Bei den Autos geht's doch auch. Obwohl viele Fachleute sagen, dass Weiß als sicherste Autofarbe gilt, sind auf manchen Parkplätzen Karossen in Absinthgrün, Boretschblau, sogar in Dotterblumengelb zu finden. Es ist erstaunlich, wie farbenmutig so mancher Zeitgenosse bei der Auswahl seiner Autofarbe ist. Oder nehmen wir den Kollegen im Büro, der tatsächlich in einer Campari-roten Schnürlsamthose antanzt. Darüber? Ein Pullunder in Gurkengrün. Zugegeben, auch in Sachen Autos und Mode gibt es viel farblichen Einheitsbrei, aber geht es um die Innenwände von Wohnungen und Häusern, sieht es besonders trist aus. In Österreich ist die Wanddekorationsoberfläche Nummer eins noch immer der weiße Adler auf weißem Grund. Doch das ändert sich mehr und mehr.

Warum man hierzulande, etwa im Gegensatz zu England, das als Land der Vielpinsler gilt, so chromophob veranlagt ist, hat mit Ausnahme einer Phase der psychedelischen Tapeten in den 1970er-Jahren eine lange Tradition. Der Künstler David Batchelor, der ein Buch über "Chromophobie", also die Angst vor der Farbe schrieb, meint, diese Furcht basiere auf einer Art Faulheit. Die Leute würden oft so tun, als würden Farben gar nicht existieren. "Ich will keine Tipps für die Verwendung von Farben im Wohnraum oder sonst wo geben. Es geht darum, Farben zu feiern und Ängste zu überwinden", sagte Batchelor.

Auch hierzulande wird häufiger zu Farbe gegriffen.
Foto: getty images/istockphoto/severija

Farbe für die Vorstadtweiber

Bettina Gramath, die in der Wiener Wollzeile 1 unter anderem mit prestigeträchtigen Farbenmarken wie "Farrow & Ball" oder "Mylands" handelt, schiebt die Schuld ein Stück weit der Zunft der Architekten in die Schuhe. "Nicht wenige von ihnen sind in Sachen Innenraumfarben schlichtweg überfordert, fragen aber mittlerweile vermehrt um Beratung an", sagt die Einrichtungsberaterin, die in Sachen Farben auch in den Diensten des Kunsthistorischen Museums, des Belvedere und des Location-Designs der Serie "Die Vorstadtweiber" steht, wo Farben von Zuckerlrosa bis Knallrot zum Einsatz kommen – je nach Vorstadtweib.

Die Fachleute sehen jedoch Farbe am Ende des Tunnels. Immer mehr Menschen werden neugieriger, experimentierfreudiger, was mit der stärker werdenden Präsenz von farbigen Wänden in diversen Magazinen und farbenfrohen jungen Designern begründet wird. Neben Tapeten werden auch Wandfarben zunehmend eine Möglichkeit zum Ausdruck eines persönlichen Lebensstils. Trauen muss man sich halt. Und damit beschäftigen sollte man sich auch.

Manche experimentieren mit diversen Weißtönen, die erstaunlich unterschiedlich wirken und einem Raum in Kombination mit anderen Farben mehr Tiefe und Wärme verleihen können. Im Trend sind Farben wie Blaubeere, pastellige Töne oder Karamel, und auch der Mut zu dunkleren Blau- und bis ins Schwarz gehenden Grautönen wächst. Miesepetrische Rückschlüsse, dies habe mit düsteren Zeiten zu tun, seien dem Leser überlassen. Bei Pantone lautet die Trendfarbe des Jahres 2018 Ultra Violet – wem das zu blumig ist, der setzt auf die ebenfalls äußerst gefragte Couleur namens "Elephant's Breath", die an einen frisch gewaschenen Elefanten erinnert.

Der Mut zu dunkleren Tönen wächst.
Foto: mylands

Keine Reue

Aber wie findet man die Farbe, die zu einem passt? Der Trend ist das eine, der eigene Charakter und Geschmack das andere. Außerdem ist der Mensch angeblich fähig, 20 Millionen Farbtöne wahrzunehmen. Vorausgesetzt, man ist nicht farbenblind.

Unterm Strich geht es weniger um die Frage, welche die richtige Farbe für welchen Raum ist, sondern wie man generell zu seiner Einrichtung steht. Die international renommierte Designerin Hella Jongerius, die an einer Art Farbbibliothek für Vitra arbeitet, sagt: "Farbe benötigt einen Nachbarn. Neben einer Farbe, egal, auf welchem Objekt, kommt immer ein Objekt mit einer anderen Farbe, welches Einfluss ausübt." Gerade deshalb kommt es in Sachen Farben auch darauf an, sich mit seinem Einrichtungsstil zu beschäftigen und sich idealerweise auch beraten zu lassen.

Bettina Gramath empfiehlt neben Farben mit gut 30 Prozent Pigmentanteil und einer Beratung vor Ort auf jeden Fall einen Probeanstrich, wobei sie rät, eine Leinwand mit der infrage kommenden Farbe zu bepinseln und mit dieser stückchenweise durch die Wohnung zu wandeln. So zeigt sich je nach Licht, Ausrichtung der Wohnung, Mobiliar, Textilien, Bodenbelägen etc., wie die Farbe wirkt, die sich über den Tag verändert. Gramath: "Ich kenne keinen Kunden, der es bereut hat, seine weiße Wandfarbe aufgegeben zu haben." Sich die Sache dennoch gut zu überlegen liegt auf der Hand, schließlich wechselt man die Wandfarbe nicht wie sein Hemd.

Allen Unschlüssigen oder tatsächlich Chromophoben seien die Worte der Designerin Hella Jongerius ans Herz gelegt: "Es gibt keine falschen Farben. Es ist wie beim Essen: Einen Tag wollen Sie Pasta, am nächsten Schnitzel. Der Magen verlangt nach Essen – das Auge nach Farben. Manche Menschen kennen sich besser aus, manche weniger." Anders gesagt, manche trauen sich mehr, andere weniger. Und die Geschmäcker? Die sind sowieso verschieden, so wie das Licht, über das die Designerin sagt, Farben seien dessen Lebendigkeit. (Michael Hausenblas, RONDO, 3.3.2018)

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