Die Haltung der FPÖ gegenüber Europa ist regelmäßig Gegenstand politischer und medialer Debatten. Konservative wie grüne, liberale wie sozialdemokratische Kritikerinnen und Kritiker warfen und werfen den Freiheitlichen vor, "europafeindlich" zu sein. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte nach den Nationalratswahlen im Oktober 2017 betont, dass er eine Regierung nur dann angeloben werde, wenn für sie "die europäischen Grundwerte der Kompass für die Zukunft Österreichs" sind. Diese Voraussetzung war eine sehr niedrige Hürde, welche die FPÖ problemlos meisterte. Gleichzeitig bewahrte sie den Bundespräsidenten vor einem Gesichtsverlust. Bei Kritik im In- und Ausland können nun beide Seiten unisono darauf verweisen, dass die aktuelle Koalition von ÖVP und FPÖ in ihrem Regierungsprogramm ohnehin ein Bekenntnis zu Europa abgegeben habe und damit auch grundsätzliche demokratische Mindeststandards erfülle.

Der Fokus auf die Frage des Verhältnisses der FPÖ zu Europa und zur Europäischen Union ist zwar aus politikstrategischen Überlegungen verständlich. So sind Richtungsänderungen der FPÖ, wie etwa die Abkehr von der Forderung nach einem EU-Austritt, nicht zuletzt auch wahltaktischen Überlegungen geschuldet. Gleichzeitig bleibt die Kritik an der FPÖ als "europafeindlich" sehr vage, da hier mehrere Fragen offen bleiben. So wäre zuerst grundlegend zu klären, was Europa als Idee und in weiterer Folge die Europäische Union als politisches Projekt ausmacht. Mit welchen Normen – der Begriff Werte scheint angesichts der unzähligen "Leitkultur"-Debatten zu sehr belastet – ist die Idee von Europa verknüpft und welche Vorstellungen von Gesellschaft sind damit verbunden? Diese Fragen sind selbst äußerst umstritten und werden, abhängig von der jeweiligen politischen Verortung, unterschiedlich beantwortet. Mehr Klarheit in der Frage der europapolitischen Verortung der FPÖ bringt – neben dem Blick auf ihre europäischen Kooperationspartner und Kontakte – die Auseinandersetzung mit ihren inhaltlichen Positionen, die in programmatischen Publikationen der Partei deutlich dargelegt werden.

Ein klares Bekenntnis zu Europa der FPÖ war notwendig, damit die Regierung angelobt werden konnte.
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Mit Kultur und Vielfalt gegen die "Anderen"

Ähnlich wie Staat und Nation, definiert die FPÖ auch Europa vor allem anhand von ethnischer Herkunft sowie kultureller Identität. Im Parteiprogramm von 2011 bekennt man sich "zu einem Europa der historisch gewachsenen Völker und autochthonen Volksgruppen". Diese vorgestellte europäische Gemeinschaft bestehe aus jenen Staaten, "die geographisch, geistig und kulturell Europa ausmachen und die sich den abendländischen Werten, dem Erbe der Kulturen und den Traditionen der europäischen Völker verpflichtet haben". Europa wird hier also beispielsweise nicht als ein (unvollständiges) Demokratieprojekt betrachtet, sondern zu allererst als ein entlang exklusiver, nationaler und kultureller Kriterien definierter Raum.

Diese enge Verknüpfung von Europa mit einem ausschließenden Kulturbegriff ist nicht neu. Gleichzeitig ist sie Ausdruck der für zeitgenössische rechtsextreme und rechtspopulistische Diskurse so typischen Kulturalisierung von Politik. Denn im Gegensatz zu demokratisch-republikanischer Politik geht es bei diesem Begriff der Kultur nicht um die Gleichheit aller Menschen und um politische Partizipation, sondern um das Ideal einer von traditionalen "Werten" und damit Hierarchien geprägten, autoritären Gemeinschaft. Nicht die Freiheit des Individuums steht hier im Zentrum von Politik sondern die Gemeinschaft. Daher betrifft das freiheitliche Bekenntnis zu einem "Europa der Vielfalt" auch nur die Vielfalt auf europäischer Ebene, wo in sich geschlossene Kollektive wie Völker und Volksgruppen nebeneinander existieren. Mit gesellschaftlichem Pluralismus und Diversität hat dies jedoch nichts zu tun. Die Infragestellung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Wahlprogramm für die vergangene Nationalratswahl der FPÖ ist ein Ausdruck der Geringschätzung individueller Rechte.

Das Bekenntnis zu einem "Europa der freien Völker und Vaterländer" ist gleichzeitig auch die Grundlage für die Ablehnung der "Anderen". Begriffe wie "Vielfalt" und "Kultur" in der freiheitlichen Programmatik dienen somit jener identitären Selbstvergewisserung, die gleichzeitig den Ausschluss der "Anderen" fordert und rechtfertigt. Dies äußert sich in der Ablehnung von Immigration ebenso wie am Festhalten an einem völkischen beziehungsweise kulturalistischen Verständnis von Staatsbürgerschaft. Man muss sich das von der FPÖ angestrebte Europa als einen "Volksgruppenzoo" (Historiker Karl Heinz Roth) vorstellen, eine Ansammlung von homogenen ethnischen Kollektiven, die sich nach außen hin abschließen.

