Größer könnte der farbliche Kontrast der beiden Bauteile von BKK-3 ...

Foto: BKK-3

... und Rüdiger Lainer im Wiener Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof nicht sein.

Foto: Rüdiger Lainer

Nicht nur für ältere Menschen, auch für Kinder gibt es in der Wohnanlage Platz, etwa in diesem Gemeinschaftsspielraum.

Foto: Rüdiger Lainer

"Das ist mein Herzeigestockwerk!", sagt Dagmar Treitl stolz und öffnet die Tür zu einer hellen, farbigen Innenwelt im zweiten Stockwerk: orange, gelb, grün, weiß. Seit Sommer 2017 ist die Leiterin des Pflegewohnhauses Casa hier mit ihren sechs Hausgemeinschaften zu Hause, und deren 84 Bewohner haben sich längst eingelebt. Einige davon sitzen in einer der überaus geräumigen Wohnküchen am Tisch oder auf dem Fernsehsofa, andere schauen aus dem Fenster auf den verschneiten Helmut-Zilk-Park. "Im Sommer findet das Leben auf den Terrassen statt – die Türen sind breit genug, um auch Bettlägerige in den Genuss der Frischluft zu bringen", freut sich Treitl.

Stolz ist sie nicht nur auf den Lebensstandard ihrer Schäfchen im Inneren, sondern auch auf die Lage in der Stadt: mitten im Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof, mit weitem, unverbaubarem Blick. "Das ist schon eine gesellschaftliche Geste, dass soziale Dienste zentral angesiedelt und nicht irgendwo am Stadtrand versteckt sind", sagt sie und fügt hinzu: "Raum ist Luxus."

Spezielle Bedürfnisse

Raum, das bedeutet hier auch: Raum für spezielle Bedürfnisse. Einige der Bewohner sind demenzkrank und brauchen viel Bewegung, ohne sich zu verlieren. Dem haben die Architekten Rüdiger Lainer + Partner Rechnung getragen. "Eine "Bewegungsschleife" zieht sich durch jedes Stockwerk. Sie hat nichts mit finsteren, endlosen Krankenhausgängen gemeinsam, sondern ist abwechslungsreich wie eine Dorfstraße.

Einen noch privilegierteren Blick hat man vom obersten Stockwerk des 35-Meter-Hauses: Hier ist eine Wohngruppe für Alleinerziehende untergebracht. "Ich finde es großartig, dass hier eben nicht der Generaldirektor im Penthouse wohnt, sondern die Schwächeren der Gesellschaft", sagt Oliver Sterl, Partner im Büro Lainer. "Dazu braucht man aber auch einen Bauherrn, der das mitträgt."

Bauherren für das Baufeld C.04 im Sonnwendviertel sind die EGW-Heimstätte und die Heimbau, die 2012 den Bauträgerwettbewerb mit den beiden Architekten Rüdiger Lainer und BKK-3 gewannen. Bauplatz und Baukosten (rund 45 Millionen Euro) wurden ebenso 50:50 zwischen den Teams geteilt wie die zahlreichen sozialen Einrichtungen: Außer der Casa sind dies ein Kindergarten mit vier Gruppen, die Initiative "Lok: Leben ohne Krankenhaus", ein Caritas-Tagesstrukturzentrum und eine Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche. Nicht zu vergessen die 200 Wohnungen inklusive der Gemeinschaftsräume.

Komplizierte Erschließung

Viel Programm auf einem noch dazu schräg geschnittenen Baufeld mit hoher Bebauungsdichte, das heißt: Mit Standardlösungen kommt man hier nicht weit. "Das war in der Tat kein geringer Mehraufwand", sagt Robert Böhnel, Projektleiter bei der Heimat Österreich. "Vor allem die Erschließung ist kompliziert, weil Pflegewohnhaus und Wohnungen getrennte Stiegenhäuser mit jeweils eigenem Zugang haben. Rückblickend muss man aber sagen, dass alle Beteiligten den Mehraufwand sehr gut bewältigt haben."

Gewohnt wird hier im Sonnwendviertel eher kompakt, das heißt in Smartwohnungen mit kleinen Zimmergrößen. Hier wurde aber zumindest eine optionale Flexibilität eingebaut: Getragen wird das Haus von Kern und Außenwänden, alles dazwischen ist Leichtbau – sprich: Modell Gründerzeithaus. Zudem verfügt jede Wohnung über einen Balkon, der die nötige Luft verschafft.

Weitere architektonische Ausgleichsleistungen: Die Fensterlaibungen sind im von Rüdiger Lainer entworfenen Bauteil konisch abgeschrägt, um die im dick gedämmten Wohnbau übliche Schießschartenoptik zu vermeiden und mehr Tageslicht in den Raum zu lassen. Auch die Gesamtanlage ist das Ergebnis einer gemeinsamen Tüftelarbeit beider Architekturbüros: "Die ursprünglich vorgesehene Blockrandbebauung hätte einen Innenhof mit kaum Sonnenlicht erzeugt, das wollten wir unbedingt vermeiden", erinnert sich Oliver Sterl. Also wurde das Bauvolumen umgeschichtet, schraubt sich hier nach oben, duckt sich dort nach unten, lässt Lücken frei. Eine breite Fuge trennt die beiden Bauteile zudem, hier beginnt der Fußweg, der sich durch die Innenhöfe des Sonnwendviertels schlängelt.

Silbergrau und Rosa

Eine Fuge braucht man jedoch nicht, um die beiden Bauteile zu unterscheiden. Während der westliche von BKK-3 silbergrau und scharfkantig-schnittig das Eck zur Sonnwendgasse markiert, griff man im Büro Lainer mit Lust in den Farbtopf: ein fettes Rosa, mit dem man je nach Tageslicht und -laune Punschkrapferl, Lachs, Leberkäse oder Toskana assoziieren kann.

"Die Farbigkeit erzeugt eine sonnige, freundliche Atmosphäre, und man erkennt das Haus schon von weitem", sagt Sterl. Ob da der Bauherr kurz schlucken musste? "Nur sehr kurz", schmunzelt Böhnel. "Farbe ist bei uns grundsätzlich Sache des Architekten, da reden wir nicht hinein. Im Vergleich zum sonst recht grauen Sonnwendviertel ist es ein erfrischender Akzent und ein guter Orientierungspunkt. Schon heute heißt es oft: Treffen wir uns beim rosa Haus!" (Maik Novotny, 13.3.2018)