Rainer Guski ist Umweltpsychologe an der Universität Bochum und leitete die größte deutsche Studie zur Lärmwirkung von Flug-, Straßen- und Schienenverkehr. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden 2015 publiziert.

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"Lärmquellen sind nicht anonym", sagt Rainer Guski.

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Wien – Nicht alle Menschen können in der Nacht ruhig schlafen: Schuld daran ist oft Verkehrslärm, etwa am Wohnhaus vorbeirauschende Autokolonnen und Züge oder darüber hinwegfliegende Flugzeuge. Der deutsche Umweltpsychologe Rainer Guski von der Universität Bochum hat die Auswirkungen dieser permanenten Geräuschkulisse untersucht.

STANDARD: Wie ungesund ist Lärm?

Guski: Bisher wurden drei Lärmquellenarten gut untersucht, nämlich Straßen-, Bahn- und Flugverkehr. Zu allen dreien kann man sagen: Sie können langfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Nicht jeder wird sofort krank. Aber je länger man hohen Pegeln ausgesetzt ist, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass man körperlich erkrankt. Das Schlimme ist: Bei Umweltbelastungen wie Lärm und Feinstaub kann man als Bewohner in der Regel nicht viel tun, außer man zieht um. Aber das können sich die wenigsten leisten.

STANDARD: Von welchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen sprechen wir?

Guski: Es gibt ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, das mit zunehmendem Pegel und Wohndauer steigt. Bei der großangelegten Norah-Studie in Frankfurt konnten wir aber auch einen Zusammenhang zwischen Fluglärm und Depressionen finden. Da muss man zwar noch schauen, was bei internationalen Untersuchungen herauskommt. Ich glaube aber nicht, dass das ein Frankfurter Spezifikum ist.

STANDARD: Wie lassen sich diese Erkrankungen erklären?

Guski: Das wissen wir noch nicht. Eine Theorie ist, dass durch den Lärm die Steifheit der Gefäße zunimmt und dadurch kurzfristige Belastungen nicht mehr ausgeglichen werden können. Das könnte eine Ursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein.

STANDARD: Verändert sich das gesellschaftliche Lärmempfinden?

Guski: Fluglärm wird von Menschen, die in der Nähe eines Flughafens wohnen, heute als lästiger empfunden als noch vor 20 Jahren – auch wenn der Pegel der gleiche ist. An sich sind die Maschinen zwar leiser geworden, betonen die Hersteller. Aber heute kommen mehr und größere Maschinen zum Einsatz. Es gibt auf jeden Fall kein Naturgesetz, das festlegt, ab welcher Lautstärke eine Geräuschkulisse als Belästigung empfunden wird.

STANDARD: Werden wir sensibler?

Guski: Da stellt sich die Frage, was man mit sensibel meint. Für uns Psychologen ist Sensibilität so etwas wie Lärmempfindlichkeit, eine persönliche Variable, die man sein Leben lang mit sich herumträgt. Da gibt es gewaltige Unterschiede zwischen den Menschen – und wir haben keinen Hinweis darauf, dass sich die Lärmempfindlichkeit im Laufe der Zeit verändert hat. Was sich aber verändert hat, ist die Bereitschaft der Menschen, etwas hinzunehmen. Außerdem wird über Gesundheit heute viel mehr geredet als früher.

STANDARD: Viele Menschen sagen, dass sie sich an den Lärm in ihrem Wohnumfeld längst gewöhnt haben, dass sie den gar nicht mehr wahrnehmen. Ist das möglich?

Guski: Wir haben alle schon einmal bei Freunden oder in einem Hotel übernachtet, das akustisch nicht so ideal gelegen ist. In der ersten Nacht können wir nicht schlafen, weil wir die Geräusche nicht kennen. Unser Gehirn arbeitet nachts recht gut und analysiert die Geräusche. Wenn wir diese nicht kennen, dann wird der Körper unruhig. Das geht nach einigen Tagen weg, der Körper kennt ja jetzt die Geräusche. Aber er reagiert auch dann, wenn wir nicht aufwachen. Die notwendige Tiefe des Schlafes wird also unter Umständen nicht erreicht. Morgens geht es uns dann nicht so gut. Zu langfristigen gesundheitlichen Schäden kann es natürlich trotzdem kommen.

STANDARD: Hängt die Frage, wie lästig uns ein bestimmter Lärm ist, auch davon ab, wer ihn verursacht?

Guski: Die Frage der Belästigung ist sehr stark durch die Bewertung des Verursachers beeinflusst. In der Schweiz ist die Bahn bei der Bevölkerung beispielsweise sehr beliebt, daher fühlt man sich dort von Bahnlärm auch nicht so belästigt wie in Deutschland, wo viele Menschen das Gefühl haben: Das ist nicht mehr unsere Bahn. Lärmquellen sind ja nicht anonym. Wer in der Nähe des Flughafens wohnt, kennt die Maschinen, kann sogar teilweise die Insignien der Firmen, die da fliegen, lesen. Und jeder weiß: Der Flughafen verdient Geld damit.

STANDARD: Ist also jemand, der Autos ablehnt, besonders genervt von Autolärm?

Guski: Das ist sehr wahrscheinlich. Wir wissen allerdings noch nicht, wie sich das auf das Erkrankungsrisiko auswirkt.

STANDARD: Sehnen wir uns eigentlich alle nach der kompletten Stille?

Guski: Nein. Ich kenne eine Menge Leute, die verrückt werden würden, wenn sie im Wald wohnen müssten. Leben bedeutet eben auch eine gewisse Geräuschkulisse. Das Miteinanderreden, das Geräusch von Schritten – das sind harmlose Signale des Lebens. Unser Gehirn erkennt das als ungefährlich – während ein Auto, das sich nähert, als Gefahr wahrgenommen werden kann. (Franziska Zoidl, 20.3.2018)