sich nicht nur um die häufig zitierten, tiefgekühlten Hähnchenreste, sondern auch um die großen Milchüberschüsse der EU: Die Milch wird in Europa in ihre Bestandteile zerlegt und wandert als fat filled milk powder nach Afrika. In den afrikanischen Molkereien wird das Fett der zuvor entzogenen Butter durch billiges Palmfett ersetzt und dann mit dem Magermilchpulver vermengt. Gleichzeitig kaufen Nestlé, Campina, Danone und andere Lebensmittelkonzerne dutzendfach afrikanische Molkereien auf, so dass der Preisdruck weiter steigt: Die zusammengepanschte Milch ist um ein Drittel günstiger als die Frischmilch der afrikanischen Kleinbauern, die zunehmend in Bedrängnis geraten: In westafrikanischen Ländern wie Burkina Faso lebt über ein Drittel der Bevölkerung von der Viehhaltung.

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Vor einem Jahr in Pretoria, Südafrika: Arbeiter protestieren gegen Billigfleisch aus der EU.
Foto: ap/Themba Hadebe

Reich an Rohstoffen, dennoch arm

Gegen diesen Freihandel, bei dem afrikanische Staaten per Schuldknechtschaft genötigt werden, keine Einfuhrzölle zu erheben, entpuppen sich auch internationale Gesetze und Vereinbarungen als wirkungslos. Im ersten Artikel des UN-Sozialpakts von 1966 heißt es: "In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden". Tatsächlich? Warum ist dann Afrika, das über 80 Prozent der weltweiten Cobalt-, Bauxit- und Goldvorkommen verfügt, so bitterarm? Ausländische Konzerne und Industriestaaten kaufen hektarweise Anbauflächen, Minen und Wasserquellen und entreißen den Millionen Kleinbauern damit die Lebensgrundlage. Angebaut wird beispielsweise Soja – nicht als Nahrungs-, sondern als Futtermittel, um den Hackfleischnachschub in westlichen Supermärkten zu garantieren. Die EU subventioniert diesen Irrsinn – ebenso wie den Anbau von Palmöl, das seinen Weg in Biosprit, Tiefkühlpizzas und Shampoos findet, während gleichzeitig der Regenwald abgeholzt wird.

Suriya Moorthy, Berater für Agrarinvestitionen und seit 40 Jahren im Palmölbusiness, rechnet im Dokumentarfilm Landraub vor: "Mit 100 Millionen US-Dollar können Sie sich eine Plantage mit 10.000 Hektar kaufen. Mit dem heutigen Hybrid-Saatgut für Palmen können Sie bereits nach 24 Monaten mit der Ernte beginnen. Im dritten Erntejahr können Sie 30 Tonnen pro Hektar erzielen. Das ist eine ganze Menge. Grob gesprochen verdienen Sie jedes Jahr 38 bis 40 Millionen Dollar. Jedes Jahr! Ich finde, das ist sehr gut. Sie werden lächeln, wann immer Sie Ihre Bank besuchen".

Landraub mit deutscher Beteiligung

Afrika verfügt über ein Viertel der weltweit kultivierbaren Ackerflächen – und könnte sich damit theoretisch selbst ernähren. Doch in Sierra Leone beispielsweise befinden sich über 40 Prozent der Ackerflächen in ausländischem Besitz; in Mosambik sind es 29 Prozent. Weltweit wurden bislang 50 Millionen Hektar Land an ausländische Investoren verkauft, davon rund die Hälfte in Afrika. Die Dunkelziffer des weltweiten Landraubs liegt Schätzungen zufolge bei 240 Millionen Hektar. China und Saudi-Arabien kaufen halb Afrika leer. Deutsche Unternehmen wie Acazis, die Neumann Kaffee Gruppe, Enercon, Tönnies und vor allem die Deutsche Bank sind an diesem Landraub beteiligt. Länder wie Äthiopien, wo seit über 30 Jahren Hungersnot herrscht, erhalten hochverzinste Kredite von der Weltbank, von EU-Staaten und von Saudi-Arabien unter der Bedingung, dass sie ihre Ackerflächen für 100 Jahre an ausländische Investoren verpachten. Während in Äthiopien sechs Millionen Menschen hungern, werden dort Premium-Reis, Kaffee und Palmöl für den globalen Norden angebaut.

