Geht es nach Klemens Schillinger, sollte es in der Möbellandschaft viel mehr Kisten geben. Viel zu stiefmütterlich wird diese Gattung behandelt. Nicht so bei Schillinger. In seiner Wohnung im ersten Stock eines Jahrhundertwende-Hauses in der Nähe der U-Bahn-Station Spittelau steht so eine Kiste. Eine sehr alte, die er einem Kollegen abgekauft hat.

Christian Benesch fotografierte den Wiener Designer Klemens Schillinger in einer Holzkiste, die ihm ans Herz gewachsen ist.
Foto: Christian Benesch

Schillingers Kiste ist eine Wunderkiste. Sagt er überlegt und mit ruhiger Stimme. Er hat Croissants besorgt. Kaffee ist aus. Dafür gibt's Tee. Aber zurück zur Kiste: In ihrem Inneren befinden sich Schachteln und Boxen. Schillinger hat keine Ahnung, was alles drin ist. Er weiß nur, wenn er etwas sucht, dann findet er es in dieser Kiste: einen bestimmten Klebstoff, Kinderfotos, das eine oder andere Werkzeug oder die richtige Schraube. "Als ich neulich verkühlt war, habe ich sogar ein Aspirin darin gefunden", sagt er.

Die Kiste erinnert Schillinger an seine Zeit in London, wo er nach dem Studium an der FH Joanneum in Graz am Royal College of Art studierte. (Zuvor jobbte er für ein Jahr als Kellner und Skiverkäufer in Berlin.) "In London lebten wir zu siebt in einer WG, mein Zimmer maß vielleicht zehn Quadratmeter. Dort habe ich neben dem Bett Beton für meine Schüsseln namens "Landmarks" gegossen. Ich hab mich gefühlt, als würde ich auf einer Baustelle schlafen." Auch das ist ein Grund, warum Schillinger Wohnen und Arbeiten heute trennt und ein Studio im zwölften Bezirk mietet. "Ich verstehe das Studio als eine Art Werkzeug", sagt er. Hammer, Zange und Schraubenzieher gibt's allerdings auch in seiner Wohnung zuhauf. Sogar im Wohnzimmer, wo er beim Erzählen in einem alten Sofa versinkt.

Auf der Kundenliste von Schillinger sind Namen wie Kvadrat, Rim-Blackberry oder Airbus zu finden. Was also empfindet der 34-Jährige, wenn man ihn als einen der Shootingstars der heimischen Designszene bezeichnet? "Ich weiß nicht recht, natürlich schmeichelt mir das, aber das allein reicht heute nicht mehr." Schillinger weiß, dass der Elfenbeinturm schon lange nicht mehr der richtige Aufenthaltsort für Designer ist. Die Zeiten, in denen ein Designer nach dem Mittagessen eine Skizze auf die Serviette fetzt und sie seinem Produzenten zusteckt, sind längst vorbei.

Elfenbeinturm

Heute geht es schon während des Designprozesses darum, die richtigen Fertigungsmethoden und Partner für ein Projekt zu finden. Die kann er auch nicht aus seiner Wunderkiste kramen. Gut also, dass Schillinger auch ein Smartphone hat, das wirklich funktioniert. Wer weiß, welche Firma als Nächstes anruft.

Nicht nur im Studio, sondern auch zu Hause im Wohnzimmer gibt es beim Designer Klemens Schillinger einiges an Werkzeug zu finden. Den Fisch hat er aus Japan mitgebracht. Er steht für Kraft und Mut.
Foto: Christian Benesch

Auf seinem Nachtkastl hat Schillinger noch eine andere, ganz besondere, kleine "Kiste" stehen, seine "Offline Lamp". Dabei handelt es sich um eine charmante kleine Leuchte, in deren Fuß eine Lade eingearbeitet ist. Die Raffinesse daran: Die Leuchte funktioniert nur, wenn man sein Smartphone in die Lade legt. Eng verwandt ist die Leuchte mit seinem aufsehenerregenden Projekt "Substitute Phone", einer Art Entzugsobjekt für Smartphonesüchtige. Dabei geht es um Kunststoffobjekte, die von der Form her wie ein iPhone aussehen, aber keinerlei Elektronik intus haben. In ihre Oberfläche sind in einer Art Rille Kügelchen aus Stein eingearbeitet, die man hin- und her- oder rauf- und runterrollen kann. "Wie oft scrollt man auf seinem Smartphone hin und her, wischt über die Oberfläche und weiß anschließend gar nicht, was man eigentlich gemacht hat?" Egal, ob man das Ding als therapeutisches Objekt verwendet oder sich einfach an seiner Haptik erfreut, das "Substitute Phone" zeigt eine wunderbar verspielte und doch kritische Variante des Designs.

Neben seinem eigenen Suchtverhalten inspirierte Schillinger Umberto Eco, der sich angeblich das Rauchen abgewöhnte, indem er den Glimmstängel einfach durch ein Holzstaberl ersetzte. Amüsantes Detail am Rande: Erst kürzlich flatterte bei Schillinger eine Bestellung seiner "Substitute Phones" ins Haus. Der Auftraggeber ist in Cupertino zu Hause, so wie Apple.

Das OEuvre Schillingers hat aber auch ganz anderes zu bieten, etwa seine "Vases for Corners and Walls" (auf dem Foto links neben dem Designer zu sehen). Diese sehen aus, als hätte er eine klassische, bauchige Vase im Längsschnitt geviertelt. Aktuell hat er unter anderem mit der Umsetzung eines über 16 Meter hohen Aussichtsturms in der Wachau zu tun. Im Rahmen eines Wettbewerbs gewann sein Entwurf, den er gemeinsam mit der Architektin Eldine Heep einreichte. Der Turm wirkt wie ein vertikal aufgestellter Quader mit Holzfassade, an dessen Vorderseite man emporsteigt. Da ist sie also wieder, die Kiste.

Den Entwürfen Schillingers gemein ist eine gut dosierte Kunst des Weglassens, die eine eigene Produktpoesie zutage fördert. Schillinger als 3D-Dichter? "Reine Funktion ist zu wenig. Design muss etwas vermitteln, eine Aura haben", sagt er. Sein Rezept, den Dingen diese Aura zu geben, liegt in der Reduktion, einem Geheimnis, wie es die Dichter haben, weiters in der Beschäftigung mit anderen Kulturen. An seinen Aufenthalt in Japan erinnert ihn der als Windsack gedachte Fisch, ein Koi-Noibri. Er steht für Kraft und Mut, weil er gegen den Strom schwimmt, so wie Schillinger mit seinem Design. (Michael Hausenblas, RONDO, 12.2.2018)