Der Fotograf Helmut Wimmer hat mit seinen Bildern aus dem Kunsthistorischen Museum eine Landschaft gemacht.

Foto: Helmut Wimmer

Wildes Meer ...

Foto: Helmut Wimmer

... schmutzige Erde ...

Foto: Helmut Wimmer

... massive Felsbrocken ...

Foto: Helmut Wimmer

... oder Waldlandschaft: In Helmut Wimmers Montagen dringt die Natur in die Sammlung des Kunsthistorischen Museums ein.

Foto: Helmut Wimmer

Jacqueline Kornmüller

Foto: Vadim Belokovsky

Peter Wolf

Foto: Vadim Belokovsky

STANDARD: Die Natur ist die Hauptdarstellerin in Ihrer neuen Ganymed-Produktion, die am 7. März im Kunsthistorischen Museum in Wien zur Aufführung kommt. So steht es zumindest im Pressetext. Wie kam es zu dieser Idee, die Natur in den Mittelpunkt zu rücken?

Kornmüller: Spätestens seit Ganymed Female haben wir einen Fokus gesetzt. Von den 660 Malern der KHM-Kunstwerke sind nur acht Frauen. Da wurde uns klar, wie gut es ist, ein klares Thema zu haben. So eine klare Setzung tut auch den Autorinnen und Autoren gut. Dieses Mal, für das Nature-Projekt, war Martin Pollacks Buch Kontaminierte Landschaften unser eigentlicher Impuls. Er beschreibt darin die Massenvernichtungen in freier Natur. Hinter Natur verbirgt sich eben auch das. Sein Text ist für dieses Projekt sicher unser Schlüsseltext (siehe "Lustvolles Graben", ALBUM, Seite 4).

Wolf: Uns interessiert die Natur ja nicht so sehr als Idyll oder als romantischer Begriff. Es findet gerade ein Paradigmenwechsel statt, wie das etwa auch Andreas Weber in der Zeit-Ausgabe vom 15. Februar so treffend in seinem Text "Schläft ein Lied in allen Dingen" beschrieben hat. Natur ist im Moment das Thema schlechthin, und zwar nicht nur deshalb, weil der US-amerikanische Präsident Donald Trump zu ignorant ist, um den Klimawechsel anzuerkennen, sondern auch, weil wir alle die Dimension noch nicht wirklich erkannt haben, was es heißt, sich der Natur zu stellen. Natur nicht als romantischer Begriff also, sondern als knallharter Seinsbegriff.

STANDARD: Welche Positionen sind in der Arbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern beim Inszenieren dieser verschiedenen Naturtexte aufgetaucht?

Kornmüller: Ich glaube, das Ganze wird ganz anders, als erwartet. Wir haben versucht, uns der Natur von den verschiedensten Seiten anzunähern. Und wir haben uns dabei natürlich viel von der Malerei inspirieren lassen. Für die Malerei ist die Natur das Thema schlechthin. Es gibt Hunderte von Landschaftsbildern, Blumen- und Tierstillleben. Aber diese Bilder erzählen immer auch etwas Gesellschaftspolitisches oder Religiöses. Es geht hier weniger um Umweltschutz oder Umweltpolitik. Das Thema ist viel größer! Im Text des verstorbenen Autors David Foster Wallace geht es zum Beispiel um den Schmerz des Tieres. Und wie wir uns als Menschen in dem Moment der Nahrungsaufnahme eigentlich nicht den Umständen stellen, in die das Tier versetzt wird, was ihm geschieht. Dem Rind wird das Horn abgesägt, dem Schwein der Schwanz gekappt – und das alles ohne Betäubung. David Foster Wallace legt da in seinem Hummertext den Finger auf die Wunde. Den Pollack-Text interpretiert die Japanerin Manaho Shimokawa, die vom Tanz kommt, und der Autor fand das überaus passend. Der japanische Butoh ist der Tanz der Hässlichkeit und der Zerstörung und auch der Tanz, der sich in Japan gegen den Faschismus aufbäumt. Da trifft sich dann alles wieder. Es gibt so viele Zugänge. Wenn man über Natur und damit das Natürliche nachdenkt, denkt man vielleicht auch über das Übernatürliche nach. Wir haben versucht, den Begriff in viele Richtungen zu dehnen.

Wolf: In unserer Inszenierung ist auch das syrische Mädchen Rania Mustafa Ali, das nach Österreich geflohen ist. Bei ihr ist es der Kampf gegen die Natur. Rania hat ihre eigene Flucht gefilmt, und der Guardian hat diese Zusammenarbeit zwischen ihr und einem norwegischen Filmer gezeigt. Sie ist in Österreich gelandet und hat sich hier, obwohl sie Asyl bekommen hat, trotzdem ein Jahr gelangweilt, weil sie einfach niemanden kennt. Sie erzählt in Ganymed über etwas sehr Erstaunliches, nämlich die Ruhe auf der Flucht. In dieser Ruhe lassen sich das ganze Debakel und die Erschöpfung viel besser ausmachen als in einer Aufgeregtheit. Und es ist sehr interessant ihr dabei zuzuschauen, wie sie im Zuge dessen auch mit der Natur in Konflikt kommt.

