"Shadow of the Colossus" begeistert nach 13 Jahren erneut Spieler.

Foto: Shadow of the Colossus

Angesichts von so viel Kult kann man schon ins Schwärmen geraten: Das aktuelle Remake von "Shadow of the Colossus" bringt "eines der besten Spiele aller Zeiten" wieder auf die Bildschirme zurück, wie Kollege Zsolt Wilhelm kürzlich euphorisiert feststellte. "Ein Must-have für jedes Langzeitgedächtnis" sei das Remake, das das vor 13 Jahren erstmals erschienene Ausnahmespiel in die technische Gegenwart hievt.

Wir spielen "Shadow of the Colossus".
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Die Freude darüber, ein stilbildendes Werk wie Fumito Uedas Spiel endlich wiederzusehen, ist auch deshalb groß, weil Videospiele wie kaum ein anderes Medium an einem beispiellosen Gedächtnisschwund leiden. Das Original "Shadow of the Colossus" aus dem Jahr 2005 gab es immer nur auf der PS2 zu spielen, das erste HD-Remake stammt aus dem fernen Jahr 2011 und war auf die inzwischen ebenfalls großflächig eingemottete PS3 beschränkt. Dass "Shadow of the Colossus" nun auf zeitgemäßer Hardware und rundum entstaubt als High-End-Remake endlich überhaupt wieder spielbar ist, ist also auf jeden Fall Grund zur Freude – sowohl für all jene, die das Spiel wieder (und hübscher) spielen wollen, als auch für jüngere Spielerinnen und Spieler, die niemals Gelegenheit hatten, das Original kennenzulernen.

Kaufen, kaufen und nochmals kaufen

Dass ein Stück Gamesgeschichte wie dieses nun endlich wieder in der Breite – wenn auch immer noch nur "plattformexklusiv" – konsumiert werden kann, ist wie gesagt erfreulich; zugleich zeigt ein Vergleich mit anderen Medien aber, wie absurd der Umgang mit der eigenen Geschichte bei Videospielen eigentlich ist. Denn bei Literatur, Musik und Film gelten selbstverständlich andere Regeln – das geht von der Verfügbarkeit der Originale bis hin zur Behandlung der Neuauflagen.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Filmklassiker wie "Casablanca" ausschließlich als rundum restaurierte, colorierte 3D-Version mit brandneuer Vertonung kennenlernen. Oder dass statt der Originalversion von Shakespeares Dramen nur modernisierte, geglättete Prosaversionen existieren würden. Dass Louis Armstrongs knisternde Originalaufnahmen von perfekt geglätteten, neu eingespielten Trompetensoli ersetzt würden. Was bei älteren Medien undenkbar ist, ist bei Videospielen, besonders bei jenen, die auf proprietären geschlossenen Konsolensystemen exklusiv veröffentlicht werden, trauriger Normalzustand.

Mehr noch: Man muss sich sogar freuen, diese Klassiker überhaupt wieder spielen zu können. Dass man dafür, wie im Fall von "Shadow of the Colossus", zum insgesamt dritten Mal zur Kasse gebeten wird, muss man zähneknirschend zur Kenntnis nehmen.

Neuer ist nicht immer besser

Dass diese Rundumerneuerungen manchmal auch den Originalen nicht wirklich gerecht werden, ist ein weiterer negativer Nebeneffekt. Natürlich ist es beeindruckend, die Kolosse aus Fumita Uedas Klassiker in neuer Detailliertheit zu bewundern – aber trugen nicht die technischen Beschränkungen des Originals auch etwas zur ganz speziellen Atmosphäre des Spiels von 2005 bei? Ist das Remake durch seine "bessere" Grafik jetzt die "bessere" Version des Spiels – oder bleibt das Original jene Version, die der Vision seines Schöpfers ursprünglich am meisten entsprochen hat? Ist die Hinzunahme von Achievements einfach ein Zugeständnis an moderne Games-Gewohnheiten – oder wird dadurch nicht doch das berühmt ambivalente Verhältnis zwischen Spielerischaft und melancholischen Kolossen verändert?

Man sieht: Es ist gar nicht so einfach, vor allem gelungene historische Werke mal eben so technisch zu "verbessern" – umso mehr, wenn sie dann mangels Verfügbarkeit der Originale quasi dadurch zur letztgültigen Version eines Werks werden. Die Lösung wäre natürlich simpel: Läge den Remakes das unbearbeitete software-emulierte Original bei, könnte man sich sowohl ein Bild vom Original als auch von der Neubearbeitung machen. Es ist mehr als schade, dass die eifersüchtig auch über wenig bis gar nicht genutzte Marken wachende Gamesbranche hier wenig Verständnis für die eigene Kulturgeschichte aufzubringen bereit ist.

Gebt uns mehr Games-Geschichte!

Dabei hätte die Aufarbeitung eines halben Jahrhunderts Games-Geschichte gewaltiges Potenzial, wie nicht zuletzt der Erfolg diverser Retrokonsolen wieder und wieder beweist. Und damit ist sowohl das Spielen der originale als auch die Bearbeitung ausgewählter Klassiker als Remakes gemeint, die mehr zu leisten imstande ist als die – oft wirklich unverschämt in die Jahre gekommenen – Klassiker für moderne Seh- und Spielgewohnheiten aufzufrischen.

Manche Spiele eignen sich dazu besser als andere – dazu zählen "Shadow of the Colossus" wohl ebenso wie das auch als Remake angekündigte "Dark Souls" oder die HD-Remakes von Klassikern wie "Okami" oder "Age of Empires". Nicht alle Spiele haben tatsächlich das Zeug, frühere ebenso wie neue Spielergenerationen auch in der Gegenwart zu begeistern; welche Altlasten auch kultisch verehrte Spiele von ihrer Fangemeinde oft unbemerkt mitschleppen, zeigt sich anhand von eher wackelig in der Gegenwart ankommenden Remakes wie jenem von "Outcast: Second Contact".

Trotzdem ist der Fundus an Spieleklassikern, die man als zeitlos bezeichnen könnte, riesig; sie zeitgemäß aufbereitet neu zu veröffentlichen, würde auch der Sehnsucht vieler älterer Spielerinnen und Spieler nach ihrer eigenen Games-Geschichte entgegenkommen.

Deshalb, liebe Publisher: Gebt uns Remakes und zeigt uns mehr Games-Geschichte – und lasst uns im besten Fall zugleich einen Blick auf die Originale dahinter werfen. Lasst uns erneut in die Welt von "Silent Hill 2" aufbrechen, "Vampire: The Masquerade Bloodlines" in aktueller Grafik spielen, "Morrowind" neu entdecken oder den Wahnsinn von "Eternal Darkness" neu erleben. Kurzum: Gebt uns ein wenig Games-Geschichte zurück. Der Blick nach hinten kann ebenso schön sein wie jener nach vorne. (Rainer Sigl, 18.02.2018)