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Laut Theresa May ist Russland "schuld" an der Vergiftung Skripals und seiner Tochter, wie sie vor dem Unterhaus sagte.

Foto: AP Photo/Frank Augstein

Großbritannien macht Russland für den Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal verantwortlich und weist 23 als Diplomaten aus. Außerdem sollen neue Finanzmaßnahmen russischen Oligarchen den Zugang zu ihren britischen Konten erschweren. "Wir werden die Bedrohung unserer Bürger nicht tolerieren", sagte Premierministerin Theresa May am Mittwoch im Unterhaus.

Die konservative Politikerin hatte am Montag den in Russland entwickelten chemischen Kampfstoff Nowitschok als Tatwaffe für den Mordanschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia identifiziert. Binnen 36 Stunden sollte Moskau mitteilen, wie es zu der Anwendung seines Nervengifts auf britischen Boden gekommen sei. Dieses Ultimatum lief in der Nacht zum Mittwoch ab.

Russland habe mit Sarkasmus, Verachtung und Geringschätzung auf die Vorwürfe reagiert, sagte May und sprach von einem "nicht deklarierten Chemiewaffenprogramm", das gegen internationales Recht verstoße. "Es handelt sich um einen unrechtmäßigen Gewaltakt Russlands gegen das Vereinigte Königreich."

London werde den Sachverhalt bei der UN in New York sowie bei der Organisation zum Verbot chemischer Waffen, OPCW, in Den Haag zur Sprache bringen. Den angekündigten Besuch des Moskauer Außenministers Sergej Lawrow in London sagte May ebenso ab wie die Teilnahme britischer Minister sowie Prinz William an der Fußball-WM in Russland.

"Grobe Provokation"

Die russische Regierung hat Vergeltung für die Strafmaßnahmen angekündigt. Das Außenministerium in Moskau bezeichnete die angekündigten Maßnahmen als "beispiellose grobe Provokation". Russland werde in Kürze darauf reagieren.

Ausdrücklich betonte May die Recht- und Verhältnismäßigkeit der Sanktionen. In London war über den sportlichen Boykott der WM, den Entzug der Lizenz für den russischen TV-Sender Russia Today (RT) sowie eine mögliche Cyberattacke auf Moskau spekuliert worden. Umgekehrt hatte Russland mit Gegenmaßnahmen gedroht. Man sei zur Kooperation mit der OPCW bereit, betonte Außenminister Lawrow in Moskau und verurteilte Londons Vorgehen als "politisches Spiel". Das OPCW-Statut räumt den 192 Vertragsstaaten zehn Tage Zeit ein, um auf Beschwerden zu reagieren. Moskau bemüht sich um konsularischen Zugang zu Julia Skripal, einer russischen Staatsbürgerin.

Während schottische und walisische Nationalisten, die Liberaldemokraten sowie viele Labour-Hinterbänkler im Unterhaus die Regierungsmaßnahmen unterstützten und Russland verurteilten, verweigerte sich Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn ausdrücklich dem Konsens. Er mahnte multilaterale Sanktionen, eine intensive Zusammenarbeit mit der UN sowie eine formelle Beschwerde bei der OPCW an.

Die Regierung müsse außerdem weiteren ungeklärten Todesfällen russischer Exilanten nachgehen. Namentlich nannte Corbyn Skripals Frau, Bruder und Sohn sowie den erst am Montag in London tot aufgefundenen Geschäftsmann Nikolai Gluschkow. Der 68-Jährige war ein enger Vertrauter des bereits 2013 unter unklaren Umständen ums Leben gekommenen Ex-Milliardärs und Putin-Kritikers Boris Beresowski.

Sicherheitsmaßnahmen für Russen

Sergej (66) und Julia Skripal (33), befinden sich seit zehn Tagen auf der Intensivstation des Bezirksspitals von Salisbury. Ihr Zustand wird als kritisch beschrieben. Unter dem Eindruck des Mordanschlags hat die britische Polizei offenbar die Sicherheitsmaßnahmen für russische Exilanten verstärkt. Fachleute wie Professor Anthony Glees von der Buckingham-Universität hatten darauf hingewiesen, dass der Geheimdienst MI5 offenkundig Skripals Gefährdungslage falsch eingeschätzt hatte. Rund um Salisbury sind nicht nur erhebliche Armee-Einheiten stationiert; in der Nähe der 40.000-Einwohnerstadt liegen auch das weltberühmte ABC-Labor von Porton Down und das ABC-Ausbildungslager der britischen Streitkräfte.

Die Wirkstoffe der Nowitschok-Reihe wurden zwischen 1970 und 1990 in der damaligen Sowjetunion hergestellt; anders als zu bekannteren C-Waffen wie Sarin oder VX gab es bisher keine Berichte über ihren Einsatz. Im Internet kursieren Informationen über die genaue Zusammensetzung der tödlichen Substanz; diese könne aber höchstens ein versierter Wissenschaftler, allerdings unter hohem Eigenrisiko, in winzigen Mengen herstellen, lautet die Einschätzung eines Kenners chemischer Kampfstoffe. Viel wahrscheinlicher sei die Herkunft aus einem Regierungslabor. Moskau hat beteuert, erst im vergangenen Jahr sämtliche Chemiewaffen aus der Sowjet-Ära vernichtet zu haben (14.3.2018)