Bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag spricht die Papierform für Ungarns amtierenden rechtspopulistischen Ministerpräsidenten. Doch seine Politik spaltet das Land: Eine knappe Mehrheit wünscht sich nach Umfragen einen Regierungswechsel. Viktor Orbáns Fidesz-Partei verfügt seit 16 Jahren über einen sicheren Grundstock von mehr als zwei Millionen Wählern. Die starken Elemente des Mehrheitswahlrechts im ungarischen Wahlsystem machen es möglich, dass sich Fidesz sogar bei einem Stimmanteil von 40 Prozent eine absolute Mehrheit an Parlamentssitzen sichern kann.

Denn die ungarische Opposition ist fragmentiert. Die rechtsradikale Jobbik ("Die Besseren") hat zwar unter ihrem Parteichef Gábor Vona ihre Rhetorik gemäßigt, im Programm für die heurige Wahl sozialpolitische Themen in den Mittelpunkt gestellt und sich auch von ihrer früheren Anti-EU-Linie distanziert. Dennoch ist die völkisch-nationalistische, russlandfreundliche Partei mit den Gruppierungen des linken Spektrums kaum kompatibel.

Jobbik-Chef Gábor Vona führte die Partei Richtung Mitte.
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Zu Letzterem zählt die sozialdemokratische Ungarische Sozialistische Partei (MSZP). Mit Gergely Karácsony schickt sie einen Spitzenkandidaten ins Rennen, der nicht aus ihren Reihen kommt. Der 42-jährige Politologe und Bürgermeister des Budapester Stadtbezirks Zugló führt die kleine Grün-Partei Dialog für Ungarn (PM) an, mit der die MSZP formell als Wahlallianz antritt. Die Sozialisten jedoch stecken seit Jahren in einer tiefen Krise. Nachdem der ehemalige Parteichef Ferenc Gyurcsány 2006 in einer Rede zugab, die Wähler über den Zustand des Landes belogen zu haben, schlitterten sie in ein Popularitätstief und fuhren bei der Wahl 2010 eine schwere Niederlage ein.

Gergely Karácsony, Spitzenkandidat der Sozialisten.
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Zudem wird die MSZP – als Nachfolgepartei der Kommunisten – von vielen immer noch mit der Zeit vor 1989 assoziiert, was auch Orbán rhetorisch für sich nutzt.

Chancen auf den Einzug ins Parlament haben darüber hinaus die linksgerichtete Demokratische Koalition (DK), eine Abspaltung der MSZP, die von Ex-Premier Gyurcsány angeführt wird, sowie die Ökopartei "Politik kann anders sein" (LMP) mit ihrer Spitzenkandidatin Bernadett Szél.

Ex-Premier Ferenc Gyurcsány tritt für die linke DK an.
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Sie sieht sich als liberale und nationale Partei und hat neben Sozial- und Umweltthemen auch den Kampf gegen Korruption zum Wahlkampfthema gemacht.

Bernadett Szél ist Spitzenkandidatin der Ökopartei LMP.
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Viktor Orbáns Kampagne kennt indes praktisch nur ein Thema: die angeblichen Gefahren, die Ungarn wegen der "Massenzuwanderung" drohen würden. Nur die Fidesz-Regierung könne das Land davor bewahren. "Man will uns die Heimat heute wieder wegnehmen. Wir sollen zum Einwanderungsland werden", tönte er am Mittwoch bei der Einweihung eines Studentenheims der Nationalen Universität für den öffentlichen Dienst. Die Opposition wolle "einen schwachen Staat, eine schwache Regierung, die die Weisungen der hierher entsandten Emissäre exekutiert". In seinem Verschwörungsnarrativ arbeiten die EU, die Uno und der im Hintergrund die Strippen ziehende US-Milliardär George Soros daran, widerborstige Nationen wie die ungarische zu brechen, damit in Europa mit muslimischen Einwanderern eine "Mischbevölkerung" kreiert werden könne. Soros unterstützt weltweit Zivilorganisationen, die sich für Demokratisierung und Menschenrechte einsetzen. Starke Anzeichen deuten darauf hin, dass Orbáns Umfeld mit geheimdienstlichen Methoden gegen Vertreter der Zivilgesellschaft vorgeht, um sie zu kompromittieren und dies dann propagandistisch auszuschlachten.

Premierminister Viktor Orbán (Fidesz) wird voraussichtlich erneut als Sieger aus der Wahl am Sonntag hervorgehen.
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András Siewert leitet Migration Aid, eine Organisation, die keine Unterstützung von Soros bekommt. Eine dubiose Londoner Technikfirma lud ihn zu Gesprächen nach Wien ein. Siewert ließ sich zum Schein darauf ein. Vor dem ersten Treffen informierte er das ungarische Amt für Verfassungsschutz. In Wien bot ihm ein Mann, der sich Grigori Aleksandrow nannte, die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Techniken zur Identifizierung von Flüchtlingen an. "Immer wieder wollte er uns zu illegalen Handlungen überreden", so Siewert zum STANDARD. Bald darauf erschien im Budapester Regierungssprachrohr "Magyar Idök" ein Diffamierungsartikel: Migration Aid aus dem "Soros-Netzwerk" lasse sich für Geld dafür kaufen, um illegal Daten über Flüchtlinge zu sammeln und weiterzugeben. Siewert ist sich sicher: "Das war eine bestellte Operation, mit hochprofessionellen, wenn nicht aktiven, so ehemaligen Geheimdienstlern."

Die Umfragewerte der Parteien vor der Wahl am Sonntag.

Mindestens drei weitere NGO-Vertreter wurden auf ähnliche Weise von "Geschäftsleuten" oder "Sympathisanten" unter falschen Vorwänden in Gespräche verwickelt. Andere, wie das Helsinki-Komitee, wehrten diesbezügliche Anbahnungsversuche von vornherein ab. Eine ehemalige Chefin des Soros Fund Management in New York sagte in einer derartigen Unterredung, dass in Ungarn mindestens 2.000 Menschen für die politischen Ziele von Soros tätig seien. Die Regierungspropaganda spricht seitdem von "2.000 Soros-Söldnern". Man kenne sie sogar namentlich, legte Orbán am letzten Freitag nach, wisse über ihre Tätigkeit genau Bescheid. Das war als Drohung zu verstehen. Schon in der Woche zuvor hatte er politischen Gegnern für die Zeit nach der Wahl "Vergeltung" angekündigt. (Gregor Mayer aus Budapest, 5.4.2018)