Mitchell Baker befindet, dass Daten an sich nichts Schlechtes sind. Es gehe eher darum, was damit getan wird.

Foto: mozilla

Ein Kernthema der Mozilla Foundation, der Non-Profit-Organisation, die hinter dem Browser Firefox steckt, war schon immer Datenschutz und Privatsphäre. Erst kürzlich hat das Unternehmen sein Manifest, welches die eigenen verfolgten Ziele für ein gesundes Internet festhält, aktualisiert. Vorstandsvorsitzende Mitchell Baker hat sich mit dem STANDARD über Mozillas Streben unterhalten.

STANDARD: In dem neuen Addendum des Mozilla-Manifests werden Themen wie Fake-News, Hasspostings und Netzneutralität angesprochen. Warum das?

Baker: Wir haben das Manifest ursprünglich 2007 veröffentlicht, damals als Ausdruck von dem, was Mozilla sowieso schon seine Identität gegeben hat. Aber das war vor einem Jahrzehnt. In Internetzeit ist das geradezu eine Unendlichkeit. Seitdem haben wir viel Neues gelernt. Wir haben gesehen, dass das Internet einerseits großartiges für unser Leben tun kann – ich glaube, wir vergessen oft, wie toll es ist, jegliche Informationen jederzeit aufrufen zu können, weil wir es schon so gewohnt sind. Andererseits haben wir aber auch viele beunruhigende Entwicklungen gesehen. Das wollen wir in unserem neuen Manifest festhalten.

STANDARD: Sie haben angekündigt, künftig nicht mehr auf Facebook zu werben. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Baker: Uns ist es besonders wichtig, dass ein Individuum die Kontrolle über seine Erfahrungen im Netz behält. Die Enthüllungen der letzten Wochen über Facebooks ungeheuerliche Praktiken zeigen, dass hier definitiv niemand von uns Kontrolle über seine Erfahrungen hat, geschweige denn die Möglichkeit hat, sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Zugleich ist unser Bewusstsein für Daten gestiegen und Facebook ist größer statt kleiner geworden. Es ist schwierig für uns, Bürger oder Konsument, zu wissen, was wir tun sollen. Oft ist es ein hilfloses Gefühl: Zwar wissen wir, dass das alles passiert, aber gleichzeitig fragen wir uns, ob sich das jemals wirklich ändern könnte.

Wir haben gesehen, dass Veränderung manchmal durch das wirtschaftliche Ökosystem kommen kann. Werbung – oder der Verzicht darauf – kann manchmal ein wirkungsvolles Mittel sein, um Veränderung zu forcieren. Wir haben empfunden, dass der Zeitpunkt gekommen ist, um Facebook zu verlassen.

STANDARD: Wieso dann aufhören, auf Facebook zu werben, nicht aber bei Google, obwohl man weiß, dass das Unternehmen auf ähnliche Weise operiert?

Baker: Nun, erstens: Wir alle lernen von dieser Welt. Nicht auf Facebook zu werben ist schon einmal ein erster, wichtiger Schritt. Wir glauben daran, dass man etwas ausprobieren sollte, um herauszufinden, ob es funktioniert. Wenn es das tut, wird man unsere nächsten Schritte sehen.

Zweitens: Google hat definitiv eine massive Fundgrube an Daten über uns alle. Aber was wir aktuell nicht sehen, ist, dass Google diese Daten als Geschäftsmodell versteht und sie in enorm großen Brocken an zahllose, uns unbekannte Dritte weitergibt oder verschenkt. Facebook hat zwar gesagt, dass sie das vor Jahren umgestellt haben, aber trotzdem war es einmal ihr Geschäftsmodell – sie Drittanbietern einfach zur Verfügung zu stellen. Das ist ungeheuerlich.

Zudem bietet Firefox im privaten Modus die Möglichkeit, Tracking zu verhindern. Der Browser verhindert dann Werbetracker. Googles Lösung war es, mit der Werbeindustrie zusammen zu arbeiten und bestimmte, besonders schlimme Werbung zu verhindern. Wir haben gesagt: Wir blockieren nicht die Werbung selbst, sondern die Tracker.

STANDARD: Wieso blockieren Sie denn nicht die Werbung selbst?

