Die österreichische China-Delegation von 7. bis 12. April, an der der Bundespräsident, der Bundeskanzler, Mitglieder der Regierung und eine Wirtschaftsdelegation teilgenommen haben, bot neben Möglichkeiten zur Erörterung von Wirtschaftsfragen und einem Zusammentreffen mit der chinesischen Staatsspitze auch zahlreiche Gelegenheiten für Fotos: ein Arbeitsgespräch mit Staatspräsident Xi Jinping, ein bilaterales Wirtschaftsforum oder ein Besuch im Panda-Park in Chengdu.

Auf der offiziellen Instagram-Seite des Bundeskanzleramtes ist außerdem ein Foto von der Fahrt in einem chinesischen Hochgeschwindigkeitszug zu sehen, das im Vergleich zu Aufnahmen aus der Großen Halle des Volkes oder dem Panda-Park fast unspektakulär wirkt. Das am 11. April gepostete Bild zeigt Sebastian Kurz, Karin Kneissl, Alexander Van der Bellen und Doris Schmidauer im Großraumwagen eines Zuges auf dem Weg nach Chengdu. Die Reisenden befinden sich in einer Gesprächssituation. Kurz ist am Wort, die Blicke seiner Mitreisenden sind auf ihn gerichtet.

Soziale Netzwerke wie Instagram ermöglichen unter anderem einen Blick hinter die Kulissen der Politik. Das ist zunächst eine gute Nachricht. Denn Bild- und Videomaterial macht den Alltag von Politikern greifbarer. Was früher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit passierte, lässt sich heute mit ein paar Klicks nachvollziehen. So werden nicht nur Tagesabläufe und Arbeitsprozesse sichtbar, sondern auch Themenfelder, die Politikern wichtig sind. Als Barack Obama beispielsweise 2015 als erster US-Präsident ein Gefängnis besuchte, wurde sein Treffen mit Inhaftierten und Gefängnispersonal vom persönlichen Fotografen Pete Souza dokumentiert, um mit der Verbreitung der Fotos in sozialen Netzwerken das Thema Strafrechtsreform zu lancieren. Daher ist es nicht überraschend, dass auch die österreichische China-Delegation von persönlichen Fotografinnen und Fotografen auf ihrer Reise begleitet wurde, während Fotojournalisten zu Hause blieben.

An Medien vorbei

Ein möglicher Blick hinter die Kulissen der Politik ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn die Verbreitung von Bild- und Videomaterial über persönliche Kanäle erfüllt für Politiker vor allem eine wichtige strategische Funktion. Wer klassische Medien umgehen kann, um sich direkt an "Follower", "Freunde" oder "Abonnenten" zu richten, behält nicht nur Lufthoheit über Themensetzungen, sondern auch über die Richtung der Selbstpräsentation. Bilder, die von persönlichen Fotografen produziert und von einem professionellen Social-Media-Team ausgewählt werden, durchlaufen einen Prozess der Authentifizierung. Durch ihre Betextung –  zum Beispiel Captions wie Schnappschuss oder Hashtags wie #behindthescenes – wird eine entsprechende Deutung nahe gelegt: alles reiner Zufall! Deshalb lohnt sich ein genauerer Blick auf das Bildmaterial selbst und auf die Botschaften, die durch die Auswahl von Motiven und ihre Komposition vermittelt werden.

Fleißig auf Achse

Kurz in der Economy-Class eines Flugzeuges – ins Gespräch vertieft, beim Aktenstudium oder am Handy scrollend – ist ein wiederkehrendes Motiv auf seinem persönlichen Account und findet sich auch am offiziellen Account des Bundeskanzleramtes. Bereits während seiner Funktion als Außenminister griff sein Social-Media-Team wiederholt auf das Motiv zurück, das gelegentlich durch Szenen am Flughafen ergänzt wird: am 23. Februar 2018 auf dem Weg nach Brüssel, am 17. Januar 2018 auf dem Weg nach Berlin, am 16. Oktober 2016 auf dem Weg zum Rat der Außenminister in Luxemburg, am 24. September 2015 auf dem Weg zur UN-Generalversammlung oder am 30. April 2014 auf dem Weg nach Kiew.

