Giovanni Frazzetto, "Nähe. Wie wir lieben und begehren". 208 Seiten, 20,60 Euro. Hanser-Verlag 2018

Cover: Hanser Verlag

Menschen brauchen andere Menschen: Das liegt in der Biologie begründet. Irgendwie weiß das zwar jeder, darin eine Systematik zu erkennen hat sich der Molekularbiologe Giovanni Frazzetto vorgenommen. Er hat sich mit der Anatomie von Gefühlen beschäftigt. Wo entstehen sie, wie werden sie befeuert, und was lässt sie versiegen.

"Nähe" ist der Titel des Buches, in dem er prototypische Beziehungsmuster seziert. Er wählt dafür eine charmante Form und erfindet Geschichten, die jeder schon (mit)erlebt hat. Es geht um Sex und Liebe, um Betrug, um Bindungsängste und um Distanzlosigkeit. Stets liefert das Buch die neurophysiologischen Grundlagen. Etwa die Rolle des Dopamins bei Leidenschaft oder die Funktion von Oxytocin und Vasopressin in Langzeitbeziehungen.

Wir sind wie Tiere

Als Biologe scheut er auch nicht den Vergleich mit anderen Tieren, das ist besonders lustig. Monogame Beziehungen gibt es bei Vögeln eher als bei Säugetieren (nur fünf Prozent davon haben lebenslang nur einen Partner), vor allem die Amygdala spielt eine wichtige Rolle für Nähe: Es ist jener Bereich im Gehirn, in dem negative Beziehungen verarbeitet werden.

Neueste Untersuchungen legen nahe, dass sogar die Erlebnisse unserer Vorfahren eine Rolle für die Beziehungsfähigkeit spielen, denn gute und negative Erfahrungen haben das Potenzial, die DNA zu beeinflussen und damit vererbbar zu werden. Frazzetto bringt auf leichtfüßige Art und Weise und ohne Einsatz des moralischen Zeigefingers eine neue Sicht auf Gefühle, die Kopf und Körper in Schach halten. (Karin Pollack, CURE, 24.6.2018)