Solisten sollen sich zu Medien-Allianzen formieren: Corinna Milborn und Markus Breitenecker.

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Wien – Von Mittwoch bis Freitag bitten ProSiebenSat1Puls4-Chef Markus Breitenecker und Puls-4-Infochefin Corinna Milborn zum dritten Mal zum sogenannten 4GameChangers-Festival in die Wiener Marxhalle. Mit Gästen wie Iron-Maiden-Sänger Bruce Dickinson, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Medienmanager Gerhard Zeiler, Philosoph Richard David Precht oder Designer Stefan Sagmeister geht es um Themen wie künstliche Intelligenz, Design, Mobilität, Start-ups oder darum, was Europa US-Konzernen wie Facebook und Google entgegensetzen könnte.

STANDARD: Die Veranstaltung steht auch unter dem Motto, das Netz von Google und Facebook zurückerobern. Sie, Frau Milborn, haben bereits einen Teilrückzug aus Facebook angetreten beziehungsweise die Kommunikation in Richtung Blog verlagert. Warum?

Milborn: Facebook hat einen bestimmten Mechanismus, wie es den Newsfeed zusammenstellt. Der Newsfeed ist ein Medium wie etwa auch derStandard.at, er ist redaktionell zusammengestellt. Facebook wählt aus, was ich sehe und was es belohnt. Die Mechanismen dahinter sind übel, weil Polarisierung belohnt wird. Alles, was Reaktionen hervorruft, wird belohnt. Sie spülen Hass nach oben, fördern Spaltung und Filterblasen. Das hat einen Einfluss auf die Art, wie Menschen diskutieren und schreiben. Das ist fast so, als ob Facebook einen Chefredakteur hat, der mir sagt, wie ich meine Postings schreiben soll. Meinen ersten Newsletter habe ich zum Thema Kopftuch geschrieben.

STANDARD: Mit welchen Reaktionen?

Milborn: Schreibe ich einen Text auf Facebook, sieht ihn kaum jemand, schon gar nicht, wenn ein Link zu einer Quelle dabei ist, das versteckt Facebook einfach, weil sie nicht wollen, dass Menschen Facebook verlassen. Sieht ihn jemand, folgt eine ganz stark polarisierte Diskussion. Das widerspricht meiner Art, wie ich Journalismus und meine öffentlichen Beiträge verstehe. Ich versuche aufzuklären, verschiedene Zugänge offenzulegen, wie ich zu meiner Meinung komme, und das alles wird von Facebook bestraft. Der Einfluss von Facebook auf Parteien und Medien ist, dass alles simplifiziert wird. Greift man jemanden an, bekommt man besonders viele Likes. Dem kann man sich schwer entziehen, denn auf der anderen Seite des Bildschirms sitzen die besten Psychologen dieser Welt.

STANDARD: Ist die Resonanz geringer?

Milborn: Beim ersten Newsletterschwung hatte ich 3.000 Abonnenten, von denen 90 Prozent die Inhalte gelesen haben. Ich habe hunderte ausformulierte Antworten bekommen, ganz anders als auf Facebook. Jeder hat sich zuerst für den Text bedankt. Das macht Facebook alles zunichte, das ist in unseren Diskurs eingesickert. Auch in die Art, wie Medien ihre Artikel schreiben und Politiker ihre Inhalte kommunizieren. Das ist total demokratiezersetzend, und ich habe keine Lust mehr, Facebook Dinge zu schenken, an denen ich lange arbeite.

STANDARD: Aus Sicht Ihrer Senderfamilie: Ist es nicht ein Widerspruch, einerseits auf Facebook zu schimpfen, andererseits mit allen Kanälen dort präsent zu sein?

Breitenecker: Richtig. Das ist ein Hauptthema, das wir auch beim 4GameChangers-Festival diskutieren. Wir sehen Facebook und Youtube als Konkurrenzmedien und nicht als unabhängige Plattformen oder als Host-Provider, wie es im Fachausdruck heißt. In Wirklichkeit sind das Medien, die Inhalte vorher filtern und Werbung rundherum verkaufen. Die Hauptteile von Facebook, eben der Newsfeed, und das Autoplay von Youtube sind für uns Medien – nach eigentlich allen europäischen Mediengesetzen. Daher sind das Mitbewerber und Hauptkonkurrenten. Wir müssen uns sehr genau überlegen, was wir machen.

STANDARD: Derzeit Promotion für Sendungen?

Breitenecker: Wir verwenden sie schon noch als Promotionkanäle, aber wir stellen zunehmend infrage, ob es nicht sinnvoller wäre, auf eigenen oder europäischen Plattformen eigene Angebote zu machen.