Über die Bildauswahl vermittelt der amtierende Bundeskanzler und ehemalige Außenminister mehr als seine häufige Reisetätigkeit. Denn Bilder können etwas ausdrücken, das sich über Sprache oder Betextung nur schwer vermitteln lässt: für ein politisches Amt vorteilhafte Eigenschaften wie Bescheidenheit und Sparsamkeit (Fliegen in der Economy-Class), Teamarbeit (Austausch mit Mitarbeitern), Fleiß (Arbeit vor, während und nach einer Reise sowie ständige Erreichbarkeit) und internationale Anerkennung teilen sich assoziativ mit und können durch die häufige Wiederholung des Motivs eindrücklich forciert werden.

Kurz erklärt

Zahlreiche Fotos auf der offiziellen Instagram-Seite zeigen Bundeskanzler Kurz in Rede- oder Gesprächssituationen. Er wird in der Rolle des Sprechers porträtiert, dem auch die Mächtigen der Welt zuhören: ob im Rahmen des Neujahrskonzerts mit dem niederländischen Premierminister Mark Rutte am 1. Jänner 2018, beim Empfang des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán am 30. Januar 2018 oder zu Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am 28. Februar 2018. Diesem Muster folgt auch das eingangs erwähnte Foto aus dem Hochgeschwindigkeitszug nach Chengdu.

Die Bildkomposition des Motivs weist Kurz eine aktive Rolle zu, die durch seine Gestik und Mimik unterstrichen wird. Dass diese Bildauswahl auf Instagram kein Zufall ist, wird deutlich, wenn das Bildmaterial mit der offiziellen Fotogalerie auf der Website des Bundeskanzleramtes verglichen wird. Aus zahlreichen verfügbaren Fotos – etwa vom Treffen mit Rutte – wird jenes für die Verbreitung auf Instagram ausgewählt, auf dem der Kanzler am Wort ist.

Kurz wird aber nicht nur durch seine Tätigkeit, sondern auch durch die Bildkomposition, die Bearbeitung oder den Beschnitt von Fotos optisch hervorgehoben – etwa am 20. März 2018 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundespräsident Van der Bellen, bei der Verabschiedung des österreichischen Olympiateams am 24. Januar 2018, bei einer Pressekonferenz mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache anlässlich der Präsentation des sogenannten Familienbonus plus am 10. Januar 2018 oder beim Gruppenfoto im Rahmen der Regierungsklausur in Seggau am 6. Jänner 2018. Durch die Bildkomposition wird eine Deutung nahe gelegt, um wen es hier eigentlich geht.

Mehr als ein Motiv

Politische Bildauswahl zielt also nicht nur auf die öffentlichkeitswirksame Vermittlung politischen Handelns, sondern vor allem auf die Vermittlung von Vorstellungen über politisch Handelnde selbst ab. Was von Politikern zu sehen gegeben wird, ist selten beiläufig und spontan, sondern Ergebnis eines Auswahlprozesses zur Förderung bestimmter Images. Image Management ist daher ein wesentlicher Bestandteil von Message Control. Wird das Bildmaterial vom persönlichen Account eines Politikers oder einer Politikerin in die klassische mediale Berichterstattung übernommen, kann das als Erfolg strategischer Kommunikation verbucht werden. Ein am 9. Februar 2018 auf dem persönlichen Instagram-Account des Kanzlers veröffentlichtes Foto zeigt Kurz nach seinem Opernballbesuch am Würstelstand. Das Foto wurde unter anderem vom "Kurier" und von "oe24.at" übernommen – verbunden mit der durchaus vorteilhaften Deutung, dass es für Kurz nach dem Treffen mit der "High Society" dahin ging, "wo man auch Otto Normalverbraucher treffen kann".

Damit gelingt es Kurz eine visuelle Umsetzung des im Wahlkampf postulierten "neuen Stils" gegenüber Medien zu forcieren: eine ostentativ inszenierte Bodenständigkeit und Bescheidenheit bei gleichzeitiger Fokussierung der Aufmerksamkeit auf ihn als zentralen Akteur. Wenn Politiker mit ihren Bildstrategien über ihre "Follower", "Freunde" und "Abonnenten" hinaus erfolgreich sein wollen, sind sie nicht zuletzt von der Aufmerksamkeit klassischer Medien abhängig. Diese können die Inszenierung übernehmen und verstärken – oder sie konsequent hinterfragen und damit unterlaufen. (Petra Bernhardt, Karin Liebhart, 26.4.2018)