Die Empörung war groß, als in den vergangenen Wochen publik wurde, dass im Rahmen eines Krankenhausbaus in Wien von öffentlichen Stellen ein sehr hoher Betrag für einen "Esoteriker" ausgegeben wurde, der angeblich einen energetischen "Schutzring" errichten wollte, dessen genaue Funktion und Gestalt bislang noch keiner wirklichen Definition zugeführt wurde. Der dabei kolportierte Betrag – 95.000 Euro – ist nach allen bekannten Maßstäben in der Tat exorbitant und der Ruf nach politischer Verantwortung zeigte bald seine Folgen. Auffällig war, wie sehr diese Diskussion die Gemüter erregte. Diskussionsforen – nicht nur die im STANDARD – explodierten geradezu und insbesondere die Aktivisten der sogenannten "Skeptiker", des österreichischen Ablegers der "Gesellschaft für die wissenschaftlichen Untersuchung von Parawisssenschaften" (GWUP), konnten ihre Expertise einbringen, indem sie in erster Linie den "Unsinn"-Charakter eines solchen Unternehmens hervorstrichen. Dass man da wenig "skeptisch" argumentierte, sondern zuweilen äußerst dogmatisch, steht auf einem anderen Blatt.

Die Katholische Kirche reagierte auf den Skandal gewitzt und meinte: "Ein einfacher Segen wäre günstiger gewesen". Womit ein Thema berührt ist, das im Folgenden näher betrachtet werden soll. Unterschwellig in der Diskussion präsent ist nämlich die These, dass sich hier etwas präsentieren würde, das ganz allgemein unter dem Label Religion zu versammeln sei. Ist nun Esoterik einfach Religion oder möglicherweise irgendetwas ganz anderes, was eben "mit Religion nichts zu tun hätte", wie entgegengesetzt oft behauptet wird?

Religion, Esoterik, Spiritualität – alles eins?
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Feinstofflichkeit, Hellsichtigkeit, Geheimlehre

Der grundsätzlichen Gleichung kann ein Religionswissenschafter in der Tat nicht wenig abgewinnen. Rein von der Außenbeschreibung gibt es viele Elemente im Kontext der Esoterik, die von religiösen Kontexten nicht unterscheidbar sind. Der sehr präsente Anspruch, quasi autoritativ über "höheres" Wissen zu verfügen beziehungsweise Einblicke in jenseitige Realitäten erlangt zu haben, haben eine gute religiöse Tradition und sind nicht nur für diverse Religionsgründer relevant, sondern sie spielen auch in den verschiedenen Religionsgeschichten eine Rolle. In beiden Fällen wird etwas behauptet, das sich einer empirischen Verifikation entzieht und aus der der "Empfänger" eine Autorität bezieht, die wiederum in der Wechselbeziehung mit seiner Umgebung, die ihn als "Lehrer" wahrnimmt, an Bedeutung gewinnt.

Was die inhaltlichen Themen der Esoterik betrifft, so gibt es oft die irrig behauptete These, dass diese völlig losgelöst von irgendwelchen Traditionen entstanden seien. Dem ist nicht so. Für weite Strecken dessen, was in Form der gängigen Allerweltsesoterik entgegentritt, kann das Material, das die russische Autorin Helena P. Blavatsky (1831-1891) im ausgehenden 19. Jahrhundert in ihren Publikationen zusammengetragen hat, als fundamental bezeichnet werden. Viele gängige Inhalte, wie beispielsweise die These von jenseitigen Welten, mit denen man in Kontakt treten kann beziehungsweise aus der diverse spirituelle "Lehrer" und Vermittlerfiguren wirken würden, das Reden von "Feinstofflichkeit" als quasi Unterfutter der Realität, die "Hellsichtigkeit" als besondere Begabung oder die Suche nach einer verbindenden "Geheimlehre", die allen Religionen und Philosophien zugrunde liegen würde, findet sich bei ihr bereits formuliert. 

