Europa braucht auch visuelles Community-Building, sagt Christine Dollhofer.

Foto: Robert Newald

15 Jahre lang durchmisst das Linzer Crossing-Europe-Festival bereits das Filmschaffen in Europa und hat dabei vor allem im Auffinden jüngerer Talente großes Gespür bewiesen. So wurden hier Regisseurinnen und Regisseure wie Joanna Hogg, Matteo Garrone, oder Yorgos Lanthimos gezeigt, bevor sie an anderen prestigeträchtigen Orten reüssierten. Die gebürtige Welserin Christine Dollhofer leitet das Festival seit seiner Gründung im Jahr 2003 – seitdem hat sich nicht nur in Linz, sondern in ganz Europa viel verändert. Der Standard traf sie im Wiener Café Anzengruber zum Gespräch.

STANDARD: Die Sparmaßnahmen der schwarz-blauen Landesregierung in Oberösterreich haben viel Gegenwind verursacht. Ihrem Festival wurde nach längerem Zögern das Budget zugesichert. Ist Crossing Europe eines der Flaggschiffe, auf das man nicht verzichten kann?

Dollhofer: Das wäre eine positive Deutung. Wir haben um mehr Geld als im Vorjahr angesucht und das gleiche Budget wie 2017 bekommen. Ich bin solidarisch mit den Kulturschaffenden, die die Initiative "Rettet das Kulturland OÖ" gestartet haben. Im Moment ist eine Umbruchphase. Manches ist nicht so negativ verlaufen wie befürchtet. Vieles wird sich erst allmählich zeigen.

STANDARD: Wen traf es bisher am härtesten?

Dollhofer: Die freie Szene, die ohnehin schon finanzschwach ist. Strukturell bedeutet es jedoch für alle eine Schwächung. Wenn man sich Kulturland nennt und die Mittel kürzt, schafft das Frustrationen, die zu einem Braindrain führen – Leute suchen sich andere Arbeitsfelder.

STANDARD: Bundespolitisch hat man die Sparpolitik von Oberösterreich nicht aufgegriffen. Man verkauft die Beibehaltung des Status quo als Erfolg – teilen Sie diese Sicht?

Dollhofer: Definitiv nicht. Das ist ein Fall für Mathematik: Alles wird teurer. Wir werden als Kulturveranstalter schon seit Jahren in die freie Wirtschaft geschickt, um Sponsoren zu keilen. Das ist gerade bei Formaten, die nicht die Massen anziehen, sehr schwierig. Die Mieten für die Filmkopien steigen jährlich. Weltvertriebe haben teils unglaubliche Preisvorstellungen.

STANDARD: Festivals werden oft auf ihre Rolle als Vermittler eingeschränkt. Dabei ist die Besucherauslastung besser als im regulären Kinobetrieb. Ließe sich nicht argumentieren, dass Festivals die bessere Antwort auf die Umbrüche bei der Distribution sind?

Dollhofer: Festivals leisten einen wichtigen Teil für die Sichtbarkeit von Filmen, die im regulären Betrieb keinen Platz finden. Nur im EU-Europa werden jährlich 1500 Filme produziert. Alle diese Arbeiten wird man nie zeigen können. Festivals sind eine wichtige Säule der Auswertung, vor allem was die riskanteren Filme darunter betrifft.

STANDARD: Der Festivalbetrieb wird immer als Ausnahme gesetzt, das Kino als Normalfall. Ist nicht beides längst Normalfall?

Dollhofer: Für viele Filme ist das Festival der Normalfall, keine Frage. Eigentlich die einzige Öffentlichkeit. Man merkt ja auch an den Weltvertrieben, dass wir mittlerweile als potenzielle Einnahmequelle gelten.

STANDARD: Sie haben 182 Filme im Programm – wie viele haben einen Verleiher?

Dollhofer: Neun, einer ist eine Reprise.

STANDARD: Crossing Europe findet zum 15. Mal statt. 2003 herrschte Optimismus anlässlich der EU-Erweiterung, heute wählt Ungarn Orbán und seine "illegitime Demokratie". Wie stark spiegeln sich solche Zerrissenheiten auch in den Filmen wider?

Dollhofer: Viele Filme behandeln nationalistische Tendenzen oder autokratische Muster im Subtext. Oft wird es nur über kleine Gruppen thematisiert. Ein gutes Beispiel ist etwa der Eröffnungsfilm Jupiter's Moon von Kornél Mundruczó, der die Abschottung Ungarns und die menschenfeindliche Behandlung von Flüchtlingen überhöht erzählt. Das Interessante ist jedoch, dass sich die Polarisierung schon in den Filmen der letzten 15 Jahre in unterschiedlichsten Ausformungen manifestiert hat.

STANDARD: Sind das auch Filme, die die Positionen derjenigen durchleuchten, die für rechte Ideologien empfänglich sind?

Dollhofer: Es geht oft um Gegenpole und um das wechselseitige Ausspielen; oder um nationalistische Tendenzen, die populistisch vorangetrieben werden wie in Meuthen's Party, einem Dokumentarfilm über einen AFD-Politiker auf Wahltour. Der Film The Charmer erzählt dagegen die Geschichte eines Iraners in Dänemark, der auf seine Aufenthaltsgenehmigung wartet, auf verblüffend andere Weise: nämlich mit einem charmanten Protagonisten, der abends in den Bars Frauen aufreißt ...

STANDARD: Der Autor Édouard Louis hat in einem Interview gesagt, dass das sozialrealistische Kino die Armut viel zu lange romantisiert habe. Filme müssten die Verhärtung härter, massiver angehen. Stimmen Sie zu?

Dollhofer: Das Arthouse-Kino geht nach wie vor in die von Louis angesprochene Richtung. Natürlich sollte man sich die Frage stellen: Machen wir nur Filme, um das eigene Weltbild zu bestätigen? Gegenkonzepte findet man vielleicht im Genrekino, interessant ist etwa The Cured, in dem es um ausgegrenzte Zombies geht, die wieder resozialisiert werden sollen. Es gibt zum Glück genug Filme, die verstören und kontrovers sein wollen.

STANDARD: Ein Special gilt heuer der rumänischen Produzentin Ada Solomon und damit einem Kinoland, das seit Jahren mit Filmen begeistert. Was macht man dort besser?

Dollhofer: Ein Grund für den Erfolg ist der Dreiklang aus Produktion, Regie und Drehbuch. Stoffe werden gut entwickelt – mit exzellenten Autoren wie Razvan Radulescu. Ada Solomon war von Anfang der 90er-Jahre an dabei, als der Aufschwung begonnen hat. Sie hat Talente gefördert und das Weiterarbeiten nach ersten Erfolgen ermöglicht, indem sie sich europäisch ausgerichtet hat, Koproduktionen gesucht hat. Die vielen Namen im rumänischen Kino zeigen, dass der Wettbewerb dort befruchtet. (Dominik Kamalzadeh, 25.4.2018)