Emmanuel Macron steht politisch stark unter Druck. Er macht aber auch selber enormen Reformdruck – im eigenen Land wie in Europa. Das war wohl das Auffälligste am Auftritt des französischen Staatspräsidenten am Dienstag im Europäischen Parlament in Straßburg.

Als er in der Europastadt eintraf, waren die Ausläufer der Streiks gegen seine Politik zu Hause spürbar. Gewerkschaften machen gegen Macrons Umbaupläne, die jahrzehntealte Verkrustungen im Staat infrage stellen und Frankreichs Wirtschaft in Schwung bringen sollen, mobil.

Um dringend nötige Reformen an allen Ecken und Enden der EU ging es im Plenum der EU-Abgeordneten – auf dass Lähmung und Entscheidungsschwäche der Staatengemeinschaft beendet werden, damit "den Bürgern die Ängste genommen werden" und das gemeinsame Europa wieder als "positives Projekt der Demokratie" wahrgenommen wird. Diese hatten Macron zu einer offenen Aussprache eingeladen, um vor allem mehr über seine im vergangenen September in seiner Sorbonne-Rede entwickelten Ideen zur Vertiefung der Eurozone zu erfahren. Ein seltenes Ereignis: Französische Staatspräsidenten halten in Europa traditionell "große Reden", aber ohne Debatten.

Es hat sich ausgezahlt. Zwar war Macrons Rede zunächst verhalten, er blieb unkonkret und hielt sich an Grundsätzliches, etwa zur Gefährdung der Demokratie durch den illiberalen Nationalismus quer durch die EU. Aber je länger es dauerte, desto heißer wurde die Diskussion, desto breiter und direkter wurden Zustimmung und Kritik der EU-Abgeordneten, desto deutlicher und leidenschaftlicher wurde der Präsident – fast dreieinhalb Stunden lang.

Eindeutiges Ergebnis: Nicht nur bei der EU-Reformdebatte, auch was Rolle und Vertretung der EU in der Welt betrifft, hat Macron die Führung übernommen. Großbritannien ist bald weg, Deutschland wirkt mit Kanzlerin Angela Merkel ermattet, viele kleine EU-Staaten orientierungslos, vom EU-Gründungsstaat Italien gar nicht zu reden. Frankreichs Präsident hingegen lässt keinen Zweifel, dass er die Lücke füllen, die EU-Reformdebatte dominieren will.

Aber wie im eigenen Land wird er auch hier bald auf starken Widerstand stoßen – sei es bei der Eurovertiefung, für die er Merkel braucht, oder bei seinem Lieblingsthema: "Europa, das schützt", was in Pariser Lesart vor allem mit militärischer Stärke verbunden ist. Ohne Macron fehlte derzeit jeder Antrieb. (17.4.2018)