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"Die Behandlung durch Österreich ist schlecht für die wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen", sagt Sloweniens Premier Miro Cerar.

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An der Grenze zwischen Österreich und Slowenien gibt es immer noch Kontrollen, Cerar findet das "nicht gerechtfertigt".

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STANDARD: Kroatien akzeptiert weiterhin nicht die Entscheidung des Schiedsgerichts zur Grenzziehung. Wann werden Sie beim Europäischen Gericht eine Klage einreichen?

Cerar: Zunächst schreiben wir einmal diese Woche einen Brief an die EU-Kommission, um ihr mitzuteilen, dass Kroatien nicht seine Verpflichtungen gemäß der Entscheidung des internationalen und des europäischen Rechts erfüllt. Wir erwarten, dass die Kommission in richtiger Art und Weise darauf antwortet. Aber wenn die Kommission nichts tut oder unsere Erwartungen nicht erfüllt, werden wir definitiv eine Klage gegen Kroatien einreichen, um zu beweisen, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts für beide Staaten verpflichtend ist und umgesetzt werden muss. Die Klage ist in Vorbereitung.

STANDARD: Kommissar Frans Timmermans sollte eigentlich als Mediator helfen. Was erwarten Sie von der Kommission?

Cerar: Wir erwarten, dass die EU-Kommission in den nächsten Wochen Unterstützung anbietet, und die sollte natürlich in Richtung Umsetzung des Schiedsurteils gehen. Das internationale Recht ist schließlich auch für die Europäische Union bindend. Wir setzen das Schiedsurteil auch gerade um, und zwar dort, wo wir das allein können – also an den Seegrenzen, in der Bucht von Piran. Aber an Land können wir das nicht allein umsetzen.

STANDARD: Sind Sie von der Kommission enttäuscht?

Cerar: Die EU-Kommission hat das Richtige getan, als sie gesagt hat, dass beide Seiten den Entscheid umsetzen müssen. Die Kommission muss zu dieser Position stehen. Für uns ist die Sache nicht so sehr politisch, als rechtlich wichtig. Denn wir schützen die Schengenzone, und da müssen die Grenzen ganz klar definiert sein. Das ist auch im Falle von irregulärer Migration sehr wichtig.

STANDARD: Wenn Kroatien das Schiedsurteil nicht umsetzt, werden Sie dann gegen einen Beitritt Kroatiens zur Schengenzone Einspruch erheben? Kroatien möchte 2019 beitreten.

Cerar: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Kroatien oder irgendein anderes Land in der Schengenzone ist, ohne dass die Grenzen definiert sind. Kroatien hätte nicht einmal der EU beitreten können, wenn es nicht die Schiedsvereinbarung bezüglich der Grenzen zu Slowenien unterschrieben hätte. Es gibt keinen Grund für Kroatien, seine Pflicht nicht zu erfüllen, und es ist auch politisch inkorrekt, diese letztgültige Entscheidung nicht umzusetzen.

STANDARD: Entspricht es demnach der slowenischen Position, dass Kroatien nicht zur Schengenzone und nicht der OECD beitreten kann, solange es nicht das Schiedsurteil umsetzt?

Cerar: Rechtsstaatlichkeit ist eine westliche Errungenschaft, und die gesamte EU beruht darauf. Wenn wir Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptieren, hat die EU keine Zukunft, dann ist es unmöglich, die Einheit, die Zusammenarbeit, die Solidarität und die Demokratie zu erhalten. Wenn ein EU-Staat also die Rechtsstaatlichkeit ignoriert, kann er nicht ein anerkanntes Vollmitglied der EU-Familie sein, und wir können so einem Staat keine Zustimmung geben. Ich würde gerne sehen, dass Kroatien der Schengenzone beitritt, das ist auch im Interesse von Slowenien, aber die Bedingungen müssen erfüllt sein. Und der Respekt für Rechtsstaatlichkeit ist eine davon. Kroatien hat auch noch andere offene Grenzfragen mit den Nachbarn auf dem Balkan.

STANDARD: … und andere Staaten in Südosteuropa haben das untereinander auch.

Cerar: Ich denke, dass die Westbalkanstaaten der EU beitreten sollen, wenn sie die Bedingungen erfüllen. Wenn es um die offenen Grenzfragen geht, sollen sie unserem Modell folgen und Schiedsgerichte beauftragen. Denn wenn man politisch keine Einigung erzielt, gibt es nur mehr das Recht. Ich will nicht, dass irgendwer andere "Lösungen" für solche Konflikte sucht. Doch Kroatien sendet jetzt ein sehr schlechtes Signal in diese Region und in die EU. Ich habe mit dem kroatischen Premier Andrej Plenković gesprochen und ihn versucht zu überzeugen, dass es nur einen Weg gibt, nämlich die Umsetzung des Schiedsspruchs, aber ich habe bei ihm kein Gehör gefunden.

STANDARD: Die schwierigste offene Grenzfrage ist jene zwischen Serbien und dem Kosovo. Wäre es notwendig, um spätere Konflikte zu vermeiden, dass Serbien den Kosovo anerkennt, bevor es der EU beitritt?

