Wien – "Er hat mich so untergriffig provoziert", rechtfertigt Bernhard K. vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Stefan Romstorfer, warum er am 2. Juli Herrn S. insgesamt vier Ohrfeigen gegeben hat. Das Besondere: K. ist Polizist und sitzt wegen Körperverletzung vor Gericht, neben ihm auf der Anklagebank müssen sich seine Kollegen Lukas K. und Philipp T. verantworten – wegen Amtsmissbrauchs, da sie bei der Gewalttat nicht eingegriffen haben.

Die Geschichte spielt in einem Übergangswohnheim in Wien-Penzing. Der 56-jährige S. hatte dort Hausverbot, erschien dennoch mit einem Bekannten, um etwaige Post für ihn zu holen. Auf den Hinweis einer Angestellten, dass er gar nicht hier sein dürfe, reagierte der Betrunkene mit "Waunst ned glei di Goschn hoits, zreiß i di!" und einem Tritt gegen eine Tür.

Anschließend beruhigte er sich und setzte sich mit seinem Bekannten in den Aufenthaltsraum, um weiter die mitgebrachte Wodkaflasche mit Luft zu füllen. Was er nicht wusste: Die Angestellte hatte mittlerweile die Polizei alarmiert. Bernhard K., 55 Jahre alt, Lukas K. (26) und Polizeischüler T. (36) erschienen.

Überwachungsvideo ohne Ton

Von dem Einsatz gibt es eine Videoaufnahme ohne Ton, da der Aufenthaltsraum überwacht wird. Zunächst ist die Amtshandlung auch noch Routine: Die Polizisten erscheinen, der Bekannte von S. schickt sich an, das Zimmer zu verlassen, S. bleibt jedoch sitzen. Offenbar wird gesprochen, dann heben die beiden K.s S. hoch, der sich wieder fallen lässt.

Der Bekannte verlässt den Raum, Bernhard K. schließt die Türe und versetzt S. eine Ohrfeige. Nach einigen Sekunden Pause folgen mit beiden Händen drei weitere, ehe auch S. aus der Tür geschoben wird. Eine Reaktion zeigen die beiden jüngeren Polizisten nicht.

"Wieso passiert Ihnen das nach 33 Dienstjahren?", fragt Vorsitzender Romstorfer Bernhard K., den Erstangeklagten. Und erhält die eingangs erwähnte Antwort. "Wir haben ihn schon aus dem Nebenraum gehört, wie er 'gschissene Kiberei' oder so etwas gerufen hat." Im Raum selbst fielen vonseiten von S. noch Ausdrücke wie "Fotze".

"Meine Emotionen sind hochgekocht", beschreibt der Erstangeklagte seine Stimmungslage. Übergekocht seien sie, als der Beamtshandelte ankündigte: "Und Deine Mutter, die Nazihur, fick ich auch noch!" "Mir sind ganz einfach die Nerven gerissen", bekennt sich K. schuldig, rechtfertigt sich aber damit, dass seine Mutter mit wenig Geld drei Kindern die Ausbildung ermöglicht habe. "Die Mutter ist in meinen Augen die beste der Welt", betont der Polizist mit brechender Stimme.

Noch nie Beschimpfung der Mutter gehört

Der Vorsitzende lässt sich davon nur bedingt beeindrucken. "Das wird ja jetzt nicht das erste Mal gewesen sein, dass Sie so etwas hören?", mag Romstorfer an eine erstmalige Schmähung von K.s Erzeugerin nicht recht glauben. "Doch, und ich war auch sieben Jahre für Rapid-Fans zuständig!", beteuert K. mit Überzeugung.

"Waren Sie nach dem ersten Schlag nicht selbst schockiert?", will Romstorfer noch wissen. "Ich habe ganz einfach nicht nachgedacht", antwortet der Erstangeklagte. Dass er die Tür zum Gang geschlossen habe, sei ebenso unbewusst gewesen. "Es waren ja auch andere Personen in dem Zimmer, und ich wusste, dass es eine Kamera gibt." Auch seine Handschuhe habe er bereits zu Beginn des Einsatzes aus beruflicher Erfahrung getragen. "Wir sind dort ja öfters. Ich greif dort nichts an, weil es mir graust!", stellt K. klar.

Sein 26-jähriger Kollege bekennt sich zum Vorwurf des Amtsmissbrauchs ebenfalls schuldig und sagt, er sei bei der Betrachtung des Videos selbst schockiert gewesen. "Für mich war das wie eine einzige Aktion, die ein, zwei Sekunden gedauert hat." Warum er nicht eingegriffen habe? "Ich war vielleicht überfordert, weil der Kollege hingehauen hat." In der Ausbildung lerne man so eine Situation nämlich nicht.

Polizeischüler wollte nur lernen

"Was sind Ihre Ziele bei der Polizei?", fragt der Vorsitzende. "Ich bin jetzt froh, wenn sie mich nicht hinaushauen", gibt sich der Jungvater resigniert. Der Drittangeklagte, der damals Polizeischüler gewesen und mittlerweile übernommen worden ist, bekennt sich nicht schuldig und argumentiert, er wäre überhaupt nur dabei gewesen, um etwas zu lernen.

Einer Argumentation, der der Schöffensenat folgt. Das Strafmaß für Amtsmissbrauch beträgt zwar sechs Monate bis fünf Jahre, dennoch kommen die beiden Polizisten mit einer nicht rechtskräftigen Diversion davon. K. muss 1.500 Euro Strafe zahlen, T. 1000 Euro. "Sie wurden völlig unschuldig in die Situation hineingezogen", billigt ihnen das Gericht zu.

Das Körperverletzungsverfahren gegen Bernhard K. muss dagegen auf 4. Juni vertagt werden – der damals attackierte Herr S. war nicht vor Gericht erschienen. (Michael Möseneder, 19.2.2018)