Franz Bittner will das Potenzial der Apotheker besser nutzen. Jürgen Rehak schmiedet Zukunftspläne für seinen Berufsstand.

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Jürgen Rehak, Präsident des Apothekerverbandes: "Eine klassische, qualitätsgesicherte Vor-Ort-Versorgung schafft man online nicht. Ein Apotheker hat ein wirkliches Interesse am Patienten und an seinem Problem, der Computer hat das nicht."

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Franz Bittner, Patientenombudsmann der Ärztekammer Wien: "Der uninformierte Patient ist auf Dauer sicher der kränkere Patient."

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STANDARD: Noch nie war es so einfach, Informationen zu Erkrankungen zu googeln. Wie mündig sind Patienten heute?

Franz Bittner: Die Flut an Informationen bedeutet keineswegs, dass Patienten dadurch auch mündiger werden. Das wären sie nach einem Gespräch mit einem Fachmann. Doch beim Arzt fehlt die Zeit. Wir haben Fließbandmedizin. Die Apotheke übernimmt einen Teil.

Jürgen Rehak: Patienten fehlt oftmals der tatsächliche Zugang zur Wahrheitsfindung. Was ist richtig, und was ist falsch? Patienten von heute nehmen die Dinge selbst in die Hand und halten sich ungern an vorgegebene Regeln. Wenn es um Health-Literacy geht, also um Gesundheitskompetenz, ist Österreich im OECD-Durchschnitt unter den Schlusslichtern.

STANDARD: Wie verhalten sich informierte Patienten in der Apotheke?

Rehak: Sie kommen mit fertigen Diagnosen, die Dr. Google für sie erstellt hat. Es wird sehr viel überinterpretiert, die Menschen kommen zu falschen Schlüssen. Die Apotheker müssen dann oft die Dinge zurechtrücken, den Menschen klarmachen, dass der Organismus und seine Funktionen kein dubioses Nirwana sind, sondern dass alles nach klaren Regeln abläuft. Und dann geben die Apotheker den Kunden Hilfestellungen. Es gibt einiges, was die Menschen auch selbst tun können.

STANDARD: Sind Ihnen also uninformierte Patienten lieber?

Bittner: Nein, der uninformierte Patient ist auf Dauer sicher der kränkere Patient. Man muss aber ehrlich sagen: Es gibt Ärzte, die wollen keine mündigen Patienten. Unter ihnen gibt es den Spruch: Der Patient steht im Mittelpunkt und damit mitten im Weg.

Rehak: Hausverstand und Selbstverantwortung könnten auf Patientenseite durchaus noch stärker gelebt werden. Ich erlebe nicht selten, dass im Nachtdienst zehn Menschen mit Ambulanzrezepten für Schnupfenspray zu mir kommen. Wegen einer Rotznase, also einer Banalität, wurde dann der ganze medizinische Apparat im Spital angeworfen. Die Menschen sollten mehr Verantwortung übernehmen.

STANDARD: Woher bekommen die Patienten ihre Informationen?

Bittner: Im Fernsehen läuft ein Werbespot nach dem anderen für nicht verschreibungspflichtige Medikamente, etwa Kastanien für besseren Schlaf oder Mittel für weniger Wasserlassen in der Nacht. Mit zunehmendem Alter greift das, dann gehen die Leute in die Apotheke und kaufen diese Produkte. Dieses Konsumverhalten wird von der Industrie geweckt. Über 30 Prozent der Umsätze sind private Käufe, die nicht vom Arzt verordnet wurden.

Rehak: In meiner Apotheke fragen wir die Kunden, wofür sie die von ihnen gewünschten Mittel brauchen. Hier muss der Apotheker Verantwortung übernehmen, Wünsche hinterfragen. Es gibt nach wie vor Patienten, die für ihre Kinder mit Mittelohrentzündung fiebersenkende und schmerzstillende Zäpfchen verordnet bekommen und sie ihnen ins Ohr schieben. Das zeigt, dass Patienten oft nicht gesagt wird, wie sie mit Medikamenten umgehen müssen.

STANDARD: Wessen Aufgabe würde das denn aus Ihrer Perspektive sein?

Bittner: Auch die der Apotheken, sie sind ein besonders niederschwelliger Bereich. Dort werden Tätigkeiten übernommen, die sonst im ärztlichen Bereich stattfinden würden.

Rehak: Sie müssten dort stattfinden, aber die Kapazitäten fehlen oft. Etwa zu Weihnachten, wo drei Viertel der Ärzteschaft im Urlaub sind. Da ist das System noch viel zu unkoordiniert.

Bittner: Das wird sich in Zukunft auch noch verstärken. Die flächendeckende ärztliche Versorgung wird immer schlechter, aber die Apotheken bleiben.

STANDARD: Onlineapotheken sind bequemer und oft günstiger. Ist die klassische Apotheke ein Auslaufmodell?

Rehak: Das glaube ich nicht. Eine klassische, qualitätsgesicherte Vor-Ort-Versorgung schafft man online nicht. Ein Apotheker hat ein wirkliches Interesse am Patienten und an seinem Problem, der Computer hat das nicht. Online bekommt man keine Empathie, keine persönliche Beratungsleistung.

