Der "Aggregatzustand" vieler Kinder und Jugendlichen in der westlichen Welt: Draußen scheint die Sonne, sie bleiben am Sofa und spielen mit ihren Handys.

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Es ist ja nicht so, dass es den Eltern im 21. Jahrhundert nicht auffällt, vor allem dann, wenn sie in der Stadt wohnen. Kinder und Jugendliche gehen ungern raus, sitzen lieber zu Hause vor den Computern und laufen dort – aber eher nur im Kopf.

"Die Welt unserer Kinder wird mehr und mehr zu einer Sitzwelt", warnte die deutsche Stiftung Kindergesundheit bereits vor zehn Jahren. Leider vergebens: Die Trägheit der heranwachsenden Generation ist seither noch größer geworden. Aktuelle Untersuchungen zeigen einen bestürzenden Mangel an körperlicher Aktivität bei Kindern und Jugendlichen, berichtet die Stiftung. Zu einem immer ernsteren gesundheitlichen Problem werde dabei die enorme Zunahme der Zeit, die Kinder und Jugendliche im Sitzen verbringen.

"Es zeigt sich immer eindeutiger, dass lange Sitzzeiten massive Auswirkungen auf die Gesundheit haben", betont der Münchner Kinder- und Jugendarzt Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. "Ein sitzender Lebensstil hat nachteilige Folgen für die Häufigkeit und Schwere von Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes mellitus Typ 2".

Inaktivität dominiert

Regelmäßige Bewegung ist für die Entwicklung eines Kindes von fundamentaler Bedeutung. Körperliche Aktivität ist essentiell für Gesundheit und Wohlbefinden. Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) allen heranwachsenden Mädchen und Jungen, sich jeden Tag mindestens 60 Minuten lang moderat bis sehr anstrengend körperlich zu bewegen.

Dieser Richtwert wird in Deutschland allerdings nur noch von 22,4 Prozent der Mädchen und 29,4 Prozent der Jungen im Alter von drei bis 17 Jahren erreicht, österreichische Zahlen sind erfahrungsgemäß ähnlich.

Die Basiserhebung für diese deutsche Studie fand 2003 bis 2006 statt. An Welle 1 nahmen in den Jahren 2009 bis 2012 über 12.000 Mädchen und Jungen teil. Die zweite Folgeerhebung erfolgte von 2014 bis 2017. Erneut wurden Untersuchungen und Befragungen der mittlerweile zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen herangewachsenen Teilnehmenden der Basiserhebung durchgeführt und eine neue Stichprobe von 0- bis 17-Jährigen untersucht und befragt.

Mädchen wollen nicht schwitzen

Die Epidemiologen des Robert-Koch-Instituts stießen dabei auf jede Menge "Sitzenbleiber": 11,1 Prozent der Mädchen und sieben Prozent der Jungen bewegen sich sogar an weniger als zwei Tagen pro Woche jeweils eine Stunde aktiv.

Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren bewegen sich am Wenigsten. Dabei ist die Zahl der gering aktiven Mädchen doppelt so hoch wie die der gleichaltrigen Jungen. Besonders auffallend: Mädchen und Jungen aus sozial benachteiligten Familien sind weniger körperlich aktiv als jene aus Familien mit einem mittleren oder hohen Status.

Um die Sitzgewohnheiten der Kinder zu ermitteln, haben Sportwissenschaftler der Universität Heidelberg 4.385 Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 20 Jahren in Deutschland, Luxemburg und Österreich befragt. Sie kamen zum ernüchternden Ergebnis: Kinder und Jugendliche verbringen an Werktagen rund 10,5 Stunden und am Wochenenden 7,5 Stunden sitzend. Im Mittel sind das 9,7 Stunden ohne körperliche Aktivität. Davon fallen unter der Woche rund 4,8 Stunden auf die Schulstunden. Zu Hause sitzen die Kinder dann noch einmal rund 1,1 Stunden über ihren Hausaufgaben. Das bedeutet: 71 Prozent der Zeit, in der Kinder an Werktagen wach sind, sitzen sie.

Auch am Wochenende verbringen sie immer noch 54 Prozent ihrer Wachzeit auf Stühlen, Sesseln, Couch oder Sofa. Fernsehen, Computerspiele, Smartphones und Spielekonsolen – die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen finden im Sitzen statt. "Der ausufernde Medienkonsum verdrängt aktivere Beschäftigungen. Die Zeit wird knapp für die anderen Bereiche des kindlichen Lebens", so Berthold Koletzko. (red, 25.4.2018)