Die Ideen Helena Blavatskys waren grundlegend für die heutige westliche Esoterik.
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Ihr bedeutendes Werk "The Secret Doctrine" ("Die Geheime Lehre") beinhaltet beispielsweise am Beginn einen als "Book of Dzyan" bezeichneten Text einer vermeintlichen Urreligion, die die Basis aller späteren Religionen sein soll. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich dieser im Übrigen als Zusammenschnitt von unterschiedlichen Zitaten, zumeist aus Übersetzungen damals bekannter indischer religiöser Texte. Trotz aller Kritik darf aber die Wirkung der Schriften Blavatskys nicht außer Acht gelassen werden. Sie war zweifellos eine charismatische Lehrerin, deren Ideen und Impulse weit über den engen Kreis ihrer Anhänger im Rahmen der sogenannten "Theosophischen Gesellschaft" wirksam wurden.

New Age und das Zeitalter des Wassermanns

Blavatsky bildet mit ihrem Werk einen regelrechten Steinbruch, der dann im 20. Jahrhundert im Strom der sogenannten New-Age-Bewegung eine massive Popularisierung erfuhr. Diese von den USA ausgehenden Strömung formierte dann weite Strecken der gegenwärtigen Esoterik, sowohl was die Inhalte als auch was die Organisationsformen betrifft. Maßgeblich war hier die Technik des sogenannten "Channeling", das heißt die Idee, dass Menschen als "Kanal" überirdischer Botschaften fungieren können. Unzählige "Medien" wurden nun von allen möglichen jenseitigen Welten und den dort lebenden Engelswesen kontaktiert und mit einer angeblich neuen Lehre betraut. Das Mitteilungsbedürfnis der überirdischen Mächte war zumeist erstaunlich hoch, was viele dieser Konglomerate zu äußerst umfangreichen Kompendien werden ließ, zumindest der Menge nach.

Inhaltlich präsentiert sich aber in den meisten Fällen ein ständiges, zumeist ermüdendes Umkreisen von verschiedenen Themenfeldern. In den oft mäandernden Ausführungen ist die Rede vom Anbruch eines neuen Zeitalters, das unter dem Zeichen des Wassermanns stehen würde und sich einer neuen "Spiritualität" öffnen würde – ein erstaunlich undefinierter, beliebig füllbarer Begriff –, Wiedergeburtslehren spielen eine große Rolle und die Kraft des Innenlebens, die es zu entdecken gälte. Das sind nur einige wenige Fixpunkte der sich dann doch erstaunlich stark gleichenden Ausführungen der sich mitteilenden Geistwesen – aus welchen Dimensionen auch immer.

Das New Age erfuhr eine globale Popularisierung, nicht zuletzt auch aufgrund des hohen Interesses von Seiten bekannter Persönlichkeiten und Schauspieler. Geradezu paradigmatisch ist das Wirken der US-amerikanischen Schauspielerin Shirley McLaine, die mit ihrem Buch "Out on a limb" 1983 einen Bestseller landete. Darin beschreibt sie ihre eigene Reise durch die vielen Angebote des New Age, das insbesondere an der amerikanischen Westküste quasi omnipräsent war. Die Verfilmung aus dem Jahr 1987, eine insgesamt fünfstündige, in mehreren Teilen gesendete TV-Mini-Serie, in der viele der damaligen esoterischen Angebote vorgestellt werden, führte zu einer weltweiten Verbreitung zentraler Thesen. Die 80er- und 90er-Jahre waren dann zweifellos auch der Höhepunkt dieser spezifischen Tradition.

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Trailer zu Shirley Maclaines Mini-Serie "Out on a limb".

