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Die ewige Kanzlerin? Im Herbst 2005 trat Angela Merkel ihr Amt an. Wie lange sie noch bleiben wird, ist unklar.

Foto: AP / Martin Meissner

Zu Beginn ein Blick zurück. Man erinnere sich an den 22. November 2005. An diesem Tag wurde Angela Merkel zum ersten Mal im Bundestag zur Kanzlerin gewählt. Es gratulierten aus den USA Präsident George W. Bush, aus London Tony Blair, aus Frankreich Jacques Chirac, in Österreich war damals Wolfgang Schüssel (ÖVP) Bundeskanzler.

Sie alle sind längst nicht mehr im Amt, selbst die Nachfolger haben bereits wieder den Dienst quittiert. Nur Merkel sitzt immer noch im Sattel. Gibt die SPD am Sonntag ein Ja zur Groko bekannt, wird sie bald darauf – wahrscheinlich am 14. März – zum vierten Mal ins Kanzleramt einziehen.

Es ist nicht so, dass Merkel niemals ans Aufhören denkt. Sie macht sich da so einige Gedanken und hat im Gespräch mit der Fotografin Herlinde Koelbl einmal gesagt: "Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden. Das ist viel schwerer, als ich mir das früher immer vorgestellt habe. Aber ich will dann kein halb totes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige."

Das war allerdings im Jahr 1998, Merkel CDU-Generalsekretärin. Zwanzig Jahre später ist immer noch kein Szenario für den Abgang in Sicht und Merkel zum Weitermachen entschlossen, zur Not auch als Chefin einer Minderheitsregierung.

"Deutschland dienen"

In zwei Jahren hätte sie den ersten deutschen Kanzler, Konrad Adenauer (14 Jahre Regierungszeit von 1949 bis 1963) eingeholt, noch mal zwei Jahre später den Rekordhalter Helmut Kohl mit 16 Jahren Amtszeit (1982 bis 1998).

Machtversessenheit wird ihr immer wieder vorgeworfen. Alle Konkurrenten habe sie weggebissen: Friedrich Merz, Roland Koch, Christian Wulff. Merkel sieht das natürlich ganz anders. "Ich will Deutschland dienen", sagt sie zum ersten Mal im Mai 2005, als Gerhard Schröder noch regierte und die Union sie zur Kanzlerkandidatin für die Wahl im September nominierte.

Diesen Satz hat sie seither einige Male wiederholt – bei ihrer Vereidigung und auch, als sie im Herbst 2016 ihre vierte Kanzlerkandidatur verkündete. "Neugier" führt sie selbst immer noch als Antrieb an. Eine Portion preußisches Pflichtbewusstsein dürfte auch eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Dann gibt es aber auch noch Gründe für den langen Verbleib im Amt, den die Betroffenen selbst so nicht anführen würden. "Ein Problem ist vielfach die Selbstüberschätzung. Amtsinhaber wähnen sich im Vollbesitz ihrer Kräfte und halten sich für unverzichtbar", meint der deutsche Historiker Michael Philipp, der in einem Buch 250 Fälle von Rücktritten analysierte ("Persönlich habe ich mir nichts vorzuwerfen", Süddeutsche Zeitung Edition, 2007).

Margaret Thatcher musste weichen

Sie kennen den Laden, die Tricks, die Routine, sie haben alles – vom Bankett mit dem US-Präsidenten bis zur Krisensitzung in Brüssel – schon erlebt. Immer sind die aktuellen Herausforderungen die größten. Einer, der nicht eingearbeitet ist, könnte patzen, da macht man es lieber selbst, irgendwann wird sich schon der Zeitpunkt für die Übergabe finden.

Margaret Thatcher war eine, die dies falsch einschätzte. Als Premierministerin (1979 bis 1990) war sie länger im Amt als je zuvor und danach ein britischer Regierungschef. Dreimal haben die Tories mit ihr die Parlamentswahlen gewonnen, ein viertes Mal sei es nicht zu schaffen, fürchten sie.

Im November 1990 musste sie sich einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz stellen, war zunächst wild entschlossen zu kämpfen. Doch der parteiinterne Druck war zu groß, Thatcher trat auch als Premierministerin zurück und verließ Downing Street 10 weinend. Sie hat sich von diesem Schlag nie erholt.