Jede Nacht dringen europäische und chinesische Fischtrawler illegal in die Hoheitsgewässer des Senegal ein und rauben den Menschen ihre wichtigste Nahrungsquelle. Ein einziger Trawler holt binnen 24 Stunden über 200 Tonnen Fisch aus dem Meer – dafür muss ein senegalesischer Fischer über 50 Jahre auf Beutefang gehen. Die EU-Grenzpolizei Frontex sollte besser die illegalen Fangflotten der europäischen Großkonzerne überwachen – und nicht Flüchtlinge "abwehren", die nämlich deshalb fliehen müssen, weil Europa ihnen die Lebensgrundlage raubt. Zudem ist der Senegal einer von 14 afrikanischen Staaten, die den CFA-Franc als Währung haben. Der CFA-Franc wurde 1945 von den französischen Kolonialherren eingeführt – und dient bis heute als neokoloniales Kontrollinstrument: Die Währung ist starr an den Kurs des Euro gekoppelt, was einer selbstbestimmten Wirtschaft entgegensteht. Die 14 Staaten – von denen sieben zu den ärmsten Ländern der Welt zählen – sind verpflichtet, 50 Prozent ihrer Geldreserven bei der französischen Nationalbank einzulagern. Auf dieses Operationskonto haben die 14 Staaten keinen Zugriff, Frankreich aber investiert die afrikanischen Geldreserven an der Pariser Börse und zieht daraus Gewinne.

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Ein einziger Trawler holt binnen 24 Stunden über 200 Tonnen Fisch aus dem Meer. Ein senegalesischer Fischer braucht dafür 50 Jahre.
Foto: REUTERS/Holly Pickett

Wirtschaftssystem der Ungleichheit

Unsere sogenannten Handelsüberschüsse, gepriesen von Politik und Medien, sind deren Handelsdefizite, schließlich haben wir ein Wirtschaftssystem, das auf Ungleichheit und Konkurrenz setzt. Die Konzerne des globalen Nordens bereichern sich am Desaster des globalen Südens. Und wer Armut und Ausbeutung sät, wird Massenflucht ernten. Aber frei zirkulieren dürfen in der globalisierten Welt nur Devisen und Waren – wollen sich die Menschen ebenso frei bewegen, stoßen sie schnell auf Stacheldraht und Passkontrollen.

In seinem Bestseller Inferno schreibt Dan Brown stellvertretend: "Ozonschwund, Wassermangel, Umweltverschmutzung – das alles sind nicht die Krankheiten, sondern ihre Folgen! Die Krankheit ist die Überbevölkerung". Dieser Narrativ der Stammtische ist nichts anderes als eine Opferschelte: Schuld ist dort nie die sakrosankte Marktwirtschaft an der Zerstörung von Menschenleben und Natur – schuld seien die Menschen selbst aufgrund ihrer bloßen (zu zahlreichen) Existenz.

Hohe Geburtenrate ist Reaktion auf Armut

Die Hungersnot in Afrika hängt nicht mit der angeblichen Überbevölkerung zusammen, sondern mit der neokolonialen Wirtschaft. Würden in Afrika nicht wie derzeit 1,2 Milliarden, sondern 500 oder 300 Millionen Menschen leben – sie müssten vermutlich ebenso unter Hungersnöten und Warlords leiden. Die hohe Geburtenrate in Afrika ist primär keine Ursache von Armut, sondern eine Reaktion auf Armut. Die Familien in diesen Ländern sind auf zahlreiche Kinder schlichtweg angewiesen, weil sie ansonsten keine Altersvorsorge haben. Wer keine Kinder hat und alt und schwach wird, kann sich in kein Sozialsystem retten. Natürlich benötigen die Menschen des globalen Südens auch ganz simple Dinge wie Verhütungsmittel und Aufklärungsmaterial – angesichts von weltweit 74.000.000 ungewollten Schwangerschaften pro Jahr. Gleichsam sind Kondome nur eine mechanische Lösung für ein an sich soziopolitisches Problem.