Keine Organisation

Esoterik hat also durchaus eine Geschichte mit bedeutenden Lehrern und Referenztexten. Bei allen Gemeinsamkeiten müssen aber auch Unterschiede konstatiert werden, die vor allem zwischen Religion im Sinne der traditionellen "Religionen = Religionsgemeinschaften" und den verschiedenartigen Formen der Esoterik bestehen. Sehr unterschiedlich im Vergleich zu Religionen in ihrer traditionellen und institutionalisierten Prägung sind vor allem die Organisationsformen. Im Rahmen der Esoterik tritt nämlich entweder überhaupt keine Organisation oder eine große Vielfalt an kleinteiligen Organisationsformen entgegen und nur wenige esoterische Traditionen haben Institutionen geschaffen, die mit traditionellen Formen der Religionsorganisation vergleichbar wären. Da gibt es zum Beispiel einfache Buchautoren, deren Bücher von Interessierten gekauft werden können. Allerdings kann sich auch hier eine regelrechte Gefolgschaft entwickeln. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung um die Veröffentlichungen des US-amerikanischen Erfolgsautor Neal Donald Walsch, der mit der Trilogie "Conversations with God" einen esoterischen Bestseller vorgelegt hat, der heute weltweit in regelrechten Lesegruppen erarbeitet und gemeinsam gelesen wird.

Die klassische Form ist der Lehrer einer kleinen Gemeinschaft, der aufgrund seiner Autorität von dieser akzeptiert wird. In den meisten Fällen orientieren sich diese inhaltlich an den schon genannten Mustern der esoterischen Tradition, müssen diese aber natürlich auch variieren. Dabei ist die gegenseitige Konkurrenz um potentielle Kundschaft, in den meisten Fällen übrigens eher weiblich, sehr groß. Sehr schön lässt sich bei näherer Betrachtung solcher Gemeinschaften das Wachsen der Autorität und der stufenweise Ausbau der Inhalte und die sich oft ändernde Stilisierung des Gründers erkennen.

Esoterik hat im Gegensatz zu Religionen keine Organisation – oder gar Institution.
Foto: REUTERS/ Corinna Kern

Die organisatorische Ebene und vor allem das Nichtvorhandensein von Strukturen im Kontext der Esoterik hat allerdings auch inhaltliche Konsequenzen. Tendenziell tritt in der Esoterik ein einzelner Lehrer mit dem Anspruch auf, eine "neue", genuinere Lehre zu präsentieren. In den meisten Fällen ähneln sich die Angebote aber erstaunlich, weshalb automatisch eine Art Überbietungswettbewerb angeworfen ist. Zwar ist das Fehlen einer religiös legitimierten Hierarchie auf den ersten Blick durchaus etwas Positives, jedoch ergibt sich dadurch ein Bereich, in dem es kein Reglement für Devianzen und problematische Entwicklungen gibt. Dass solche kleinteiligen Strukturen durchaus einengende Züge entwickeln können, weil sie ein ausgeprägtes Gegenüber von "Innen" und "Außen" erzeugen können (aber nicht müssen!), lässt sich zuweilen beobachten. Eben solches gibt es zwar auch in traditionellen Religionsgemeinschaften, doch sollte sich dort weniger stark eine einseitige Fokussierung auf eine einzelne Person ergeben, weil ein übergeordneter Apparat Grenzen setzt – das religiöse Hierarchien wiederum umgekehrt andere Probleme erzeugen, steht auf einem anderen Blatt.

Wichtige Impulse

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der kulturell höchst bedeutsamen Tradition der Esoterik hat im Übrigen eine schon längere Wissenschaftstradition. Insbesondere in Amsterdam etablierte sich ein Zentrum der Forschung des als "Western Esotericism" bezeichneten Bereichs, wo man unter streng wissenschaftlicher Kriteriologie und an Texten und deren Traditionen orientiert eine fundierte kulturhistorische Einordnung versucht. Was deutlich wurde im Rahmen dieser Forschung ist die hohe Wichtigkeit dieser Tradition und deren Präsenz in vielen Bereichen. Esoterische Lehren lieferten beispielsweise wichtige Impulse, insbesondere im Rahmen der Kunst oder der Literatur. Eben dies muss man konstatieren, ohne gleich mit der "Unsinns-Keule" zu kommen.