Natürlich ist für die meisten Spitzenpolitiker auch das Leben nach der Politik kein materiell unkomfortables, die Altersvorsorge lässt niemanden darben. Doch viele kennen gar kein Leben außerhalb dieser Blase, haben Angst, in ein tiefes Loch zu fallen, wenn sie gehen müssen.

Und sie ertragen nicht, Einfluss und Ansehen zu verlieren. "Wenn mich auf fünf Schritten keiner erkennt, werde ich depressiv", bekannte die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis (SPD), einmal. Sie wurde 2005 von den eigenen Leuten rausgeworfen.

Politik ist wie eine Sucht

Wolfgang Schüssel war von 2000 bis Jänner 2007 Bundeskanzler. Doch nach der Abwahl wollte er nicht aufhören und als Altkanzler das Leben genießen, sondern noch als ÖVP-Klubobmann in Parlament mitmischen. "Natürlich sind wir auch alle Junkies. Politik ist für mich wie eine Sucht", räumte Horst Seehofer, CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern, ein. Und im Ernst: Kann man sich Seehofer vorstellen, wie er im Hobbykeller nur noch die Züge seiner Modelleisenbahn befehligt?

Dann lieber mit 68 Jahren noch einmal nach Berlin ins Kabinett. "Dass es keine Altersgrenze für Politiker gibt, macht die Sache nicht einfacher. Im normalen Arbeitsleben ist mit 65 oder 67 Jahren Schluss, in der Politik nicht. Und eine Amtszeitbeschränkung wie in den USA gibt es in Deutschland nicht", sagt der Journalist Pascal Beucker, der sich ebenfalls mit der Kultur von Rücktritten beschäftigt (Beucker, Pascal / Überall, Frank: "Endstation Rücktritt", Econ, 2006). Er sieht noch einen weiteren Grund, warum viele den richtigen Zeitpunkt für den Abgang nicht finden: "Je länger jemand im Amt ist, desto mehr Jasager hat er um sich, es fehlt das Korrektiv."

Angst vor dem Dasein als Lame Duck

Oder der Sesselkleber will die kritischen Stimmen nicht hören. Helmut Kohl wurde 1998 gewarnt, noch einmal – nach 16 Jahren – als Spitzenkandidat anzutreten. Aber der "Alte" wollte seinen Kronprinzen Wolfgang Schäuble (CDU) nicht ranlassen und verlor gegen Gerhard Schröder.

Mit den Kronprinzen ist das ja auch so eine Sache. Verhindert man sie, heißt es, man klammere sich ans Amt. Spricht man sich für einen Nachfolger aus, baut jemanden auf und gibt Unterstützung, besteht die Gefahr, nur noch als Lame Duck wahrgenommen zu werden. Und außerdem: Es könnte ja auch der in der Warteschleife übermütig werden.

Bruno Kreisky (SPÖ), Kanzler von 1970 bis 1983, hatte damit seine Probleme. Mit Hannes Androsch überwarf er sich, Leopold Gratz hielt er für ungeeignet, mit Fred Sinowatz war er auch nicht nur zufrieden. Wäre Kreisky nicht krank gewesen, er hätte auch selbst noch gerne weitergemacht.

"Die Kunst, den richtigen Abgang zu schaffen, ist sehr schwierig, aber sie gehört zu einer Politkarriere dazu", sagt Beucker. Bei Merkel sieht er "erste Schritte, um Ordnung zu schaffen". Sie hat die bisherige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zur Generalsekretärin gemacht. Diese könnte die Flügel der Partei zusammenzuführen und das Programm erneuern. "Gleichzeitig", so Beucker, "darf Merkel von Kramp-Karrenbauer Loyalität erwarten und muss sich nicht sorgen, dass sie ihren Sturz vorbereitet."

Denn Merkel hat schon klargemacht, dass sie noch bleiben will. Sie habe vor der Bundestagswahl gesagt, dass sie wieder für vier Jahre antreten wolle. Dies sei ihr Wort. Denn: "Ich gehöre zu den Menschen, die Versprochenes auch einhalten." (Birgit Baumann, 3.3.2018)