Baker: Es gibt bereits zahlreiche Möglichkeiten, Werbung in Firefox abzublocken. Unser eigener Fokus bleibt die Überwachung und das Tracking. Es existiert ja schon ein gut funktionierendes Ökosystem an Werbeblockern von Drittanbietern. Wir konzentrieren uns auf das, wofür es noch nicht so viele Optionen gibt.

STANDARD: Sie versuchen vermehrt, Firefox als der Privatsphäre bewussten Browser zu positionieren. Diese Strategie war in der Vergangenheit nicht allzu erfolgreich – wieso sollte sie es jetzt sein?

Baker: Wir wollen Firefox primär als den schnellsten, besten und modernsten Browser positionieren. Zusätzlich soll er auch noch Privatsphäre- und Sicherheitsfeatures bieten. Wir hoffen, dass diese Aspekte Menschen irgendwann wichtig genug sein werden, als dass sie ihre Entscheidungen darauf basierend treffen. Aktuell ist aber das Wichtigste, dass ein Browser sehr schnell, einfach und bequem zu nutzen ist. Wenn Privatsphäre und Sicherheit dann auch dabei sind, fühlen Nutzer sich noch einmal besser, aber am meisten wollen sie ein gutes, effektives Produkt. Also konzentrieren wir uns auf beides.

STANDARD: Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Zukunft, in der Werbung auf eine unaufdringliche Weise existieren kann?

Baker: Nun, wir experimentieren gerade – in einem kleinen Maßstab – damit. Mozilla hat ein Produkt namens Pocket, welches in Firefox integriert ist. Die Idee dahinter ist primär, Nutzern dabei zu helfen, Inhalte zu finden, die ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit wert sind. Mit Pocket können sie Dinge, die sie im Netz finden, speichern, um sie später wieder aufzurufen. Wenn man einen neuen Tab öffnet, bekommt man in manchen Regionen Empfehlungen von Pocket – und gesponserte Inhalte. Weil Werbung das Geschäftsmodell so vieler Unternehmen ist, wollen wir nun testen, ob es möglich ist, Werbung zu zeigen, die einen Wert auf Privatsphäre legt. Das aktuelle Modell ist es ja, alle Informationen eines Nutzers aufzusaugen, es in einer Cloud zu speichern und so zu tun, als gehöre es einem selbst. Es zu verkaufen, kaufen, was auch immer. Das wollen wir nicht machen. Ihr Browser weiß viel über Sie – wir senden eine Reihe von Vorschlägen an Ihre Kopie von Firefox und Ihr Firefox entscheidet dann, welche Inhalte für Sie interessant sein könnten.

STANDARD: Basierend auf den Webseiten-Verlauf? Ist das nicht auch schon eine Art von Tracking?

Baker: Ihr Smartphone weiß alles, was Sie damit machen. Es führt ja die Befehle aus. Dasselbe gilt für den Browser und für jede andere Software: Wenn jemand anderes dieses Wissen hat, ist das eine Sache. Wenn Sie das aber selbst sind, und die Daten werden auf Ihren Wunsch, mit Ihrer Kontrolle, behalten, ist das etwas komplett anderes. Daten sind nützlich und sehr wertvoll. Jetzt könnte man schon sagen: "Ein System sollte nirgendwo irgendwelche Daten speichern. Selbst meine Software oder mein Smartphone sollte nichts über mich wissen. Keine automatische Vervollständigung, keine Browserchronik, nichts. Jedes mal, wenn ich mein Handy in die Hand nehme oder meinen Browser starte, soll es so sein, als wäre es das erste Mal." Was wir wissen, ist, dass die Zahl der Menschen, die das wirklich wollen, sehr niedrig ist. Wir versuchen schon, für solche Nutzer Optionen zu bieten (Firefox Klar bietet das, Anm.), aber die breite Masse ist das sicher nicht. Man kennt das ja, wie unangenehm das ist, ein neues Gerät zu nutzen und zu merken, dass es nichts von einem weiß. Also versuchen wir, Tools zu schaffen, die etwas wissen, ohne uns dabei auszuspionieren. (Muzayen Al-Youssef, 15.4.2018)