Ergometer sind nicht nur ein fixes Interieur im Fitnesscenter, sondern auch in manchen österreichischen, deutschen und schwedischen Schulen.

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Wien – Vor rund zehn Jahren hat das Lernen auf Rädern begonnen: Im Schuljahr 2007/08 startete die Ergometerklasse in einem Gymnasium – dem GRG 21 in der Ödenburger Straße, Wien-Floridsdorf. Die Schüler folgten dem Unterricht täglich eine Stunde lang auf einem Trainingsfahrrad mit Schreibpult. Der Sportwissenschafter und Initiator Martin Jorde begleitete das Vorhaben im ersten Jahr wissenschaftlich im Rahmen seiner Dissertation.

Mittlerweile wird an vielen Schulen in Österreich, aber auch in Deutschland und Schweden nach dem Wiener Vorbild geradelt. Die wichtige tägliche Turnstunde könne der Ansatz aber keineswegs ersetzen, sagt Jorde.

Schon vor Beginn des Projekts sei er ein starker Befürworter der täglichen Sportstunde gewesen. Damals sei man mit der Idee aber noch "gegen Windmühlen gelaufen. Dann dachte ich mir, dass ich die tägliche Sportstunde in die Klasse hereinholen muss", erzählt der Sportwissenschafter. Das Projekt wurde 2008 mit dem Gesundheitspreis der Stadt Wien ausgezeichnet.

Weniger Aggressionen

Eine begleitende Studie ergab, dass die Schüler der Ergometerklasse sich im Vergleich zu den beiden Kontrollklassen besser konzentrieren konnten, aufmerksamer waren, bessere Blutwerte aufwiesen, bei sportmotorischen Tests besser abschnitten und weniger Unterrichtsstunden versäumten. Auch der Body-Mass-Index (BMI) der radelnden Kinder blieb entweder konstant oder ging leicht runter, während die Kontrollklassen einen Anstieg verzeichneten. Jorde freut es außerdem, dass die Aggression innerhalb der Klasse deutlich zurückgegangen ist.

Doch auch die Schüler selbst kamen auf neue Ideen und setzten sich für eine gesunde Ernährung in der Schule ein. Die Initiative Vitamine auf Rädern wurde ins Leben gerufen, frisches Obst und Gemüse zum fixen Bestandteil des Speiseplans. In Wien-Floridsdorf haben bisher rund 360 Schüler ihre ersten beiden Schulstufen am Gymnasium teilweise am Ergometer sitzend durchlaufen. Ab der dritten Klasse werde die Umsetzung schwierig, da die Jugendlichen dann bereits in vielen Fächern in anderen Räumen unterrichtet werden.

Das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Bewegung wird damit verankert, so der Pädagoge. "Da hat sich ein Hype entwickelt, der dazu geführt hat, dass es in ganz Österreich und auch in Deutschland sehr viele Schulen gibt, die aufgesprungen sind", sagt Jorde.

Lernen auf Rädern

Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO ergab, dass 30 Prozent der achtjährigen Kinder in Österreich adipös sind. Den Hauptgrund für diese Entwicklung sehen Experten vor allem im Bewegungsmangel und dem Überangebot an Ernährung. Die schrittweise Einführung der "Täglichen Bewegungs- und Sporteinheit" (TBuS) habe daran noch nicht viel geändert. Das liegt Jorde zufolge aber auch an den Rahmenbedingungen.

Ob die TBuS an einem Schulstandort durchgeführt wird, hänge immer noch von der Entscheidung des Schulgemeinschaftsausschusses (SGA) ab und liege damit im Bereich der Schulautonomie. Mehr Stunden für die Durchführung gebe es in der Regel nicht.

"Würden wir die TBuS in unserer Schule einführen, müssten andere Fächer Stunden hergeben. Gegen diese Methodik wehre ich mich, weil das ein Zerfleischen innerhalb des Lehrkörpers oder der Fachgruppen mit sich bringt", sagt Jorde. Projekte wie die Ergometerklasse hängen allerdings wiederum vom "Idealismus der Lehrer" ab. Das könne auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. (slxm, 2.3.2018)