Bluse Dries van Noten, Kleid Fendi, Kragen Miu Miu, Sonnenbrille George Keburia, Latexhandschuhe HW Design.
Foto: Stefan Armbruster

Die Handschuhe, sie wollen einfach nicht. Drei Personen ziehen und zerren an zwei Latexschläuchen herum. Es hilft nichts, die Teile sind zu eng, um sie die Arme hochzubekommen. Da kann das fröstelnde Model noch so schmale Gliedmaßen haben. Modeshooting am Rande des Highways am tunesischen Salzsee Chott el Djerid, der Fotograf drängelt schon: Das Licht, bald geht die Sonne unter! Also her mit dem Make-up-Puder. Zum Schluss verteilte der Stylist für den Glanz noch ein Schuss Gleitgel auf den überlangen Handschuhen (das Ergebnis ist hier links zu sehen).

Störrisches Latex, transparente Overknee-Stiefel, skulpturale Kleider, ein Shooting rund um das Thema Plastik folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten: Das Material hat seine Tücken.

Eine Portion Zickigkeit hat in der Mode allerdings noch nie geschadet. Und so fangen die Modedesigner den sexy Schimmer in ihren Kollektionen reihenweise ein. Shayne Oliver, der amerikanische Kreativchef von Helmut Lang, entwarf einen rot glänzenden Lackmantel, der an die coolen Entwürfe des legendären Firmengründers erinnerte, Raf Simons legte bei Calvin Klein eine Schicht transparenten Kunststoff über karierte Mäntel oder geblümte Kleider, bei Burberry werden seit einer Saison Mäntel aus Polyethuran gefertigt und bei Margiela trugen die Models zuletzt Plastiktüten über den Laufsteg. Miuccia Prada setzte dem noch eins drauf: Ihre Mäntel sehen aus, als seien sie aus Plastik, bei genauerem Hinsehen wird klar: Ausgetrickst!

Gina Bock trägt einen Mantel von Prada.
Foto: Stefan Armbruster

Vielleicht spielt die Italienerin ja auf das längst angeschlagene Image von Plastik an: Im normalen Alltag ist Kunststoff heute verpönt. Im Supermarkt muss für jedes Plastiksackerl extra gezahlt werden (wenn es nicht bereits durch Exemplare aus Papier ersetzt wurde). Als fortschrittlich gilt heute, wer auf Verpackungen verzichtet – das Ding der Stunde heißt "Zero Waste". Der Flirt der Mode mit den verführerischen Oberflächen von Plastik, PVC, Vinyl könnte also erst einmal als Provokation gelesen werden, gemäß dem Motto: "Political Correctness", nein danke!

Kleid A.W.A.K.E. (Matchesfashion.com), PVC Boots Chanel, Stutzen Miu Miu, Ohrringe Vanessa Schindler.
Foto: Stefan Armbruster

Ganz so simpel ist die Sache dann aber doch nicht. Plastik ist nicht gleich Plastik: "Die Entwicklung von nachhaltigen Kunststoffen als Alternativen zu ressourcenaufwendigen, konventionellen Textilien ist ein heißes Thema in der Mode", erklärt Modedesignerin Ute Ploier, die in Linz den Studiengang "Fashion & Technology" leitet. Doch auch wenn in einigen Modehäusern backstage geforscht werde, verarbeiteten viele Designer noch konventionelle Kunststoffe: "Sehr teure Stoffe werden mit der billigen Anmutung von PVC gekreuzt, da geht es um den modischen Gag." Vorteil dieses Trends: Nachahmungen sind für große Ketten wie Zara und Mango eine billige Angelegenheit, sie liegen längst in den Regalen.

Elegante Speerspitze der Operation Plastik ist derzeit allerdings der 83-jährige Karl Lagerfeld. Er steckte die Models bei Chanel in diesem Frühjahr in durchsichtige Kunststoff-Capes (siehe Foto rechts unten) und exzentrische transparente Stiefel (Prädikat: salzseetauglich, siehe Foto links). Ausgerechnet!

Plastik-Pop

In den 1960er-Jahren, der Hochzeit der poppigen Plastik-Euphorie, hatte die Designerin Coco Chanel, damals schon in ihren Achtzigern, noch verschnupft auf Entwürfe aus Kunststoff reagiert. Der junge Paco Rabanne, der damals alle möglichen Materialien auseinanderschnitt und zu knappen Kleidern montierte, war für sie ein "Plastikbombenbauer", das war selbstverständlich nicht als Kompliment gedacht. Mehr Unverständnis hätte die Französin dem damaligen Zeitgeist nicht entgegenbringen können.