STANDARD: Komplett weg aus Facebook ist eine Option?

Breitenecker: Wir würden Facebook so behandeln wie auch andere Medien. Man gibt ja manchmal auch Ö1 ein Interview oder dem STANDARD, obwohl das andere Medien sind. Das heißt nicht, dass man alles verbannt, aber man setzt sie in dem Bewusstsein ein, dass das nicht Plattformen sind, sondern Medien und damit Mitbewerber.

STANDARD: Facebook hat mit mehr als zwei Milliarden Nutzern eine Größe erreicht, die es schwermacht, überhaupt eine Konkurrenzplattform aufzubauen. Geht das noch?

Breitenecker: Unsere Meinung ist: ja. Obwohl Facebook derzeit ein De-facto-Social-Media-Monopol hat, glauben wir trotzdem, dass es möglich ist. – Wenn wir in Europa Medien-Allianzen schließen und gemeinsam eine Finanzierung als europäische Player auf die Beine stellen, gibt es eine Chance, europäische Destinationen zu entwickeln. Die nächste technische Revolution kommt, und wer sagt, dass Facebook auf alle Zeit weiterhin eine Monopolstellung haben muss?

STANDARD: Wie könnten solche Allianzen konkret aussehen? Öffentliche-rechtliche Sender kooperieren mit Privaten?

Breitenecker: Sowohl eine Allianz zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten als auch zwischen Print und elektronischen Medien und einzelnen Ländern in der Europäischen Union sind Optionen. Solche Achsen wären sinnvoll. Derzeit fließt in Europa viel Geld ins öffentlich-rechtliche System, wodurch der innereuropäische Wettbewerb mit den Privaten verzerrt wird. Verändert man das von einer Konkurrenz in eine Kooperation, könnten wir gemeinsame europäische digitale Alternativen entwickeln.

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STANDARD: Indem man etwas komplett neu aus dem Boden stampft?

Breitenecker: Entweder das, oder mit bereits bestehenden Start-ups arbeitet.

Milborn: Es braucht europäische Antworten. Google und Facebook sind so groß, die bieten für Nutzer und Werbekunden global Möglichkeiten. Niemand möchte die Technologie dahinter zurückdrehen, die ist ja an sich großartig, aber sie wird von zu mächtigen Monopolen missbraucht.

STANDARD: Mit europäischen Plattformen soll es auch gemeinsame Vermarktungsallianzen geben?

Breitenecker: Das ist ein Teilbereich, der sinnvoll sein kann, zunächst muss man aber auch Projekte entwickeln und Produkte etablieren, die User gut finden. Eine gemeinsame Vermarktung kann interessant sein, ist aber nicht der erste Schritt. Das primäre Ziel ist, europäische User auf europäischen Plattformen zu halten.

STANDARD: Das könnte alles mit dem Wettbewerbsrecht kollidieren, das solche Allianzen verbietet?

Breitenecker: Ich glaube, dass wir das Wettbewerbsrecht anpassen müssen. Wie regelt man wettbewerbsrechtlich die Tatsache, dass Facebook ein Social-Media-Monopol hat? Dass Youtube ein Videomonopol, Google ein Search-Monopol oder Amazon ein E-Commerce-Monopol haben? Mit herkömmlichen Mechanismen wird das schwierig, daher muss man andere Wege finden – etwa über Datenmacht und Missbrauch von Datenmacht und nicht mehr nur auf Umsatzgrößen abzielen, wie das bisher im Wettbewerbsrecht der Fall ist. Die europäischen Allianzen sind eher wettbewerbsfördernd, weil sie gegen die Übermacht der US-Monopole positioniert wären.

STANDARD: Monopole über den Datenschutz sprengen?

Breitenecker: Es gibt mehrere Rechtsbereiche, die von den US-Giganten angegriffen werden. Ein wichtiges ist das Datenschutzproblem, das etwa Max Schrems mit seiner Klage gegen Facebook seit vielen Jahren aufzeigt. US-Unternehmen halten sich nicht an europäische Grundlinien. Dann geht es neben dem Wettbewerbsrecht noch um das Urheberrecht. User laden Inhalte von Puls 4 einfach auf Youtube oder Facebook hoch, ohne dass wir gefragt werden. Unsere Inhalte werden "gestohlen", denn Urheberrechte werden nicht vorab gecheckt, sondern können erst im Nachhinein eingefordert werden. Ich möchte vorher gefragt werden. Im Printbereich wird das unter dem Titel Leistungsschutzrecht diskutiert. Dann gibt es noch das Steuerrecht oder Medienrecht. Facebook und Youtube halten sich nicht an Persönlichkeitsschutz, an unsere Mediengesetze, wo Fake News und Hate Speech klar geregelt sind. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese europäischen Normen auch für US-Firmen gelten.

