SRG-Kamera in Crans-Montana vor Schweizer Alpenpanorama am Sonntag, dem Tag der Volksabstimmung über die Schweizer Rundfunkgebühren.

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Bern/Zürich/Wien – Die Schweizerinnen und Schweizer haben die Abschaffung der Rundfunkgebühren in der "No Billag"-Volksabstimmung klar abgelehnt: 71,6 Prozent stimmten gegen "No Billag", 28,4 Prozent dafür. Das Endergebnis finden Sie hier in einer SRG-Grafik. Die Abstimmung hat auch die Mehrheit der Stände verfehlt – auch die wäre nötig gewesen.

2.098.139 Menschen stimmten am Sonntag gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren, 833.630 dafür. Die Wahlbeteiligung betrug 54 Prozent.

Für die öffentliche SRG beginnt mit dem Ja zu den Rundfunkgebühren aber gleich die nächste Debatte: Mehrere Parteien beantragen und fordern Kürzungen bei Gebühren und Werbung.

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand kündigte noch während der Auszählung der letzten Stimmen am Sonntag einschneidende Sparmaßnahmen und Reformen an. Und er sandte freundliche Signale an die privaten Schweizer Medien. Was Marchand Sonntagnachmittag im Detail ankündigte, finden Sie hier: Mehr Info, mehr Schweizer Serien, weniger Textmeldungen online und Archive für Private öffnen.

Von kommerziellen Sendern und Plattformen soll sich der Schweizer Rundfunk künftig klarer unterscheiden, verspricht Marchand: keine Unterbrecherwerbung in Spielfilmen mehr, weiterhin keine Onlinewerbung, keine regionale Werbung in Konkurrenz zu anderen Lokalmedien. Er kündigt "freien Zugriff" auf die SRG-Archive an, nicht mehr allein auf Newsbeiträge. Online soll die SRG künftig auf Textbeiträge ohne Programmbezug verzichten – und damit privaten Plattformen weniger Konkurrenz machen.

Von kommerziellen Kanälen soll sich vor allem das Programm unterscheiden, verspricht Marchand: Die SRG werde sich stärker auf ihre "Eigenheiten" konzentrieren, sie soll "betonen, was sie ausmacht", das sei ihre "Existenzberechtigung".

Mehr Schweiz, mehr Info

50 Prozent des Programmaufwands sollen laut Marchand in "ausgewogene, unabhängige" Information in den vier Landessprachen fließen. Er verspricht mehr Schweizer Filme, Serien, Dokus.

Mehr Eigenproduktion, mehr Information, Zusammenarbeit mit Privaten: Diese Ziele und Vorgaben prägen die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ganz Europa und auch in Österreich. ÖVP und FPÖ haben ein neues ORF-Gesetz angekündigt. Da geht es auch um die Gebühren – die für das Publikum zumindest günstiger werden sollen. Thema hier ist die Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget. Damit entfallen die zweimonatlichen Erlagscheine und Abbuchungen und damit die ständige Präsenz der Zahlungen an den Rundfunk. Die Finanzierung auf Basis jährlicher Budgetbeschlüsse der Regierungsmehrheit erhöht andererseits die politische Abhängigkeit.

In der Schweiz ist Budgetfinanzierung derzeit kein Thema (mehr). An der Kürzung der Mittel für die SRG arbeiten aber mehrere Fraktionen. Schweizerinnen und Schweizer zahlen mit 451 Franken (391 Euro) pro Jahr Europas höchste Rundfunkgebühren. Die GIS in Österreich beträgt rund 300 Euro pro Jahr, von denen aber nur 200 an den ORF gehen.

Ab 2019 sollen in der Schweiz alle Haushalte (wie schon in Deutschland) unabhängig von der Nutzung Gebühren zahlen, geplant sind derzeit 365 Franken pro Jahr. Abgeordnete der rechtskonservativen SVP, die auch die Nobillag unterstützte, haben schon vor der Volksabstimmung eine Senkung auf 300 Franken beantragt. Grünliberale und die bürgerliche BDP wollen ebenfalls eine Senkung. Die Grünen wollen die Werbeeinnahmen halbieren. Die Christdemokraten (CVP) verlangen ein Werbeverbot nach 19.30 Uhr und mehr Gebühren für Private – mehr als 30 private Stationen leben wesentlich von Rundfunkgebühren.

SRG-Chef Marchand versprach am Sonntag, 100 Millionen Franken (von 1,6 Milliarden) einzusparen: "Die Kritik ist angekommen, die Debatte geht weiter."

SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina und SRG-Generaldirektor Gilles Marchand am Sonntag in einer Medienkonferenz zu No-Nobillag.
Foto: Screenshot srgssr.ch

ORF-Chef Wrabetz gratuliert Schweiz

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz gratulierte am Sonntag Marchand, der SRG "und der ganzen Schweiz "zum klaren Ergebnis für einen starken 'Service Public' in der Schweiz". Das "herausragende Ergebnis" habe "weit über die Schweiz hinaus Bedeutung für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", findet der österreichische ORF-Chef vor einem neuen ORF-Gesetz, das die Gebühren durch Finanzierung aus dem Bundesbudget ersetzen könnte.