Rabanne aber ließ sich damals nicht beirren. Der Designer beharrte auf der Sexyness billiger Materialien, fertigte Kleider und Accessoires aus Rhodoïd, einem harten sowie leichten Kunststoff. Rabanne wähnte sich mit seinen Designs auf der Seite des Fortschritts. "Modeschmuck aus Strass, vergoldetem Metall und falsche Steine"? "Abscheulich!", machte er 1966 seinem Ärger gegenüber einer französischen Zeitschrift Luft. Und: "Nichts ist erbärmlicher als diese Modeschöpfer, die im Namen der Fantasie das Echte nachäffen. Wenn ein Schmuckstück falsch ist, muss man das aus zwanzig Metern Entfernung sehen können."

links: Kleid Bottega Veneta, Gürtel Christian Dior.
rechts: Anzug von Mila Petrova, Cape Chanel und Schuhe von Hermès, Ohrringe Sportmax.
Foto: Stefan Armbruster

Die Kunststoff-Mode bildete die Begeisterung der 1960er für Wissenschaft und Technik ab: Neil Armstrong setzte auf dem Mond auf, und France Gall besang den Computer Nr. 3, der für sie den richtigen Mann suchen sollte. Dystopische Zukunftsszenarien wie sie die Netflix-Serie "Black Mirror" gerade heraufbeschwört, lagen in weiter Ferne.

Provokation Kunststoff

In der bis dahin exklusiven Welt der Mode funktionierten Kunststoffe als Provokation, und auf die verstanden sich damals wenige so gut wie Gernreich, Courrèges oder eben Rabanne: "Meine Kleider sind Waffen. Wenn man sie zuknöpft, glaubt man das klickende Geräusch zu hören, das beim Entsichern eines Revolvers entsteht", erklärte Letzterer. Und blieb bei seiner Strategie. Er machte vor kaum einem Material halt. Rabanne goss Plastikwesten auf den nackten Körper, designte Kleider aus Aluminiumjersey und webte Mitte der 1970er-Jahre Kleidungsstücke aus Gummibändern.

Rudi Gernreich produzierte unter der Sonne Kaliforniens gelbe, grüne, rote Kopfbedeckungen aus Kunststoff und schimmernde Overknee-Stiefel aus PVC. Die Reaktionen schwankten zwischen Begeisterung und Entsetzen. Schon bald aber galten Plastikkleider als heißes Ding.

Kleid mit Gürtel von Vanessa Schindler.
Foto: Stefan Armbruster

Cynthia, die erste Frau des Beatle John Lennon, wurde 1964 am Flughafen in einen schimmernden Lackmantel von Mary Quant erwischt. Der beige Kurzmantel mit den beiden aufgesetzten Taschen war Teil der "Wet Look-Kollektion" der britischen Designerin. Mittlerweile haben sich Euphorie und Aufregung gelegt, das Mantel-Modell von Quant wird im Londoner Victoria & Albert-Museum konserviert.

Heute sind oft jene Materialien am fortschrittlichsten, denen man ihren Experimentiercharakter nicht ansieht oder -fühlt. "Die Herausforderung ist, Kunststoffe in unterschiedlichen Haptiken zu erzeugen, sie weicher oder luxuriöser erscheinen zu lassen. Manche von ihnen muten wie Jersey an", erklärt Modedesignerin Ute Poier. Beispiele für solche Experimente gibt es einige. Die britische Designerin Stella McCartney ließ von dem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen Bolt Threads Spinnenseide chemisch herstellen. Der schwedische Retailer H&M bringt im April seine Conscious-Kollektion heraus. Sie besteht aus Econyl, einem Material, das aus Fischernetzen und anderen Nylonabfällen hergestellt wurde.

Lackkleid von Aquilano Rimondi, Sandalen von Sportmax, Sonnenbrille von Gucci und Ohrringe von Saskia Diez.
Foto: Stefan Armbruster

Noch allerdings dominiert die laute Lesart von Plastik, Kunststoff, PVC. Die Mode flirtet mit dem Fetisch-Image von Latexmaterialien, kokettiert mit dem Reiz des Einschnüren und Verpackens und den glänzenden Oberflächen. Louis-Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière zum Beispiel zeigte bereits 2016 in seiner Herbstkollektion glänzende Kunststoffhosen. Die Schläuche hätten auf jedem Techno-Event im wiedervereinigten Berlin der 1990er-Jahre eine gute Figur gemacht. In eine ähnliche Kerbe schlagen die hoch geschlitzten Lackhosen des Wiener Designerlabels Hvala Ilija (zu sehen auf dem zweiten Foto von oben). Sie seien, erklärt der Designer, nicht umsonst aus dem reflektierenden Material gefertigt worden. Er finde PVC spannend, weil es im Nachtleben verortet sei. Das soll allerdings nichts heißen. Die Mode von Hvala Ilija funktioniert im Alltag wie im Techno-Club – und manchmal auch mittags um zwei an einem Salzsee in Tunesien. (Anne Feldkamp, RONDO, 2.3.2018)

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