Gedämpfte Klänge aus der Pianobar, eilige Liftboys, in den Klubsessel versunkene Stammgäste – es ist wie in jedem Hotelpalast. Nein, es ist doch nicht dasselbe. Im Ritz kann man das Attribut "Hotel" auch weglassen. Das Ritz ist das Ritz. Die Briten haben dafür sogar ein Wort geschaffen, sie nennen es "ritzy" – elegant, feudal, vom Feinsten eben.

Gleichzeitig ist es leicht, das Ritz zu betreten: durch die Drehtür und dann nach rechts. Es wartet keine protzige Hotellobby, kein geschäftstüchtiges Lächeln; sogar die Réception findet sich abseits. Nur kein Prunk. Dem deutschen Hoteldirektor Christian Boyens liegt an einer "wohnlichen, vertrauten" Atmosphäre: "Viele Leute denken: Wenn Sie nicht Ihre eigene Fabrik besitzen, können Sie hier kein Glas trinken. Völlig falsch."

Durch die Drehtür und dann nach rechts: So betritt man das Ritz. Im Auktionshaus Artcurial (im Bild) kann man ab 17. April Stücke aus dem Nobelhotel erstehen.
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Wohnlichkeit ab 1000 Euro

Ein Glas vielleicht. Das günstigste Zimmer – wobei Zimmer nicht das richtige Wort ist, bei einer nach oben offenen Mindestfläche von 40 Quadratmetern – kostet 1000 Euro, jede Suite ein Vielfaches. Wohnlichkeit hat ihren Preis. Im Badezimmer tut man sich anfangs noch etwas schwer mit dem Wasserhahn in Form eines goldenen Schwans: Seine Flügel dienen trotz entschlossenen Versuchs nicht dazu, das Wasser aufzudrehen. Es ist der glitzernde Glasknopf daneben. Aber bald fühlt man sich wie in den eigenen vier Wänden, auch wenn die durch das Kingsize-Bett mit Baldachin, Kristalllüster und Türen so dick wie ein Banksafe ergänzt werden.

Teile der "La Suite Imperiale" werden ebenfalls käuflich erwerben zu sein.
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Genau dieses Gefühl kann man sich von 17. bis 21. April tatsächlich in die eigenen vier Wände holen: Dann werden nämlich rund 3500 Objekte aus dem Nobelhotel im Pariser Auktionshaus Artcurial an der Champs-Elysées versteigert. Sie wurden bei der vierjährigen Totalrenovierung des mehr als hundert Jahre alten Hotels aussortiert. Zum Verkauf gelangen ganze Suiten mit Riesenbetten, Marmortischchen, Ledersofas und Samtvorhängen, ergänzt durch kleinere Utensilien wie Kerzenhalter, Lampen, silberne Kleenex-Behälter oder eine Minibar mit Ritz-Inschrift. Dazu Einrichtungen aus mehreren Bars und Restaurants. Der Mindesteinsatz beträgt 100 Euro, der gesamte Ausgangsschätzwert zwei Millionen Euro. Er dürfte um ein Vielfaches übertroffen werden.

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Auch die erste Badewanne des Nobelhotels ist Teil der Auktionsware.
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Chanels Zuhause

Coco Chanel lebte mit ihren eigenen Möbeln im Ritz: "Das Hotel ist mein Zuhause", sagte die Modeschöpferin. Dem fülligen englischen König Eduard VII. wurde die Badewanne verbreitert, damit er sich dort mit seiner Herzdame nicht mehr verklemmte. Und Ernest Hemingway hatte im Ritz seine Bar. Sie war dem US-Schriftsteller so teuer, dass er bei der Befreiung von Paris im Jahr 1944 mit Gleichgesinnten die Nazis aus dem Hotel vertreiben wollte. "Ich komme, um das Ritz zu befreien", rief er bei seiner Ankunft mit dem Gewehr in der Hand, obschon die Nazis bereits weg waren. "Bien sûr", erwiderte der Portier. "Aber die Waffe lassen Sie lieber draußen."

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Nicht nur Möbelstücke, sondern auch Gepäckstücke wie dieser Koffer von Louis Vuitton kommen unter den Hammer.
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In der Hemingway Bar, wie sie heute heißt, sitzt man unter Wasserbüffeltrophäen so eng und demokratisch wie in einem Pub. Das Ritz hat noch zwei andere Bars, wo man alles bis zum Macallan-Whisky erhält. Dessen Jahrgang 1938 kostet pro Glas 8100 Euro, wie Barmann Andi ohne ein Wimpernzucken meint. Aber er beruhigt gleich, das habe in den letzten achtzig Jahren niemand bestellt.

Innerhalb der vierjährigen Renovierung wurden die Möbelstücke aussortiert.
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Tee ohne Porzellan

Im Salon Marcel Proust bereitet Trang einen Long-Jing-Tee mit Haselnussgeschmack zu. Zu ihrer Teezeremonie – der einzigen in Paris, wie die Vietnamesin nebenbei erwähnt – benützt sie Schälchen, Sanduhren und Pfeffermühlen, aber ja kein Porzellan. Das mache den Tee bitter, auch wenn die Wassertemperatur von 75 Grad genau eingehalten wird, meint die zierliche Frau. Und im Ritz ist nichts bitter.

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Im "Proust Salon" wird noch immer Tee kredenzt. Teile der Möbel fliegen aber raus.
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Wie Marcel Proust, der Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, sitzt man nun im tiefen Sofa und beobachtet die Haute Société zum Apéro. Der Ort war dem mondänen Franzosen so ans Herz gewachsen, dass er auf seinem Totenbett nur noch "ein kühles Bier aus dem Ritz" wünschte. Warum gerade aus dem Hotel, das nicht als Brauerei bekannt ist? Hotelsprecher Matthieu Goffard hat wie sämtliche Bediensteten auf alles eine Antwort: "Weil es das Ritz ist."

Der "Proust Salon" aus einer anderen Perspektive.
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Telefone auf den Zimmern

Lady Di hatte bekanntlich nicht einmal Zeit für einen letzten Wunsch; sie starb 1997 bei einem Autounfall nahe der Place Vendôme, nachdem sie das Ritz mit ihrem Begleiter Dodi Al-Fayed verlassen hatte. "Das hätten wir zu gerne vermieden", sagt Goffard und seufzt. Dodis Vater, dem ägyptischen Geschäftsmann Mohamed Al-Fayed, gehört das Fünfsternhotel.

Das Ritz war ein Ort der Pionierarbeit: So wurden hier zuerst Telefone in allen Hotelzimmern installiert.
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Erworben hatte er es 1979 von der Schwiegertochter des Hotelgründers César Ritz. Der dreizehnte Sohn eines Schweizer Bergbauern hatte das vielleicht erste Luxushotel 1898 gegründet. Er besaß 300 Anzüge und führte als Erster Telefon und Elektrizität bis in die Hotelzimmer ein.

Seit der Wiedereröffnung im Juni 2016 gibt es im Louis-Seize-Tischchen alle Highspeed-Internet-Applikationen unter einem Lederdeckel. Im Badezimmerspiegel sind TV-Schirme eingelassen – diskret, raffiniert, hauchdünn exzentrisch. Eben "ritzy". (Stefan Brändle aus Paris, 13.4.2018)