Wien – Weihnachten markiert zwar einen Neubeginn, oft aber auch das Ende. Veröffentlichen langgediente Popstars ein Weihnachtsalbum, ist das meist ein jinglendes Indiz dafür, dass sie ihrem Label noch ein letztes Werk schulden. Keine originelle Idee, aber eine, die im Weihnachtsgeschäft halt doch ein wenig Ertrag verspricht.

Kylie Minogue hat ihr Weihnachtsalbum vor drei Jahren veröffentlicht. Schweigen wir darüber, nur so viel: Ein Last Christmas ist ihr damit nicht gelungen. Kylie Christmas war das letzte Werk für das Label Parlophone; auf BMG erschien nun nach drei Jahren Pause Golden.

Cowgirl Kylie Minogue hübsch inszeniert im Lichte Nashvilles. Dort hat sie ihr neues Album aufgenommen. Es heißt "Golden".
Foto: BMG

Der Titel ließe sich als Understatement lesen. Ist der australische Superstar doch eher Platin-verwöhnt. Mit Platin-Zuerkennungen werden die größtmöglichen Verkaufszahlen im Pop geadelt. Gold ist natürlich toll, aber nicht ganz. Doch die 49-jährige Australierin wird sich da keine ernsthaften Gedanken machen: Sie gilt nach Madonna als erfolgreichster weiblicher Popstar.

Doch keine Tränen im Bier

Kylie Minogue hat fast ihr gesamtes Leben im Showbiz verbracht. Schon im Alter von elf Jahren tauchte sie erstmals in einer TV-Serie auf, bevor sie später zur Musik wechselte und Ende der 1980er mit Plastikpop aus der Werkstätte der Produzenten Stock, Aitken und Waterman ihre Welteroberung begann.

Mit Golden schlägt sie nun einen Haken. Golden soll ein Countryalbum sein, heißt es. Dass es ausgerechnet im Berliner Berghain der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde, machte staunen. Ein Technoclub ist nicht gerade die Grand Ole Opry – doch es passt zu Golden.

Gut, dann und wann vernimmt man ein Banjo, Kylie inszeniert sich auf dem Cover als Cowgirl, und aufgenommen wurde es in Nashville, dem Welthauptquartier der Kuhglocken, Pedal-Steel-Gitarre und Tränen im Bier. Doch damit hat Golden wenig am Stetson.

Zwar schreitet sie zu den Klängen einer akustischen Gitarre im Opener Dancing durch die Saloontür, und tatsächlich widmet sie sich im Video zum Lied den Freuden des Square-Dance, allerdings im Kylie-Style: Da hebt bald die elektronische Popwumme an, die Gitarre verkommt zum glitzernden Accessoire. Wenn das Country ist, waren die Village People ebenfalls Country – die hatten ebenfalls einen Cowboydarsteller in ihren Reihen.

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Dennoch ist es ein ungewöhnlicher Schritt. Dass sich Popstars wie Minogue mit ihrem Output permanent nach den Trends richten, gehört zum Pflichtprogramm in der Pop-Championsliga. Es signalisiert: Man ist vorn dabei. Anders als Madonna hat Minogue das jedoch bis nicht zum Exzess der Lächerlichkeit betrieben.

Kuschelrock mit Nick Cave

Dennoch tauchen in der Diskografie Minogues verschiedene Referenzen und Stile auf, die meisten waren dem jeweiligen Zeitgeist ihres Entstehungsdatums geschuldet. Da gab es Hip-Hop-Anleihen mit Scratchgeräuschen, klassische Discoanleihen, Housezitate, nichts, was elektronischem Dancepop fremdkörperlich zuwidergelaufen wäre.

Die stärkste stilistische Zäsur, das sagt sie selbst, war ihr Duett mit Landsmann Nick Cave. Mit dem bösen Buben veröffentlichte sie 1995 das Lied Where The Wild Roses Grow. Die Paarung mutete dermaßen exotisch an, dass beide ihre Vorteile genossen. Cave wurde im Mainstream wahrgenommen, Kylie von finsteren Undergroundgestalten akzeptiert. Zwischen Celine Dion, Take That und den Scorpions landeten die beiden damals sogar auf der Kompilation Kuschelrock 10 – na, wenn das nicht adelt?

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Der in Aussicht gestellte Haken in Richtung Country erweist sich aber schnell als halbherzige Angelegenheit. Country ist der Soul der Weißen. Es ist Arme-Leute-Musik, nah dran am harten Leben, verschwitzt, dreckig, ein bisserl hinterwäldlerisch. Zwar gibt es jede Menge Varianten, die all diese Klischees widerlegen, doch die Richtung wäre somit vorgegeben.

Minogue beschränkt sich auf ein wenig Koketterie mit dem Genre: In Shelby '68 erinnert sie an das Lieblingsautos ihres Vaters, Radio On verströmt eine ähnliche Nostalgie, Music's Too Sad Without You ist ein waidwundes Duett mit Jack Savoretti.

Golden ist das erste Album Minogues, das auf der Gitarre komponiert wurde, doch die Resultate versanden im Biederen. Kylie als trashiges Cowgirl – als eine ersatzteilarme Version der Dolly Parton, das wäre es gewesen.

Doch in dem für Kylie Minogue von der Abendsonne ausgeleuchteten Stall hat noch keine Kuh einen Fladen hinterlassen. Vom Boden unter ihren Boots kann man selbstverständlich essen, der am Gatter lehnende Knecht ist ein Supermodel, das Lasso von Gucci, die Sporen von Agent Provocateur.

Das Dreckige des Country lässt sich nicht auf Hochglanz polieren, ohne dabei seine Seele zu verlieren. Und das ist das Problem. Selbst Minogues hochgezüchtete Pophits besitzen mehr Seele als die Lieder, die bei diesen unentschlossenen Spagat abfallen. Anerkennung gebührt ihr für den Mut, die Durchführung lässt einen den Kopf schütteln – nur nicht im Rhythmus. (Karl Fluch, 16.4.2018)