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Regisseur Matthias Hartmann (54) inszenierte als Burg-Direktor 13-mal selbst. Laut seinen Kritikern zu häufig.

Foto: Reuters/Heinz Peter Bader

Fragen zu Macht und Allmacht begleiten Matthias Hartmann seit vielen Jahren. Als Direktor des Burgtheaters zwischen 2009 und seiner rechtlich umstrittenen Entlassung im Zuge des Finanzskandals 2014 wurde das schon damals Thema: "Natürlich sind die autokratischen Versuchungen groß. Aber so ist das in den Künsten: Der Maler ist ein einsamer Herrscher mit seinem Pinsel auf der Leinwand", vertraute Hartmann etwa 2012 der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" an.

Atmosphäre der Angst

Die Machtballung, die aus dem Novum entstand, dass Hartmann neben seiner Intendanz ungewöhnlich viel selbst inszenierte, somit meist als oberster Chef und künstlerischer Reibebaum zugleich agierte, soll, wie jetzt bekannt wurde, bei Teilen der Belegschaft eine "Atmosphäre der Angst und Unsicherheit" erzeugt haben. Mitarbeiter hätten dadurch mehr Grenzüberschreitungen Hartmanns ertragen müssen, als ihnen lieb gewesen sei.

In ihrem offenen Brief, den 60 Burg-Mitarbeiter – von Schauspielern über technisches Personal bis hin zur Buchhaltung – unterzeichnet und im STANDARD veröffentlicht haben, wird Hartmann mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert, die für sich allein betrachtetet harmlos bis grenzwertig erscheinen, in Summe aber eine "Kultur der Unkultur", wie Betroffene es nennen, offenbaren: Als homophob, rassistisch und sexistisch empfundene Äußerungen, ungewollte "Klapse" auf den Hintern beim rituellen "Toi, toi toi" vor der Premiere, Beschimpfungen oder angedrohte Kündigungen, die im anschließenden "Gnadenakt wieder zurückgenommen wurden", seien vorgekommen.

"Juristisch gesteuerte Aktion"

In seinem Antwortbrief an den STANDARD äußerte sich Hartmann zunächst entschuldigend und stellte einige der Vorfälle als missverstandene Witze dar. Am Rande seiner samstäglichen Premiere des David-Bowie-Musicals "Lazarus" am Düsseldorfer Schauspielhaus ging Hartmann dann aber doch medial in die Gegenoffensive, sprach von einer "juristisch gesteuerten Aktion" und davon, dass den Brief "ein Rechtsanwalt aufgesetzt" habe, um ihm in seinem Zivilprozess gegen das Burgtheater zu schaden. Man suche wahrscheinlich nach neuen Gründen, um seine Entlassung zu rechtfertigen, so Hartmann zur Düsseldorfer Regionalzeitung "Rheinische Post".

Tatsächlich ist es so – ein Ergänzungsgutachten der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) liegt dem STANDARD vor –, dass für Hartmann seit 25. Jänner auch das letzte Verdachtsmoment im Strafverfahren wegen des Burg-Finanzskandals vom Tisch sein dürfte, und somit auch seine ruhende Klage auf Verdienstentgang wieder Fahrt aufnehmen könnte. Die Einstellung müsse allerdings noch den formellen Weg gehen, so Hartmanns Anwalt auf Nachfrage.

Die Verfasser des offenen Briefs beteuern im Gespräch mit dem STANDARD allerdings, von dieser Neuigkeit "nicht das Geringste gewusst" zu haben. Damit habe ihr Anliegen also auch nichts zu tun. Rechtlichen Beistand habe man sich nicht – wie insinuiert – von Burg-Anwalt Bernhard Hainz geholt, sondern von der Medienanwältin Maria Windhager. Sie berät sonst auch den STANDARD, im aktuellen Fall wurde davon selbstverständlich Abstand genommen.

"Offener Brief nicht juristisch gesteuert"

Hartmanns Darstellung sei demnach "eine vollkommen falsche Unterstellung", so Windhager: "Der offene Brief ist nicht juristisch gesteuert worden, um Herrn Hartmann in seinem offenen Zivilverfahren zu schaden. Der Brief wurde auch nicht von einem Anwalt formuliert. Er stammt ausschließlich von den Unterzeichnern, viele von ihnen haben bis zuletzt konkrete Formulierungen eingebracht. Ich habe einige Unterzeichner medienrechtlich beraten."

Den STANDARD haben indes weitere eidesstattliche Erklärungen von Unterzeichnern des Briefs erreicht: Ein Schauspieler beklagt beispielsweise, homophob beschimpft worden zu sein. Eine Schauspielerin meint, dass Hartmann sie während einer Begrüßungsgeste ungewollt auf den Mund geküsst habe. Außerdem sei sie von ihm bei einem Vieraugengespräch in seinem Büro mit den Worten "Mach's dir schon einmal bequem auf meiner Besetzungscouch!" empfangen worden. Hartmann betont gegenüber dem STANDARD, er könne sich das "beim besten Willen nicht vorstellen", dazu müsse er wissen, "wer das denn gewesen sein soll". An den zweiten Vorwurf könne er sich nicht erinnern.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen auf die Veröffentlichung des Briefes sind unterschiedlich. Kritik kommt etwa von Film- und Theaterschauspieler Lucas Gregorowicz: "Es ist ein Hohn und geht entschieden zu weit, dass die #MeToo-Debatte und damit die Opfer von Missbrauch in allen Berufsständen für ein betriebsinternes Politikum genutzt wird. Gegen einen Klaps vor einer Premiere in Gegenwart vieler KollegInnen steht dem/der Betroffenen immer eine Ohrfeige zur Verfügung. Matthias Hartmann ist kein Lamm, aber Schauspieler sind auch keine Opfer."

Schauspieler Robert Reinagl, ein Unterzeichner, sieht das im Gespräch mit "Profil" anders: "Vieles, was wir ansprechen, ist nicht strafrechtlich relevant, aber es vergiftet die Arbeitsatmosphäre. Es ist demütigend." Da sei auch die Politik in der Pflicht: "Es werden schillernde Persönlichkeiten gesucht, aber es muss doch nicht zwingend jemand sein, der völlig egomanisch ist." Es brauche eine "moralische Revision".

Selbstherrlichkeit und Willkür

Christian Kircher, Chef der Bundestheater-Holding, sieht in dem Brief denn auch "einen Auftrag für die Zukunft": "Wo täglich die Fragen unseres Zusammenlebens auf der Bühne verhandelt werden, sollen auch hinter der Bühne Verhaltensregeln gelten, die auf Respekt und gegenseitiger Achtung aufbauen. Das Bewusstsein für Wohlverhalten abseits strafrechtlicher Tatbestände hat sich in den letzten Jahren geändert, und das ist gut so."

Die Kuratorin Angela Stief nimmt in der Debatte auch die Kunstmuseen in den Blick: Mitgestalter von Museen und Theatern seien "nicht mehr bereit, Selbstherrlichkeit, Willkür und herablassendes Verhalten als direktoriale Selbstverständlichkeit hinzunehmen". Die öffentliche Akzeptanz gegenüber einem autoritären Führungsstil nach Gutsherrenart nehme sukzessive ab. Das sei zu begrüßen. (Stefan Weiss, 5.2.2018)