Wer diese Kolumne regelmäßig liest, hat sicher mitbekommen, dass Fischsauce einen besonderen Platz in meinem Herzen (und meinen Töpfen und Pfannen) hat. Sie ist das Gewürz der Gewürze, der Unterschied zwischen fad und aufregend, zwischen eh okay und ganz vorzüglich, und selbst wenn ein Gericht bereits sehr gut ist, wird es mit Fischsauce fast immer noch besser. Umso mehr hat mich schon lange interessiert: Wer ist die Königin der Königinnen? Sind alle Fischsaucen mehr oder weniger gleich, oder gibt es Fischsaucen, die besser sind als andere? Gemeinsam mit den wackeren Gebrüdern S. habe ich mich darangemacht, diese Frage zumindest vorläufig zu beantworten.

An einem fast schon lauen Frühlingsabend haben wir insgesamt neun verschiedene Fischsaucen verkostet, und weil wir schon dabei waren, haben wir noch eine kleine Salzsardellenverkostung drangehängt. Zur Feier des Tages und gegen den Hunger haben wir dann das einzige mir bekannte Gericht gekocht, in dem Fischsauce nicht bloß unterstützt, sondern die Hauptrolle spielt: Spaghetti Colatura di Alici – Pasta mit fast nichts außer Fischsauce. Und das war, ganz gegen meine anfänglichen Bedenken, ausgesprochen köstlich. Das Rezept folgt ganz am Schluss – erst wird Fischsauce verkostet.

Foto: Tobias Müller

Fischsaucen-Theorie

Es gibt – oder besser: gab – zwei große Fischsaucen-Traditionen auf der Welt, die europäische und die südostasiatische. Im heutigen Südwesten Chinas und im Mekong-Delta dürften Menschen das erste Mal auf die Idee gekommen sein, Fische einzusalzen und vergären zu lassen – schon vor mehreren Jahrtausenden wurden dort zunächst Süßwasserfische zu Fischsauce verarbeitet. Schnell breitete sich die Methode auch in den Küstengegenden aus, und bis heute hat Südostasien den weltweit größten Reichtum an vergorenen Fischprodukten – von Saucen wie Thailands Nam Plaa oder Malaysias Budu bis hin zu Shrimp- und Fischpasten, etwa Indonesiens Trassi. Auch die Urform von Sushi war vergorener Fisch: Er wurde in Reis gepackt und dort gesäuert, der Reis nach dem Prozess ursprünglich entsorgt. (Heute vergären die Japaner und die Chinesen lieber Soja statt Fisch.)

Ob die europäische Tradition aus Asien herübergekommen oder selbstständig entstanden ist, ist meines Wissens nicht geklärt. Sicher ist jedenfalls, dass Fischsauce das wichtigste Würzmittel der europäischen Antike war. Im römischen "Apicius", dem ältesten überlieferten Kochbuch, gibt es fast kein salziges Gericht, das nicht mit ihr gewürzt wird, und dank Mosaiken wissen wir, dass einer der reichsten Männer Pompejis ein Fischsaucenhändler war. "Scaurus' beste Fischsauce auf Makrelenbasis" ist bis heute auf einem Mosaik einer Amphore zu lesen, das am Fußboden seines Hauses gefunden wurde.

Während die asiatische Tradition höchst lebendig ist, ist die europäische fast ausgestorben: im 16. Jahrhundert setzten sich statt vergorener Sauce ganze eingesalzene Fische durch, die Salzsardellen. Im kleinen italienischen Fischerdorf Cetara an der Amalfiküste, nicht weit von Pompeji, wird allerdings bis heute eine Fischsauce abgefüllt: die Colatura di Alici.

Der größte Unterschied zwischen heutigen europäischen und asiatischen Produkten ist, dass in Asien alles vom Fisch eingesalzen wird, während die meisten europäischen Sardellen ohne Kopf und Eingeweide ins Salz kommen. Für die Colatura di Alici werden Sardellen mit Salz in kleine Holzfässer geschichtet, mit einem Stein beschwert und zwischen zwölf und 18 Monaten reifen gelassen. Dann wird unten in das Fass ein Loch gebohrt – die abtropfende braune Flüssigkeit wird abgefüllt und für vergleichsweise ziemlich viel Geld verkauft.

Fischsaucenverkostung

Wir haben für unsere Verkostung drei Arten von Saucen blind probiert:

  • die Klassiker aus dem Asia-Shop (Squid Brand, Megachef, Megachef Premium First, Tiparos, King Lobster);
  • zwei verschiedene Colatura di Alicis (Nettuno, Delfino), selbst aus Cetara importiert;
  • und zwei österreichische Süßwasserfischsaucen, die zwei motivierte Köche seit ein paar Jahren für ihre Küchen selbst produzieren: die Fischsauce von Lukas Nagl vom Restaurant Bootshaus und jene von Peter Troißinger vom Malerwinkl.

Die asiatischen Varianten kosten alle zwischen 1,50 und 2,50 Euro für die 200-ml-Flasche, die Colaturas um die 18 (!) Euro für die gleiche Menge, und die österreichischen sind, soweit ich weiß, nicht gegen Geld zu haben.

