"Wenn man eine nachdenkliche Frau ist, ist Feminismus nicht zu vermeiden", meinte Maria Lassnig: "Woman Power" (1979).

Foto: Sammlung Essl / Peter Kainz

Am Anfang war keineswegs das Wort, sondern der Körper – jedenfalls in der Malerei von Maria Lassnig. "Mein Ansatz entstand aus der Erkenntnis, dass das einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen", so beschrieb die 2014 im Alter von 94 Jahren verstorbene Künstlerin in einem ihrer letzten Interviews ihre Philosophie. "Und dann male ich wirklich so, wie ich es spüre, fühle, die Schulter ganz drin, stößt direkt auf die Hüfte."

Dass die Idee, Körperempfindungen in Farben und Formen zu übersetzen, bei Lassnig nicht bloß Konzept bleibt, sondern auf denkbar schöne Weise spürbar wird, zeichnet das Schaffen der österreichischen Künstlerin aus. Gestreckt, verzerrt, wolkig sind die Leiber, die sie ausgehend von ihrer an Sartre geschulten Anschauung malte. Sie vibrieren in Werken wie Illusion der versäumten Mutterschaft (1998) vor Melancholie; sie lassen in den unzähligen Selbstporträts der Künstlerin – sei es als "Indianergirl" (1973) oder mit Kochtopf auf dem Kopf (1995) – schmunzeln.

Trailer zur Retrospektive.
Národní galerie v Praze

Weil sich hinter aquarellhafter Leichtigkeit bisweilen gähnende Abgründe verbergen, sind Lassnigs Körperbilder zwar nicht immer ganz leicht verdaulich, aber durchwegs ein Schauvergnügen. Öfters erleben wird man das Vergnügen übernächstes Jahr, denn 2019 wäre die große Einzelgängerin der österreichischen Kunst 100 Jahre alt geworden. Wer so lange nicht warten will, dem sei indes ein Ausflug nach Prag empfohlen, wo die Nationalgalerie Lassnig schon jetzt eine sehenswerte Retrospektive ausrichtet. Die Präsentation umfasst (was im Lande des Animationsfilmers Jan Svankmajer wohl obligatorisch ist) einen ausführlichen Appendix zu ihrem Trickfilmschaffen. Im Fokus steht aber freilich die Entwicklung dessen, was Lassnig Body-Awareness-, also Körperbewusstseins-Malerei nannte.

Saftige Realitäten

Lassnig benutzte diesen Begriff erstmals für eine kleinformatige, informelle Zeichnung aus dem Jahr 1948. Das Blatt markiert jenen Wendepunkt, da die Künstlerin nach ihrer Annäherung an die Avantgarden fürchtete, in "sterile Abstraktion" abzugleiten. Sie verspürte das Bedürfnis, "saftige Realitäten" zu malen, solche, die "mehr im Besitz wären als die Außenwelt", wie sie später sagte. Auf dieser Suche drang sie in eben jenes Körpergehäuse (1951) vor, in dem ihr sämtliches späteres Schaffen wurzelt.

Auf Lassnigs berührende Mutter-Tochter-Darstellungen (wie das Bild Kind mit toter Mutter, 1965) trifft man in der Nationalgalerie, aber auch auf das ikonische Werk Woman Power (1979): Eine riesenhafte Frauengestalt steigt Godzilla-gleich über die Hochhäuser einer Metropole hinweg. Dazwischen bietet sich aber auch die seltene Gelegenheit, einige von Lassnigs Skulpturen zu sehen.

Die Verlorenen (1998/99) etwa zeigt zwei abstrahierte Figuren, die an einem Rastergitter kauern, ob ihrer lehmigen Konsistenz mit diesem verschmolzen scheinen. Man kann dieses Arrangement als Verbildlichung eines für Lassnig zentralen Spannungsfelds sehen: Hier die ganz Gefühl gewordenen und daher unförmigen Figuren; dort das akkurate Raster, die ihnen auferlegten Begrenzungen.

Wenn das Leben dich würgt

Durchsetzt ist die Schau mit Zitaten aus Lassnigs Notizbüchern, die die Künstlerin auch gut als streitbare Denkerin vermitteln. Denn wenn auch das Wort nicht am Anfang von Lassnigs Arbeiten gestanden haben mag, so sparte die Künstlerin doch nicht mit eloquenten Kommentaren und Reflexionen. "Der Rhythmus des Malens sollte sein wie das Schnappen nach Luft, wenn das Leben uns würgt", notierte sie etwa im Jahr 1951. Zu lesen ist aber auch ein scherzhafter Reim, der auch an Lassnigs ironischen Umgang mit der Tatsache erinnert, im Kunstbetrieb vornehmlich mit Männern zu konkurrieren: "Ich bin die Frau Picasso / ich fange Bilder mit dem Lasso."

Zu den schönsten Momenten der Prager Ausstellung gehört im Übrigen eine Fotografie aus dem Jahr 1983, die Lassnig beim Arbeiten in ihrem Wiener Atelier zeigt. Die Künstlerin liegt gleichsam schlafend auf einem ihrer Gemälde. Die Figur, die entsteht, scheint die liegende Künstlerin zu spiegeln. Das eigentlich Bemerkenswerte allerdings ist, dass die Künstlerin beim Führen des Pinsels die Augen geschlossen hat. (Roman Gerold aus Prag, 16.2.2018)