Zudem erfüllte die esoterische Tradition offensichtlich eine gewisse Funktion, insbesondere im Rahmen der Veränderungen der religiösen Landschaft in Europa des 20. Jahrhunderts. Wirklich breitenwirksam wurde die Esoterik, die ursprünglich eher ein elitäres Phänomen für Künstler und Intellektuelle war, vor allem ab den ausgehenden 70er-Jahren, wo der Exodus aus den traditionellen Gemeinschaften, das heißt insbesondere den christlichen Kirchen, ein Vakuum erzeugte, das zuweilen mit der Tradition der Esoterik gefüllt wurde. Hier darf man allerdings nicht in den Fehler verfallen, dass ein Verlassen der Kirchen quasi "automatisch" dazu führt, dass man sich anderen religiösen Formen zuwendet.

"Sekten" und die Ausbeutung

Die eben skizzierte Konkurrenz zu den traditionellen Religionen führte übrigens auch zu einer steigenden kritischen Wahrnehmung der Esoterik, die von unterschiedlichen Seiten kam und bis heute nachwirkt. Neben kirchlich-theologischen Einwänden, die zumeist noch die fundierteste Form der Auseinandersetzung bot, gab es Vorbehalte von Seiten der Psychologie oder generelle weltanschaulich-philosophische Kritik – zum Beispiel die Wahrnehmung vor einer Rückkehr der Gnosis –, die zudem in den 80er- und 90er-Jahren ganz eng mit der damals hochaktuellen "Sekten"-Diskussion verwoben war. Teile davon wirken bis heute nach, wenn in der Kritik beispielsweise der angeblich hohe "Ausbeutungscharakter" der esoterischen Anbieter in den Vordergrund geschoben wird. Das ist empirisch nicht wirklich dingfest zu machen und die Frage, ob hier Einzelfälle nach vorne gezerrt werden, darf zumindest gestellt werden.

Auch die immer wieder kolportierten Zahlen über den "esoterischen Markt" sind reine Vermutungen, die noch niemals einer wirklichen empirischen Untersuchung unterzogen wurden. Die Frage wäre vor allem, was in diesen angeblichen Millionenbeträgen alles enthalten sein würde. Diverse vermutete Zahlen tauchten jedenfalls ab den ausgehenden 80er-Jahren in den Medien auf und werden seitdem jedes Jahrzehnt – wohl im Sinne der Inflationsanpassung – um erstaunliche Potenzierungen hinaufgesetzt. Gesichert ist davon überhaupt nichts. Und es steht im Widerspruch zu den wenigen Untersuchungen zur Realität der esoterischen Anbieter, die in den wenigsten Fällen von ihren Programmen und Angeboten leben können. Und im Übrigen auch nicht wirklich wollen: Vielfach werden Kurse in diesem Segment gemacht, um persönliche Erfahrungen zu sammeln.

Wenn Menschen aus der Kirche austreten, werden sie nicht automatisch spirituell.
Foto: REUTERS/Corinna Kern

Aus der Kirche – rein in die Esoterik?

Gerade in diesem Zusammenhang muss man in Bezug auf die gegenwärtige Situation anmerken, dass die Esoterik auch schon bessere Tage gesehen hat. Die These, dass Menschen, die die Kirchen verlassen, automatisch entweder "den Sekten" oder "der Esoterik" anheimfallen, hat sich nicht wirklich erfüllt. Vielmehr verlassen die meisten Menschen religiöse Institutionen in eine indifferente Haltung, zuweilen verbunden mit einer sehr kritischen Haltung gegenüber Religion an sich. Die vielfach beschworene "Rückkehr der Religion" oder der – meist sehr diffus definierten – "Spiritualität" entsprang mehr dem Wunschdenken derer, die dies propagierten. In Form der bunten Tradition der gegenwärtigen Esoterik wurde sie sicher nicht vollzogen. (Franz Winter, 9.5.2018)

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