STANDARD: Ginge das auch im Stile eines nationalen Alleingangs, wenn es auf europäischer Ebene keinen Konsens gibt?

Breitenecker: Wenn Europa das nicht schafft, müssten zumindest jene Staaten, die so weit sind, auch Alleingänge wagen. Österreich kann mit der EU-Ratspräsidentschaft ab dem zweiten Halbjahr 2018 eine Vorreiterrolle einnehmen. Etwa beim Leistungsschutzrecht, Urheberschutz, der Anwendung von Medienrecht oder der Besteuerung digitaler Umsätze. Gesetze zu beschließen geht leichter, schwieriger wird dann natürlich die Durchsetzung.

STANDARD: Sie haben ja bereits Youtube geklagt. Ist das noch im Instanzenzug?

Breitenecker: In erster Instanz haben wir teilweise gewonnen. Wenn unsere Inhalte auf Youtube ohne unsere Zustimmung hochgeladen werden dürfen, dann darf Youtube nicht auch noch rundherum Werbung verkaufen. Das wurde entschieden. Die Klage ist derzeit in der zweiten Instanz anhängig.

Milborn: Es ist nicht neu, dass eine Medienrevolution solche gesellschaftlichen Verwerfungen nach sich zieht. Das war beim Buchdruck so, beim Flugblatt mit den Hexenverbrennungen, beim Radio und Fernsehen, die vom Faschismus genutzt wurden. Wir stehen hier mittendrin, hätten aber die Regeln, es zu ändern. Über Jahrhunderte haben wir uns medienrechtliche Grundsätze erarbeitet, diese Regeln sind aber nicht auf die neuen Spieler angepasst. Diesen Schritt brauchen wir. Die Grundsätze in den USA und Europa sind verschieden. Mit der Erfahrung von Faschismus existieren ganz andere Regeln beim Persönlichkeitsschutz und der Privatsphäre. Bei uns kann man sich wehren, wenn man beschimpft wird.

STANDARD: Wehren könnten sich Nutzer einfacher, wenn Facebook nach dem Medienrecht behandelt würde?

Milborn: Zumindest dort, wo Facebook ein Medium ist. Etwa beim Newsfeed. Facebook und Youtube sind schon auch Plattformen, aber die Hauptprodukte, dass Youtube etwa Videos vorschlägt oder selbst produziert, sind redaktionell. Hier sind sie eine Art Herausgeber, der Informationen an Massen verbreitet. Das ist mit Verantwortung verbunden. Überall dort, wo das mit keiner Verantwortung verbunden war, hatte es üble Auswirkungen. Etwa beim Dreißigjährigen Krieg, der ganz stark auf die Möglichkeit zurückging, Gerüchte auf Flugblättern zu verbreiten. Hexenverbrennungen hatten auch damit zu tun, dass Verleumdungen so zahlreich und leicht gedruckt und verbreitet werden konnten. Oder die Verbindung zwischen Radio sowie Fernsehen und Faschismus. Also großartige Erfindungen, die üble Auswirkungen hatten – und genau in so etwas stecken wir derzeit drinnen.

Breitenecker: Facebook ist als Produkt so gut, dass es süchtig machen kann, und das bringt Gefahren mit sich, bis hin zu Gefahren für die europäischen Demokratien. Die beste Methode ist nicht, es zu zerstören oder etwas zu verstaatlichen, sondern aus Monopolen Marktplayer zu machen und einen Wettbewerb zu erzeugen. Sobald Wettbewerb da ist, regelt sich das von allein. Das sollte das Ziel sein. China hat es gelöst, indem es Facebook und Google verboten hat, um eigene Portale zu fördern, aber das kann nicht unsere Methode sein, wir müssen in Europa gute Projekte selbst entwickeln und die auch öffentlich-rechtlich fördern. So soll ein eigenes Ecosytem für digitale Alternativen entstehen.

STANDARD: Was impliziert, dass öffentlich-rechtliche Sender wie der ORF nicht auf Plattformen wie Youtube sein sollen und dort einen eigenen Kanal betreiben?

Breitenecker: Richtig, man muss das aber nicht nur auf den ORF beschränken. Ich halte etwa ein Projekt wie Funk von ARD und ZDF an sich für ein legitimes Unterfangen, sie dürften es aber nicht Facebook und Youtube verschenken, sondern auf den eigenen Kanälen oder europäischen Medien verbreiten. Inhalte herzustellen und mit ihnen die neuen US-Medien-Konkurrenten zu füttern ist der größte strategische Fehler, den man als europäisches Medium machen kann. (Oliver Mark, 18.4.2018)