SPD-Chef Martin Schulz vor seinem Rückzug.

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Ziemlich beste Feinde: Schulz (li.) und Gabriel.

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Es begann als Unruhe, steigerte sich zum großen Missfallen und endete schließlich in offener Kritik. Seit SPD-Chef Martin Schulz am Dienstag an der Seite der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer den Koalitionsvertrag präsentiert hatte, wollte vor allem eines nicht gelingen: dass die Genossen positiv über das Werk reden – geschweige denn, dass sie überhaupt drüber sprechen.

Denn es gab nur ein Thema: der mit einem Wortbruch verbundene Eintritt von Schulz in eine Regierung unter Kanzlerin Merkel. "Ganz klar", hatte Schulz noch im September nach der Wahl erklärt, er werde nicht Minister unter Merkel. Doch dann überlegte er es sich anders, kündigte an, den SPD-Vorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abzugeben, Außenminister werden zu wollen und schmiss damit en passant den amtierenden, mittlerweile recht beliebten Außenminister und Parteifreund Sigmar Gabriel aus seinem Job.

"Mann mit Bart"

Das Rumoren in der SPD wurde immer lauter – und nicht nur das. Auch Gabriel meldete sich zu Wort und machte in einem Interview kein Hehl daraus, wie enttäuscht er ist: Er beklagte mangelnde Wertschätzung und auch den Umgang in der SPD.

Und er tat etwas, was in Berlin höchst ungewöhnlich ist. Er zog seine fünfjährige Tochter in den Machtkampf hinein, indem er sie mit den Worten zitierte: "Marie hat mir gesagt: 'Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.'" Gemeint war natürlich Schulz.

Sorge um Basis-Votum

Das trug zwar Gabriel eine Rüge seiner Parteifreundin Heike Taubert (Finanzministerin in Thüringen) ein. Sie erklärte: "Niemand hat tatsächlich das Recht auf ein bestimmtes Amt." Doch offenbar traf Gabriel mit seiner Klage gegen Schulz den Nerv vieler Genossen.

Die Sorge, dass das Mitgliedervotum zum totalen Desaster werden könnte, wuchs stündlich. Am Freitag meldete als erstes Medium die "Bild" in ihrer Onlineausgabe, dass nicht nur an der Basis, sondern auch bei der SPD-Spitze Feuer am Dach sei, dass sich aber offenbar niemand traue, mit Schulz ein ebenso ernstes wie offenes Wort zu reden.

Man wartete, dass sich das Ergebnis einer Telefonkonferenz aus dem einflussreichen SPD-Verband Nordrhein-Westfalen bis in Schulz’ Büro im Berliner Willy-Brandt-Haus durchgesprochen hatte. Die Bezirkschefs an Rhein und Ruhr fanden Schulz nämlich als Außenminister untragbar.

Schriftlicher Verzicht

Offenbar fand die Botschaft ihren Weg, dann ging es ganz schnell. Um 14.21 Uhr verschickte die SPD-Pressestelle eine schriftliche Erklärung des (Noch-)Parteivorsitzenden. Schulz schrieb, er wolle alles dafür tun, dass die SPD-Basis in den kommenden drei Wochen für den schwarz-roten Koalitionsvertrag stimmt.

"Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind." Es sei klar, "dass meine persönlichen Ambitionen hinter den Interessen der Partei zurückstehen müssen".

Alles verloren

Damit hat Schulz alles verloren: den Parteivorsitz und das Außenamt, das er zum Greifen nah wähnte. Er ist nur noch Bundestagsabgeordneter. Ob er das Mandat behalten wird, ist noch offen.

Respekt zollt ihm Nahles, die jetzt ja von ihm den Parteivorsitz übernehmen wird. Der Entschluss verdiene "höchsten Respekt und Anerkennung", erklärte sie. Alle wüssten, "wie schwer ihm diese Entscheidung nun gefallen ist, sich persönlich zurückzunehmen. Das zeugt von beachtlicher menschlicher Größe."

Geschachere

Ähnlich äußerte sich SPD-Vizechef Torsten Schäfer-Gümbel (Hessen), er räumte aber ein: "Der Tag führt uns an emotionale Grenzen." Wie sehr viele Genossen die Schnauze voll von den Personalgeschichten und dem Geschachere haben, bringt die ehemalige Juso-Chefin Johanna Ueckermann, die jetzt im Präsidium und im Vorstand sitzt, per Twitter zum Ausdruck: "Sagt Bescheid, wenn dieser Männerzirkus vorbei ist. Ich hab’s satt."

In der Tat hatte der Wandel von der Freundschaft zur Rivalität zwischen Schulz und Gabriel immer wieder für Diskussionen innerhalb der SPD gesorgt. Noch vor einem Jahr, als Gabriel Schulz den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur vor die Füße gelegt hatte, waren die beiden "Freunde".

Ruf nach Leitkultur

Doch dann frustrierte Gabriel, dass Schulz die SPD nach einem kleinen Zwischenhoch in Umfragen nicht in die Höhe brachte. Und Schulz war von Gabriels zunehmend eigenständigem Kurs genervt – etwa dass Gabriel nach der verlorenen Bundestagswahl im "Spiegel" zur Generalkritik anhob und erklärte, die SPD brauche eine grundlegende Kurskorrektur hin zu mehr "Heimat" und zu einer Debatte über Leitkultur.

Schulz berief Gabriel dafür nicht ins Verhandlungsteam mit der Union. Und er warf Gabriel, ohne dessen Namen zu nennen, vor, die Partei "strukturell, organisatorisch, inhaltlich und strategisch" nicht ausreichend weiterentwickelt zu haben.

Unklar ist, wie es nun mit Gabriel weitergeht, ob er Außenminister bleiben kann. Es gibt erste Stimmen, die sich dafür aussprechen. "Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen", sagt Johannes Kahrs, Bundestagsabgeordneter und Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. Doch es ist nicht so, dass Gabriel plötzlich nur noch Freunde in der SPD hat. Wie Schulz hat auch er selbst dazu viel beigetragen. Er gilt als sprunghaft und launisch. Die SPD will jetzt erst einmal eine Krisensitzung abhalten. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.2.2018)