Polizeiabsperrung vor einem Haus, in dem ein Mord stattfand. In Medienberichten ist dann fälschlicherweise oft von "Familientragödie" die Rede.

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Wien – Die größte Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, geht in Österreich für Einzelne nicht von Unbekannten aus, sondern von Menschen, die er oder sie kennt. Konkret hatten laut Kriminalstatistik im Jahr 2017 fast zwei Drittel aller 42.079 Tötungs-, Körperverletzungs-, sexueller Übergriffs- und Raubanzeigen – 62,8 Prozent – mit Beziehungstaten zu tun.

Der persönliche Bezug zwischen Täter und Opfer spielt naturgemäß auch bei den schwersten Verbrechen – Mord und Totschlag – eine zentrale Rolle. Präziser: Meist finden diese Taten innerhalb der Familie oder anderer enger Beziehungsverhältnisse statt, mit Männern als Tätern und Frauen sowie Kindern als Opfern, erläutert die Vorsitzende des Bundesverbands der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen, Maria Schwarz-Schlöglmann.

Ungenügende Statistiken

Sie nennt Zahlen aus einer internen Statistik des Bundesverbands, der jene Stellen vereint, die mit Beratung im Fall von Wegweisungen wegen Gewalt in Beziehungen betraut sind. Offizielle Statistiken über das Geschlechterverhältnis in Kriminalitätsfällen gebe es nur in ungenügendem Ausmaß, kritisiert sie. Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, bestätigt dies: EU und Europarat würden derlei genderspezifische statistische Aufschlüsse von den Mitgliedstaaten seit Jahren einfordern, Österreich habe dem, wie viele anderen Länder auch, bisher aber nicht Folge geleistet.

Laut der Bundesverbandsstatistik hatten 36 der 54 im vergangenen Jahr bundesweit begangenen Morde einen familiären oder sonst intimen Hintergrund. Insgesamt töteten 2017 innerhalb von Beziehungen 31 Männer 24 Frauen, sechs Kinder und sechs andere Männer. Elf Frauen wurden in aufrechter Beziehung von den Partnern, sechs Frauen während oder nach der Trennung getötet. 25 Opfer und 24 Täter seien österreichische Staatsbürger gewesen.

Österreich hinter Spanien

Mit diesen Zahlen stehe Österreich im europäischen Vergleich – soweit es Statistiken gibt – nicht gut da, sagt Schwarz-Schlöglmann. In den Jahren 2012, 2014 und 2015, so eine 2017 erstellte Studie, habe es etwa hierzulande, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, eineinhalb Mal mehr Tötungen von Frauen im Beziehungskontext als im machistischen Spanien sowie in Großbritannien gegeben. Umgekehrt habe es 2015 in Deutschland, das seit mehreren Jahren detaillierte geschlechtsspezifische Statistiken führe, fast doppelt so viele Femizide gegeben. Womit das zusammenhänge, sei bisher ungenügend erforscht.

Hierzulande auffallend ist laut der Expertin derzeit die Zunahme einschlägiger Fälle: 2016 noch habe sich die Zahl von Tötungsdelikten im "sozialen Nahraum" auf 26 Fälle beschränkt. Zwar könne es sich auch um eine vorübergehende Schwankung handeln, jedoch: "Wir registrieren mehr besonders schwere Fälle, in denen eine Wegweisung allein nichts nutzt und es zu fortgesetzter schwerer Gewalt der Männer kommt."

Schutzfaktoren brechen weg

Grund dafür könnten der allgemeine "größere Anpassungsdruck sowie die zunehmenden Unsicherheiten" sein. Schutzfaktoren wie zum Beispiel ein sicherer Arbeitsplatz würden heute rascher wegbrechen: "Wenn sich dann auch noch die Frau trennen will, kann die Lage durchaus eskalieren", meint Schwarz-Schlöglmann.

In derartigen Fällen werde die bestehende Gefahr vielfach unterschätzt, meint an dieser Stelle Interventionsstellengeschäftsführerin Logar. "Nach wie vor fehlt in den Staatsanwaltschaften Wissen über Gefahrenanalyse. Nach wie vor werden gewalttätige Männer überwiegend auf freiem Fuß angezeigt, auch wenn sie wiederholt schwerste Drohungen gegen Frau und Kinder ausgestoßen haben", sagt sie. Mehr Mittel für Gewaltprävention seien jedoch nicht in Sicht. (Irene Brickner, 8.4.2018)