Wrabetz pflichtet dem SRG-General bei, dass das Votum "nicht nur Bestätigung, sondern auch Auftrag für die SRG ist, sich umfassend weiterzuentwickeln und dabei auf die ‚ermunternden wie kritischen Stimmen zu hören".

SVP-Anträge für weitere Kürzung der Rundfunkgebühr

Die No-Billag-Initiative – benannt nach dem Unternehmen Billag, das die Rundfunkgebühren einzieht – forderte die Abschaffung der Abgabe in Höhe von jährlich 451 Schweizer Franken (392 Euro). Sie soll 2019 auf 365 Franken pro Jahr reduziert werden. Vor wenigen Tagen haben SVP-Abgeordnete eine weitere Reduzierung der Gebühren auf 300 Euro beantragt – wohl schon als Plan B für ein Nein zu No-Billag. Ein weiterer Antrag galt der Abschaffung von – in der Schweiz beträchtlichen – Rundfunkgebühren für Unternehmen. Dieses Ziel verfolgt der Präsident des Schweizer Gewerbeverbands, Jean-François Rime, zugleich SVP-Abgeordneter zum Nationalrat, auch nach dem Nein zu No-Billag, sagte er am Sonntag.

Als einzige Partei hat sich die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) hinter No Billag gestellt, angeführt wird die Initiative von Mitgliedern der Jungen SVP und der Jungfreisinnigen, die der Schweizer FDP nahestehen. Die Befürworter sind der Meinung, dass die Radio- und Fernsehsender auch mit Werbeeinnahmen und Abonnenten überleben könnten. Alle anderen großen Parteien warben für ein Nein bei der Abstimmung.

Raperswilen sagt Ja

Zumindest eine Schweizer Gemeinde stimmte mehrheitlich für die Abschaffung der Billag-Gebühren: In Raperswilen im Kanton Thurgau plädierten 75 Menschen für No Billag, 72 dagegen.

Drei Viertel aus Gebühren

Die SRG finanziert sich zu rund drei Vierteln aus Rundfunkgebühren. Ein wesentlicher Teil der Gebühren geht aber auch an mehr als 30 private Radio- und Fernsehstationen, die ohne diesen Zuschuss ebenfalls nur schwer überleben könnten.

Österreich: ÖVP und FPÖ wollen ORF aus Bundesbudget finanzieren

In Österreich will die FPÖ von Vizekanzler Heinz-Christian Strache abwärts die Rundfunkgebühren abschaffen, sie kampagnisiert seit Wochen gegen die "Zwangsgebühren". Als Alternative kommt von FPÖ wie ÖVP die Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget.

Für eine Budgetfinanzierung – wie in einer Reihe anderer europäischer Länder (Grafik) – spricht aus der Sicht des Rundfunks, dass das Publikum nicht alle zwei Monate per Erlagschein oder Abbuchung an den Beitrag zum Rundfunk erinnert wird (auf den Bund und Länder in Österreich noch ein Drittel an Steuern und Abgaben aufschlagen). Dagegen spricht aus der Sicht des Rundfunks eine (noch) stärkere Abhängigkeit von der jeweiligen Regierungsmehrheit.

Der Schweizer Journalismuswissenschafter Vinzenz Wyss sprach sich im STANDARD-Interview sehr deutlich gegen eine Budgetfinanzierung der SRG aus: "Wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Bundeshaushalt nimmt, dann hätten wir tatsächlich ein Staatsfernsehen. Dann könnte das Parlament, das ja über das Budget befinden muss, jedes Jahr quasi abstrafen oder loben – je nachdem, wie zufrieden die Mehrheitsparteien mit dem Rundfunk und seiner Berichterstattung sind. So würde der Einfluss der Politik meines Erachtens zu groß."

Der österreichische Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner sah das im STANDARD-Interview sehr ähnlich: "Budgetfinanzierung und Steuerfinanzierung bewirken zwangsläufig einen ganz unmittelbaren Zugriff von der Regierung auf den Rundfunk. Das jeweilige ORF-Management muss dann Jahr für Jahr mit einem Finanzminister, einem Medienminister, einem Kanzler oder einer Kanzlerin verhandeln. Das hat unmittelbar negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit in den Köpfen und im ganzen Mediensystem. Das ist nichts, was ich mir als Staatsbürger in Österreich wünsche."

Kaltenbrunner rechnet mit einer Spardebatte für die SRG nach der Ablehnung der No-Billag-Initiative, "wo und wie bei der SRG gespart werden könnte, ob alle Regionalbüros wirklich notwendig sind, wo im Unterhaltungssektor gekürzt werden kann, welche Sportrechte den Privaten überlassen werden sollten. Diese Debatte folgt auf jeden Fall."

Kaltenbrunner rechnet mit neuerlichen Debatten über die Haushaltsabgabe für ARD, ZDF und Deutschlandfunk in Deutschland. Er empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Sendern, insbesondere dem ORF, was die SRG gerade in der No-Billag-Debatte lernen musste: "Öffentlicher Rundfunk muss auf allen digitalen Kanälen und auch im wirklichen Leben hunderte Diskurse mit seinem Publikum eingehen. Und das auf Augenhöhe und nicht als Kundenwerbemaßnahme. Erst das rechtfertigt im 21. Jahrhundert seine privilegierte Existenz – und erklärt uns eine Gebühr." (fid, 4.3.2018)