Foto: Tobias Müller

Die asiatischen Saucen haben einen Sardellenanteil zwischen 72 und 77 Prozent und enthalten neben Salz auch Zucker, die Colaturas enthalten laut Flasche 90 Prozent Sardellen und sind ungezuckert. Die hausgemachten haben klarerweise keine Angaben. Der Lukas Nagl nimmt für seine Sauce ganze kleine Fische, salzt sie ein und würzt das Endprodukt noch mit Kräutern, der Peter Troißinger verwendet Köpfe, Bauchlappen, Gerippe und Innereien (also alle Abschnitte) von seinen Attersee-Reinanken und ausschließlich Salz.

Neun Saucen

Wir haben sie alle in nummerierte Glasschalen gegeben, der liebe Heinrich S. hat es sich nicht nehmen lassen, sie farblich zu ordnen, dann haben wir gerochen, geschlürft und verkostet. Die Erkenntnisse: Erstens ist es viel weniger schlimm, neun Fischsaucen pur zu verkosten, als es sich anhört. Mit anderen Verkostungen, zum Beispiel Tiefkühlgermknödel, habe ich mich weitaus mehr geplagt. Zweitens, und das war eine große Überraschung: Süßwasser- und Salzwasserfischsauce ist nicht unterscheidbar. Drittens: Auch Fischsauce wird mit der Zeit nicht besser. Und viertens: Der höhere Preis für die Colatura zahlt sich schon aus.

Foto: Tobias Müller

Unsere Top drei waren leicht und schnell bestimmt: Die beiden Italiener und der Überraschungsfinalist, die Sauce vom Herrn Troißinger, haben uns klar am besten geschmeckt. Alle drei waren sie sehr rund im Geschmack, anregend und animierend. Für den Eintopf oder die Suppe zahlt sich der zehnfache Preis nicht aus – wer eine Sauce zum Dippen sucht oder sie so verwendet, dass sie klar schmeckbar ist, der kann das Geld schon investieren.

Die Asiaten waren alle recht ähnlich. Zum Würzen tadellos, hatten sie pur verkostet alle aufgrund des Zuckers eine Süße, die uns gestört hat, und oft einen Latex-Anklang oder einen metallischen Touch. Bei der Tiparos habe ich mir "ausgeprägte Katzenfutternote" notiert. Meine Standard-Fischsauce, Squid Brand, und die Traunsee-Fischsauce haben beide ähnlich und mehr nach Sojasauce geschmeckt – sie waren aber beide schon lange offen, und in beiden Flaschen war nur mehr sehr wenig drin. Gut möglich, dass sie einfach zu oxidiert waren.

Die vielleicht größte Überraschung des Abends folgte aber bei der improvisierten Salzsardellenverkostung (wen’s interessiert: unpasteurisierte Ware von den Colatura-Produzenten Nettuno und Delfino). Seit Jahren liegt uns Heinrich S. in den Ohren, dass Sardellen (und Sardinendosen) dekantiert gehören wie so mancher Wein. Nun hat sich gezeigt: Er hat tatsächlich recht. Die Salzsardellen, die wir erst gewässert und dann eine gute Stunde an der Luft liegen lassen haben, waren deutlich kräftiger, komplexer, angenehm fischiger als die nicht dekantierten Tiere aus dem gleichen Glas. Abgesehen davon waren sie alle hervorragend. Ich rate zu Delfino, schlicht, weil die hier leicht zu bekommen sind.

Foto: Tobias Müller

Dann endlich: Spaghetti Colatura di Alici

Eine Speise, die ich für diesen Blog das erste Mal gemacht habe und die das Zeug zum Dauergast in unserer Küche hat. Spaghetti Colatura di Alici ist ein klassisches Gericht aus der Gegend um Neapel und der Amalfi-Küste und war wohl einmal ein Arme-Leute-Essen: Die Nudeln werden mit nichts gewürzt außer rohem Knoblauch, Petersil und ein wenig Fischsauce – wer will, streut noch ein wenig gehackte Nüsse und Chili dazu. Ich habe sie ein paar Mal in Neapel und in Cetara gegessen und war immer unterwältigt: Die Nudeln haben mehr nach Knoblauch denn sonst irgendwas geschmeckt. Jetzt weiß ich aber: Das lag bloß daran, dass die geizigen Wirte an der teuren Fischsauce gespart hatten. Unsere Version, die wir bei den Steinigers gemacht haben, war angenehm fischig, salzig, ganz köstlich und enorm komplex für ein so einfaches Gericht.

Für zwei bis drei Esser brauchen Sie:

Foto: Tobias Müller

2 Knoblauchzehen, fein gehackt

1 Handvoll gehackter Walnüsse

1 Handvoll gehackter Petersil

Je nach Schärfegrad 1 bis 2 getrocknete Chilis

3 Esslöffel Colatura di Alici von Nettuno oder Delfino (oder eine sehr gute andere Fischsauce)

Nicht zu knapp Olivenöl

Spaghetti – in unserem Fall etwa 350 Gramm

Bringen Sie ungesalzenes (Wichtig! Die Colatura ist salzig genug!) Wasser zum Kochen und kochen Sie die Nudeln al dente. Braten Sie den Knoblauch kurz in reichlich Olivenöl (mindestens sechs Esslöffel).

Foto: Tobias Müller

Nehmen Sie das Öl von der Hitze und mischen Sie alle restlichen Zutaten hinein.

Foto: Tobias Müller

Wenn die Nudeln gar und abgegossen sind, mit der Sauce mischen, sofort servieren und staunen, wie gut etwas so Simples sein kann.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, 18.3.2018)

Weiterlesen:

Fisch konzentriert: Fischsauce vom Traunsee

Gebratener Reis: Dem Reis den Rest geben