Cerar: Es ist im Interesse von Serbien und dem Kosovo, der gesamten Region und der EU, dass solche Angelegenheiten vor dem Beitritt geklärt werden. Das Beispiel Kroatien zeigt ja, was passiert, wenn ein Staat die Standards der EU nicht akzeptiert. Nun sind zwei EU-Staaten in einem Rechtsstreit mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Wir sollten also alle offenen Fragen so lösen, dass wir keine Probleme bekommen.

STANDARD: Österreich macht noch immer Kontrollen an der Grenze. Was antwortet man Ihnen in Wien, wenn Sie fordern, dass die Grenzkontrollen beendet werden?

Cerar: Ich habe mit dem ehemaligen Kanzler Christian Kern darüber gesprochen, und jetzt hoffe ich, dass ich das sehr bald mit dem neuen Kanzler Sebastian Kurz besprechen kann. Es ist ein sehr wichtiges Thema, das schnell gelöst werden muss. Wir sind nicht gegen interne Schengen-Grenzkontrollen, wenn diese gerechtfertigt sind. Aber in diesem Fall ist das nicht gerechtfertigt. Diese Kontrollen wurden wegen der irregulären Migration eingerichtet, und ich verstehe, dass Österreich durch diese riesige Migrationswelle sehr getroffen war und versuchte, den illegalen Zuzug zu stoppen. Aber im Vorjahr gab es nur 39 Migranten, die von Österreich nach Slowenien zurückgeschickt wurden. Bis September wurden überhaupt nur 18 Personen von den österreichischen Behörden an der Grenze aufgegriffen. Das ist nichts im Vergleich zu der Anzahl an Migranten, die aus Italien kommen. Also sehe ich überhaupt keinen Grund, weshalb Slowenien so behandelt wird. Denn diese Behandlung ist schlecht für unsere Wirtschaftsbeziehungen, es ist schlecht für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich möchte bald direkt mit Ihrem Kanzler darüber sprechen.

STANDARD: Aber was antwortet man Ihnen in Wien, wenn Sie mit diesen Zahlen kommen?

Cerar: Man antwortet mir üblicherweise formal, dass es um die Migration geht. Aber wir hören nicht auf zu erklären, dass die Migranten nicht aus Slowenien kommen – vielleicht kommen sie aus anderen Ländern. Für Slowenien ist das aber wirklich sehr unfair. Wir haben sehr gute Beziehungen mit Österreich, aber durch dieses Vorgehen stirbt langsam der Geist von Schengen. Ich bin sehr für Freiheiten, ich will, dass Europa zusammenbleibt und offen bleibt, damit jene, die reisen wollen, reisen können.

STANDARD: Was für ein Europa stellen Sie sich vor? Unterstützen Sie die Ideen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass ein Kerneuropa gebildet werden soll?

Cerar: Einige seiner Ideen sind sehr interessant, etwa Versammlungen mit der Bevölkerung abzuhalten. Ich denke, so etwas sollte jeweils auf die eigene Art in jedem EU-Staat stattfinden. Macron ist ein echter Europäer, und er lebt für die Idee eines vereinigten Europas. Ich stimme mit ihm stark überein, weil ich denke, dass die EU vereint, stark, konkurrenzfähig und solidarisch bleiben sollte. Die Alternative wäre nur, zurück in die Vergangenheit zu gehen, und die war ein Desaster! Die Leute in Europa sollten das eigentlich besser wissen, aber sie sind sich oft nicht all der guten Dinge des Zusammenlebens in der EU bewusst. Es liegt aber an uns, den Führern in der EU und den Institutionen, mehr dafür zu tun, damit es mehr Modernisierung und Beschäftigung gibt.

STANDARD: Sind Sie für eine Vertiefung der EU?

Cerar: Definitiv. Wir müssen bei der Vertiefung ehrgeizig sein, denn der andere Weg wäre die Vergangenheit, die voller Konflikte und sogar Kriege war. Ich will, dass meine Kinder in einer Einheit der Nationen leben, einem Europa, das Menschenrechte und menschliche Würde und die vollen Freiheiten respektiert und wo es keine Grenzen gibt, aber eine moderne Gesellschaft mit ausreichend Wohlfahrt. Aber natürlich müssen die Bürger in all diese Prozesse stärker einbezogen werden. Es ist notwendig, Möglichkeiten zu finden, wie die Bürger und die NGOs stärker mit den Institutionen zusammenarbeiten können, damit sie sich mit Europa identifizieren.

STANDARD: Anfang Juni finden Wahlen statt. Umfragen zufolge liegt Ihre Partei hinter der Liste von Marjan Šarec, hinter den Sozialdemokraten und hinter der rechtspopulistischen SDS. Sie können offenbar überhaupt nicht von einem "Kanzlerbonus" profitieren. Warum sind die Slowenen so unzufrieden mit Ihrer Politik?