Selbstverständlich können auf der Erde nicht 20 Milliarden Menschen leben – schon gar nicht im westlichen Lebensstil. Die Ressourcen und der Platz sind ja tatsächlich begrenzt. Doch die jährliche Wachstumsrate flaut ohnehin ab und liegt derzeit bei 1,09 Prozent, 1970 waren es noch 2,07 Prozent und 2100 soll sie bei 0,09 Prozent fast stagnieren. Zwar wird die absolute Zahl der Menschen bis zur Mitte des Jahrhunderts erst einmal zunehmen, aber von einem ungebremsten Wachstum kann keine Rede sein. So oder so ist es zynisch, den globalen Süden für alles Elend verantwortlich zu machen und dessen Länder obendrein als "Dreckslöcher" zu bezeichnen – wie zuletzt US-Präsident Trump, der damit implizierte, dass die dort lebenden Menschen zweiter Klasse seien.

Gibt es überhaupt eine Überbevölkerung in Afrika? Wenn das Thema in den Medien auftaucht, sieht man meist ein Slum in Johannisburg oder Menschenscharen auf den Straßen von Abuja – nie jedoch den verstopfen Alexanderplatz in Berlin oder die Metro von Paris. Die Niederlande (408 Einwohner pro Quadratkilometer) und Deutschland (231 Einwohner pro Quadratkilometer) sind weit dichter besiedelt als Äthiopien (93 Einwohner pro Quadratkilometer) oder Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas (196 Einwohner pro Quadratkilometer). Und wenn irgendwo auf der Welt "Überbevölkerung" herrscht, dann eindeutig im Club der Superreichen: In Monaco drängen sich 18.944 Menschen auf einen Quadratkilometer.

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Überfüllte U-Bahnstation am Alexanderplatz.
Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

Die Mär von Armut und Umweltproblemen

Es ist eine Mär, dass Armut und Umweltprobleme primär von einer "Bevölkerungsexplosion" ausgehen. Oft genug werden mit dieser Mär lediglich rassistische Ängste geschürt und die Tatsache übertüncht, dass nicht biologische Vermehrung, sondern Ausbeutung der Grund allen Elends ist. Fakt ist: Die USA und die EU sind für ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Allein die Bewohner von New York City verbrauchen täglich mehr Energie als der gesamte afrikanische Kontinent. Und ebendieser steigende Ressourcenverbrauch ist nicht ans Bevölkerungs-, sondern ans Wirtschaftswachstum gekoppelt. Warum ist aber immer nur die Rede davon, die Menschen im globalen Süden zu reduzieren statt die Zahl der Multimilliardäre? "Die Schattenseite des Überflusses ist der überflüssige Mensch", kritisiert Ilija Trojanow völlig zu recht.

Angesichts der Tatsache, dass es maßgeblich die Industriestaaten sind, die den Planeten verschmutzen und im großen Stil fossile Brennstoffe verfeuern, ist es ziemlich merkwürdig, wenn sogar die UN die globale Erderwärmung dadurch bremsen will, indem sie empfiehlt, das Bevölkerungswachstum im globalen Süden einzuschränken. Wir wachsen solange, bis wir buchstäblich platzen, Immobilienblasen und Aktienkurse eingeschlossen. Schuld am Elend ist kein "überflüssiger Mensch", kein einziger. Schuld ist allein die ungleiche globale Verteilung von Geld, Land und Nahrung. Das Boot ist also nicht voll, sondern ungleich beladen. Der kapitalistische Kurs des Boots ist das Problem. Die primäre Frage lautet daher nicht: Leben zu viele Menschen auf der Erde? Sondern: Lebt eine handvoll dieser Menschen nicht auf viel zu breitem Fuß? (Patrick Spät, 5.2.2018)