"Nicht die Stimme eines und einer jeden ist gleich", sagt die Buzzfeed-Chefredakteurin Janine Gibson beim Journalismusfestival in Perugia.

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Perugia – Moralische Maßstäbe und Regeln definieren für Facebook und Google, aber auch für klassische Medien: Die suchte Donnerstag ein Panel beim internationalen Journalismusfestival in Perugia vor – das die milliardenschweren Tech-Riesen als Sponsoren ebenso unterstützen wie Medienprojekte, Medienstipendien und die New Yorker Journalismusschule von Moderator Jeff Jarvis. Die Ideen, naturgemäß ohne gemeinsamen Nenner: gesetzliche Regeln, Lizenzen oder zumindest grundlegende Standards wie für Medien auch für Plattformen. Und der Hinweis, dass Medien bisher weniger transparent Daten sammelten als Facebook.

"Kein anderer Weg als Regulierung"

Janine Gibson, ehemalige Chefredakteurin des "Guardian" in den USA zu Zeiten der Enthüllungen von Edward Snowden (Name korrigiert) und heute Chefredakteurin von Buzzfeed in Großbritannien, ging gegenüber Onlineplattformen am weitesten: "Ich sehe keinen anderen Weg als Regulierung." Sie konstatiert massive Probleme mit Inhalten, Daten und der Finanzierung von Inhalten.

"Warum sprechen die Plattformen nun davon, dass sie freiwillig Verantwortung übernehmen?" Gibson beantwortet ihre Frage gleich selbst: Weil sie von all diesen Problemen wussten und vom Datenmissbrauch etwa durch Cambridge Analytica, und weil Journalisten diese Missstände aufdeckten und die Userinnen und User alarmierten.

Lizenzen für Plattformen wie für TV-Stationen

Gibson erinnert an das Fernsehen, das als (abgesehen von lange knappen Frequenzen) so meinungsbildend eingestuft wurde, dass dafür Lizenzen und Anforderungen für Inhalte, aber auch Werbung notwendig sind, um einen Sender zu betreiben. Warum nicht auch Lizenzen für Unternehmen, die Abermillionen Datensätze von Userinnen und Usern kontrollieren: "Man sollte auch dafür eine Lizenz brauchen", sagt die "Hobby-Regulatorin".

Selbstregulierung wäre natürlich auch wunderbar, räumt Gibson ein: "Aber es muss Gesetze geben, die die Konsequenzen regeln, wenn die Selbstregulieurung nicht funktioniert."

Und wo sie gerade etwa an Jarvis' Vorstellungen von freier Meinungsäußerung an die ganze Welt rüttelt, nimmt sich Gibson auch gleich die Gleichheit vor. Facebook stelle die Recherchen und Inhalte etwa einer "New York Times" auf eine Ebene mit Accounts, die womöglich absichtlich Falschinformationen lancieren oder verbreiten. "Nicht die Stimme eines und einer jeden ist gleich", sagt die Buzzfeed-Chefredakteurin.

Ende der Balance

Indira Lakshmanan vom Poynter Institute for Media Studies (St. Petersburg, Florida) unterstreicht Gibsons Ungleichung in einem zentralen Punkt: falsche Behauptungen etwa auf 4chan oder Reddit seien eben nicht gleichzusetzen mit recherchierten, zutreffenden Inhalten.

Überholt hat sich für Lakshmanan in einer polarisierten Gesellschaft Journalismus, der stets versuche, beide Seiten eines Problems darzustellen. "Wir müssen die Wahrheit berichten" – und das sei eben meist, dass eine der beiden Seiten nicht richtig liegt. Damit sei die lange angestrebte Balance nach dem Motto – "Ja, Nazis sind böse, aber manche sagen auch, Nazis wären gut" (Lashmanans Extrembeispiel) – obsolet.

Zu Hause bei Zuckerberg

Maria Ressa hat auf den Philippinen die Medienplattform "Rappler" gegründet. Klassische Medien gingen mit "selbst angelegten Handschellen" journalistischer Standards und ethischer Verantwortung in die Welt der digitalen Riesen – die davon nichts wissen wollten. Was nicht bedeute, dass Medien diese Standards ebenfalls hinter sich lassen sollten, im Gegenteil.

Ressas drastisches Bild für Social Media, gezielte Falschinformation und Manipulation: "Wenn du ein Haus baust und Leute dorthin einlädst, dann muss du auch darauf achten, dass sie in deinem Haus nicht aufeinander schießen." Facebook indes habe kein Problem damit – solange nur noch mehr Leute reinkommen, vielleicht auch nur, um die Schießerei zu sehen.

Die Philippinen hätten die Möglichkeiten der Manipulation über soziale Medien vor vielen anderen Märkten erlebt, von allen Menschen online dort seien 97 Prozent auf Facebook. Das Ideal des Internet, jeden einzelnen Menschen zu ermächtigen, sei zur Freiheit von Menschen programmierter Algorithmen geworden, Menschen zu manipulieren. "Bots und Algorithmen schaffen einen künstlichen Konsens, darüber, dass rechts abbiegen der richtige Weg ist – auch wenn man eigentlich links abbiegen sollte, um ans Ziel zu gelangen." Sie meint das nicht politisch.

Google, Facebook und andere Plattformen müssten nach ethischen Maßstäben Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen, sagt Ressa.

An der Nase nehmen

Raju Narisetti, früher bei Rupert Murdochs News Corp und heute CEO von Gizmodo Media (aus Gawker entstanden), erinnert Medien an ihre eigene Verantwortung: "Wir tun dasselbe wie die großen Plattformen, warum beginnen wir nicht, bei uns selbst die Standards anzulegen, die wir von Facebook und Google verlangen? Medien sammelten Daten über ihre User, etwa zur Werbevermarktung, räumten ihnen aber weniger Möglichkeiten als Facebook ein, ihre Daten einzusehen. "Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen."

Lakshmanan sieht keinen Widerspruch: "Wir können beides gleichermaßen kritisieren – bei uns und bei anderen. Wir haben es natürlich nicht perfekt gemacht."

Narisetti verweist auf Ärzte, Notare und Rechtsanwälte, die über sehr persönliche Informationen ihrer Kunden verfügten und zur Verschwiegenheit und treuhändigen Verwaltung verpflichtet seien. Solche Vorgaben kann er sich auch für Plattformen vorstellen; und mehr Entscheidungshoheit, wieviel Privatheit User preisgeben.

"Wir können moralische Verantwortung nicht auslagern", adressiert Narisetti Medien gleichermaßen wie Plattformen. Facebook habe das nach seinem Befund mit Cambridge Analytica getan hat, die mehr als 80 Millionen Profildaten kauften und für politische Beeinflussung nutzten.

Gibson nennt als Beispiel Foren, die Medien auf Facebook verschoben: "Wir haben die Verantwortung ausgelagert, wie man solche Diskussionen kontrolliert und moderiert."

Moralische Imperative für Plattformen und Medien: Das Video über die Diskussion beim Journalismusfestival in Perugia.
International Journalism Festival

(fid, 12.4.2018)