Kornmüller: Flucht heißt auch ständig, Natur zu überwinden: Wind, Nässe, Schnee, Berge, Flüsse, Grenzen. Zeltstädte, die im Regen versinken. Das ist auch Natur. Und Natur ist es auch, wenn es um künstliche Befruchtung geht, sprich um unser Verhältnis zur Schöpfung. Wie kreieren wir uns? Wir können jetzt vielleicht mithilfe der Medizin damit umgehen, wenn wir selbst keine Kinder auf natürlich Art und Weise bekommen können. Das bringt uns aber wieder ganz schnell an ethische und moralische Grenzen. Eine Frau steht vor dem Bildnis Maria mit Kind und erzählt davon, wie sie von einer Hormonbehandlung richtig überrollt wird. Wie kommt die Frau psychisch damit zurecht? Rechtfertigt das alles? Denn andererseits ist auch der Kinderwunsch in unserer Gesellschaft wiederum natürlich.

Wolf: Das Schöne ist: Wir lassen uns mit diesem Projekt immer ein Jahr Zeit. Es ist eine sehr langsame Konstruktion. Da kommen viele Dinge auch zufällig auf den Weg. Wir sind Sammler geworden. Am Ende stehen wir meist mit 50 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern da, deren Arbeit sich natürlich in unsere einmischt. Das hat einen unglaublich großen Reibungs- und auch Befruchtungseffekt, der am Schluss ein Ergebnis bringt, das sicher nicht eindimensional ist.

Kornmüller: Immer weg vom Naheliegenden.

Wolf: Wir sind immer ganz überrascht, wie so ein Begriff, wenn man ihn lange anschaut und sich damit beschäftigt, in die Tiefe geht. Da lernen auch wir viel.

STANDARD: Wenn man sich so viel mit einem Begriff wie dem der Natur beschäftigt, verändert sich dann auch der eigene Blick auf die Natur, wenn man sich dann darin aufhält?

Kornmüller: Ganz extrem. Das war auch beim Feminismus so. Unser Verständnis vertieft sich, es verschärft sich. Es radikalisiert auch manchmal.

Wolf: Ich bin sicher, dass sich mein Naturbegriff sich mit Ganymed Nature sukzessive vertieft.

STANDARD: Naturverbundenheit war ja früher etwas, das vielfach belächelt wurde. Da scheint sich etwas zu verändern ...

Kornmüller: Wenn man früher versucht hat, schreibt Martin Pollack, nach Massenerschießungen Menschen einzugraben in den weichen Boden, dann gab es eine Blume, die Wolfslupine, die da noch gewachsen ist. Immer, wenn ich jetzt an einem Wolfslupinen-Feld vorbeikomme, denke ich darüber nach, was an Erbe in unseren Landschaften liegt. Wir haben eine kleine Ruine in der Oststeiermark. Wenn ich da den Garten umgrabe, finde ich auch immer wieder unglaubliche Sachen. Ich bin, wie Martin Pollack auch, ein Maulwurf im Garten.

STANDARD: Diese idyllische oder idealisierte Landschaftsbetrachtung, diese Sehnsucht nach Ruhe und Zurückgezogenheit, ist die überhaupt noch zulässig?

Kornmüller: Sicherlich auch, denn die Natur hat auch einen zutiefst heilenden Ansatz. Wenn ich es schaffe, nur eine halbe Stunde spazieren zu gehen, geht es mir schon besser. Die Natur schafft das.

Wolf: Wenn ich mich erholen will, setze ich mich ans Feld in der Steiermark. Das ist nicht besonders schön, keine große Idylle, aber es ist zutiefst erholsam. Dort lese ich ein bisschen und schaue nur aufs Feld.

Kornmüller: Dieses sich Abarbeiten an der Natur und mit der Natur ist etwas enorm Wichtiges, finde ich. Wie wächst ein Kopfsalat im Gegensatz zu einer Melanzani. Das sind einfache, aber wesentliche Dinge.

Wolf: Wenn wir als Gesellschaft anfangen zu verstehen, dass die Natur unser Gegenüber oder unser Partner ist, und wenn wir der Natur – fern aller Esoterik und allen Bäumeumarmens, was ja sicher eine nette Sache ist, die niemanden stört – eine Bedeutung geben, dann ist das für die Gesellschaft gesund. Die Natur ist dafür ein großartiger Begriff, reich und noch vollkommen unterentwickelt.

Kornmüller: Wenn ich heute durch die Gemäldegalerie des KHM gehe, sehe ich nur noch Natur. Ich könnte noch einmal doppelt so viele Szenen machen, einmal Nature wird nicht reichen. (Mia Eidlhuber, 4.3.2018)