STANDARD: Die Menschen ergoogeln, was sie brauchen, bestellen online, lassen sich Medikamente nach Hause liefern – ist das also ein unrealistisches Zukunftsszenario?

Bittner: Ja, bei Medikamenten ist man mit dem Gang in die nächste Apotheke viel schneller. Das ist eine ganz andere Situation als beim generellen Onlinehandel mit anderen Produkten. Ein Medikament kann man nicht vergleichen mit einem Gerät, das man für den Garten braucht und das man sich bei Amazon bestellt. Schon gar nicht wird online bestellt, was einem der Arzt verordnet hat.

Rehak: Lifestyleprodukte wie Abnehmmittel oder Medikamente zur Raucherentwöhnung werden eher in der Onlineapotheke gekauft. Dennoch bleibt die Unsicherheit, ob man jetzt das Richtige bestellt hat – falls man überhaupt bei einer echten Onlineapotheke gelandet ist und es kein Fake-Anbieter in einer russischen Garage ist.

STANDARD: Für viele Kunden zählt das Preisargument vermutlich stärker.

Rehak: Bei manchen Angeboten können wir tatsächlich nicht mithalten. Aspirin wird im Internet zu Verkaufspreisen angeboten, die bei uns große Einkaufsgemeinschaften zum Einkaufspreis nicht bekommen. Wie es das gibt, können wir uns auch nicht erklären. Es ist aber klar, dass es Preisunterschiede geben muss: Wir stellen 45 Stunden pro Woche eine akademische Beratungsleistung zur Verfügung. In diesem Preiskrieg haben wir keine Chance.

STANDARD: Wie wappnen sich Apotheken gegen den Onlinehandel?

Rehak: Mit Zustelldiensten und längeren Öffnungszeiten können auch klassische Apotheken mehr Bequemlichkeit bieten. Wir wollen unsere digitalen Strukturen breiter aufstellen.

Bittner: Es gibt auch immer mehr innovative Apotheker, die beispielsweise Medikamente verblistern. Das heißt, sie übernehmen für Patienten die Einteilung ihrer Medikamente nach Tag und Uhrzeit. Das trägt zur Patientensicherheit bei. Dass in der Umgebung auch in der Nacht immer eine Apotheke geöffnet ist, gibt den Menschen zudem ein Gefühl der Sicherheit.

Rehak: In Wien gibt es seit 15 Jahren in Kooperation mit einem Taxiunternehmen einen Zustelldienst für Medikamente in der Nacht, auf Anordnung des Funkdiensts.

STANDARD: Wie gefährlich ist die Selbstmedikation?

Rehak: Es gibt kein Arzneimittel, das nicht auch noch etwas anderes im Körper anstellt. Eine Studie des Hauptverbands hat einmal gezeigt, dass ab neun Wirkstoffen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient einmal pro Jahr ins Krankenhaus muss, bei 90 Prozent liegt – nur aufgrund der Wechselwirkungen. Meine Meinung: Arzneimittel gehören nicht ins Internet und in den Versand, auch wenn es einfache Dinge sind.

Bittner: Die Apotheke ist nicht einfach nur ein Handelshaus, sie ist voll mit toxischen Produkten. Gibt man das über das Internet frei, wird die Gesundheit der Menschen drastisch abnehmen. Hier muss auch der Gesetzgeber eingreifen.

STANDARD: Wie bereitet sich die Apotheke auf eine alternde Gesellschaft vor?

Rehak: Die schon erwähnte Verblisterung ist sicher so ein Service. Das vereinfacht den Alltag von Demenzkranken erheblich. Sie vergessen oft, ob sie eine Tablette heute schon genommen haben.

Bittner: Ich bin mit der Leistung der Apotheker in Österreich nicht zufrieden. Sie könnten in unserem System viel mehr leisten, etwa Diabetiker beraten, wo Ärzte es nicht tun können. Die Sozialversicherung weiß das zwar, will ihnen aber nicht mehr bezahlen. Wir nutzen die hohe Qualifikation der Pharmazeuten nicht aus.

Rehak: Wir wollen das ändern. Die Honorierung der Apotheker erfolgt derzeit, indem sie für das Arzneimittel, das sie ausgeben, bezahlt werden. Wir wollen eine Beratungshonorierung.

STANDARD: Kritiker sagen, die Apotheke ist auch nicht mehr als eine Drogerie. Dort gibt es Abnehmmittel, Kosmetika, Produkte, deren Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist. Schadet das nicht dem Image?

Rehak: Es gibt Apotheken, die sich auf Arzneimittel fokussieren, und solche, in denen man, so sagt Josef Probst (Anm.: stellvertretender Direktor des Hauptverbands) immer, über drei Teddybären stolpert, bevor man die Medikamente sieht. Da müssen die Apotheken sicher nachschärfen.

Bittner: Der Teddybär stört mich nicht. Wir begegnen vielen Akteuren im Gesundheitswesen mit einer falschen Moralvorstellung. Auch Apotheken müssen Umsatz machen. Das sollte natürlich nicht zulasten der pharmazeutischen Produkte gehen. Wenn es im Rahmen bleibt, habe ich kein Problem damit und der Patient sicher auch nicht. (Bernadette Redl, CURE, 23.4.2018)