Cerar: Als ich das Amt annahm, waren wir noch in einer schweren Finanzkrise, und unsere Regierung musste sehr strenge Maßnahmen ergreifen, um die öffentlichen Ausgaben zu konsolidieren und politische Stabilität zu schaffen. Als wir begonnen haben, lagen die Schulden bei 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir mussten sehr unpopuläre Dinge tun, und deswegen kann die Bevölkerung nicht fühlen, was die Regierung für das Land getan hat. Aber wir hatten im Vorjahr fünf Prozent Wachstum – das ist doppelt so viel wie der Durchschnitt in der EU. Und wir haben die Arbeitslosigkeit von 13 Prozent auf 5,8 Prozent gesenkt. Wir haben auch neue Auslandsinvestitionen, das Werk von Magna-Steyr ist sogar die größte Investition seit unserer Unabhängigkeit. Österreich ist der wichtigste Investor hier. Aber trotz all der positiven Indikatoren, der Prosperität im Land, können die Leute das nicht in ihren eigenen Geldtaschen fühlen. Die Leute wollen mehr Fortschritt in kürzerer Zeit, aber das ist einfach nicht möglich, wenn man eine stabile Entwicklung haben will.

STANDARD: Wenn Sie nicht ein zweites Mal Premier werden können, werden Sie trotzdem in der Politik bleiben?

Cerar: Es ist zu früh, um solche Fragen zu beantworten. Aber wir werden zeigen, dass wir in der Lage sind, die Regierung zu führen. Wir haben ja noch gar nicht mit dem Wahlkampf begonnen. Ich hoffe, dass ich am 10. März beim Parteikongress wieder als Parteichef und Spitzenkandidat gewählt werde.

STANDARD: Slowenien hat noch immer sehr hohe Schulden, über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die OECD warnt, dass die Zinsraten noch steigen könnten. Wie wollen Sie diese Schulden senken, und welcher Level soll erreicht werden?

Cerar: Als wir die Regierung übernommen haben bei einem Schuldenstand von 82 Prozent, haben wir den Prozess des Schuldenanstiegs gestoppt und mit dem Abbau begonnen. Wir erwarten 72 Prozent Schulden Ende des Jahres, also zehn Prozent weniger als zu Regierungsbeginn.

STANDARD: Es ist trotzdem noch zu hoch. Was wollen Sie tun?

Cerar: Mit der Privatisierung weitermachen. Wir haben eine Strategie für alle staatlichen Unternehmen und staatlichen Anteile entworfen. In den zwanzig Jahren zuvor hat niemand ein klares Bild davon gehabt. Jene Unternehmen, die strategisch wichtig sind, werden nicht privatisiert, aber alle anderen schon – und manche wurden es bereits. Zunächst ist unser Ziel, die 60-Prozent-Verschuldungsrate, also die Maastricht-Kriterien, zu erreichen, aber dann weiter mit dem Abbau zu machen. Ein gutes Management bei den staatlichen Betrieben wird uns helfen, die Schulden zu reduzieren.

STANDARD: Eines der größten Privatisierungsvorhaben betrifft die Nova Ljubljanska Banka (NLB). Als sie während der Finanzkrise 2013 verstaatlicht wurde und 1,55 Milliarden Euro Steuergeld zugeführt wurden, wurde mit der EU-Kommission vereinbart, dass bis Ende 2017 75 Prozent der Bank privatisiert werden müssen. Jetzt ist März 2018, und es ist noch immer nicht geschehen. Manche Beobachter meinen, dass die NLB niemals privatisiert wird. Was würden Sie diesen Zweiflern antworten?

Cerar: Wir waren im Vorjahr bereits im Prozess des Verkaufens. Zunächst wurde uns gesagt, dass uns kein Risiko droht, wenn es um die kroatischen Deviseneinlagen geht (es gibt Privatklagen von kroatischen Sparern wegen der Einlagen bei der Vorgängerbank der NLB, der Ljubljanska Banka, Anm.). Aber dann plötzlich haben die Berater der Deutschen Bank gesagt, dass es doch ein Risiko gibt – es soll 400 Millionen Euro betragen. Also mussten wir unsere Verpflichtung ändern, wir konnten nicht riskieren, die Bank in diesem Zustand zu verkaufen, weil dies unseren Steuerzahler schwer geschadet hätte. Die haben ja schon die Rettungsaktion der NLB bezahlt, und jetzt sollen sie noch einmal die 400 Millionen Euro zahlen? Das wäre ein Desaster! Wir mussten das mit der Kommission neu verhandeln, und das tun wir jetzt. Ich bin sicher, dass es in den nächsten Monaten zu einer endgültigen Entscheidung kommen wird.

STANDARD: Aber das bedeutet, dass vorher die Frage mit den kroatischen Deviseneinlagen geklärt werden muss?

Cerar: Ich denke, dass das gelöst werden muss, aber es gibt nicht viel Optimismus, denn es gab ein bilaterales Abkommen, aber Kroatien ignoriert dieses Abkommen. Es tut mir sehr leid, aber das ist der zweite Fall, bei dem Kroatien das internationale Recht bricht – und es ist nicht der letzte. (Adelheid Wölfl aus Ljubljana, 7.3.2018)