Freiheitliche Urängste

Nationalismus und Ethnozentrismus als zentrale ideologische Säulen machen es aufgrund der zahlreichen historischen Grenzstreitigkeiten in Europa für extrem rechte Parteien nicht immer einfach, tragfähige Bündnisse auf internationaler Ebene einzugehen. So sorgte bekanntlich die Südtirol-Frage immer wieder für Irritationen zwischen der FPÖ und ihren italienischen Partnern. Dennoch gibt es zahlreiche gemeinsame Interessen und ideologische Übereinstimmungen, die jahrhundertealte Feindschaften überlagern, wie etwa auch das Naheverhältnis einiger FPÖ-Politiker zum serbischen Nationalismus zeigt. Neben dem Wunsch nach einem "Europa der Vaterländer" wirken vor allem die gemeinsam geteilten Bedrohungsszenarien einigend.

Europa ist für die FPÖ eine "Wertegemeinschaft" – über die Werte lässt sich selbst trefflich streiten –, die laut Parteiprogramm gegen die "künstliche Gleichschaltung der vielfältigen europäischen Sprachen und Kulturen durch erzwungenen Multikulturalismus, Globalisierung und Massenzuwanderung" geschützt werden müsse. Die angeblich Verantwortlichen sind in verschwörungstheoretischer Weise rasch ausgemacht, wie ein Blick in das freiheitliche Wahlprogramm zur letzten Nationalratswahl zeigt: "Identitätsvernichtung und Entfremdung der Völker von ihren Wurzeln" lägen nämlich "im Interesse globaler Großkonzerne und weltweit tätiger Finanzjongleure". Das Bild des internationalen Spekulanten kann hier, ähnlich wie die Begriffe "Ostküste" oder "Hochfinanz", nicht zuletzt als antisemitischer Code interpretiert werden, der vom geneigten Publikum nur allzu gern verstanden wird.

Von der kulturpessimistischen Klage über den Verlust von Identität und Tradition ist es bei den europäischen extremen Rechten bekanntlich nicht weit zum Antiamerikanismus. Europa wird dabei als positives, weil kleinräumiges und an nationalen Traditionen festhaltendes Gegenkonzept zum pluralistischen Melting Pot der USA gezeichnet. Im freiheitlichen Handbuch werden der "Verlust der Weltgeltung Europas" und "Absinken zu einem Protektorat Amerikas" beklagt. Das freiheitliche Bekenntnis zu Europa und auch explizit zur europäischen Integration wird daher nicht zuletzt mit geopolitischen Überlegungen begründet: Angesichts der Konkurrenz müsse man sich in "weltweiten Verteilungskämpfen" nicht nur gegenüber den USA, sondern auch gegenüber China, Russland sowie "der islamischen Welt und anderen Teilen der Dritten Welt" behaupten.

Im Konzept der EU sieht die FPÖ den Verlust der eigenen Identität durch Multikulturalisierung.
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"Verteidiger Europas"

Die Idee von Europa widerspricht extrem rechter Politik nicht, vielmehr war sie seit Beginn der Moderne ideengeschichtlich mit antisemitischen, kolonialen und nationalistischen Politiken verknüpft. Dementsprechend beziehen sich seit jeher antiliberale und autoritäre Gruppen und Parteien auf den Begriff und besetzen ihn mit ihren jeweiligen Gesellschaftsdiagnosen und Politikvorstellungen. Bei den deutschen und österreichischen extremen Rechten nach 1945 versteckte sich beispielsweise hinter dem Ruf nach einem geeinten Europa nicht selten der verklausulierte Wunsch nach erneuter deutscher Hegemonie. Die Idee eines auf Basis liberaler Demokratie geeinten Europas ist dagegen vergleichsweise jung und auch selbst in sich widersprüchlich, wie die politische Wirklichkeit zeigt. Der Europagedanke ist daher nicht per se das Gegenteil von Nationalismus und Allheilmittel gegenüber populistischer Politik, sondern selbst ein zentraler Bestandteil autoritärer Politiken.

Die FPÖ lehnt daher weder Europa noch die europäische Integration an sich ab, sondern integriert beide Aspekte vielmehr in ihre extrem rechte Politik. Die gemeinsamen europäischen Interessen, so legt die freiheitliche Programmatik nahe, lägen in der Abwehr des Fremden durch die Schließung der Außengrenzen und dem Schutz der "eigenen" Identität vor gesellschaftlicher Modernisierung und einer zumindest in Ansätzen kosmopolitischen Gemeinschaft. Es ist der Traum von ethnisch reinen beziehungsweise gesäuberten Gesellschaften mit traditionalen Strukturen und exklusiven Identitäten. Der Vorwurf, die FPÖ wäre europafeindlich, greift daher zu kurz. Viel wichtiger wäre eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den ideologischen Begründungen und den Zielen freiheitlicher Europapolitik. Dann zeigen sich auch die ideologischen Verwandtschaften mit den selbsternannten "Verteidigern Europas" wie den sogenannten "Identitären" oder auch Anders Breivik. (Matthias Falter, 22.2.2018)