Neos-Chef Matthias Strolz bekräftigt seine unlängst getätigte Prognose, dass wegen des politischen Islam ein Bürgerkrieg drohen könnte: "Wenn die Islamophobie durch die Rechten weiterhin so befeuert wird, läuft das mittelfristig auf eine brutale, blutige Auseinandersetzung hinaus", sagt Strolz im STANDARD-Interview.

Dass schon Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor Bürgerkrieg gewarnt hat, pariert Strolz so: "Ich habe im Gegensatz zu Strache einen differenzierten Ansatz." Manchen in der Koalition unterstellt er, "dass sie den Brand beschleunigen". Angesichts dieser Politik sei Irmgard Griss trotz diverser ÖVP-Angebote nun bei den Neos: Kurz habe ihr den zweiten Platz bei der Nationalratswahl, den Posten als Nationalratspräsidentin und ein Ministeramt angeboten.

STANDARD: Via Facebook warnten Sie vor kurzem vor einem "Bürgerkrieg", wenn es nicht gelinge, den politischen Islam einzudämmen. Wollen Sie jetzt Türkis-Blau Konkurrenz machen?

Strolz: Wichtig ist mir, dass ich mir unsere 30 Millionen islamischen Mitbürger in Europa nicht kriminalisieren lassen möchte. Ich will aber trotzdem über drohende Parallelgesellschaften reden. In Schweden gibt es schon dutzende No-go-Areas, in den Pariser Vororten immer wieder brennende Autos – und wenn die Islamophobie durch die Rechten weiterhin so befeuert wird, läuft das mittelfristig auf eine brutale, blutige Auseinandersetzung hinaus.

STANDARD: Mit Bürgerkriegsszenarien wie diesen befeuern aber nun auch Sie die heikle Debatte.

Strolz: Für die Wortwahl habe ich mich bewusst entschieden. Für mich ist weder die Abkapselung von extremistischen Parallelgesellschaften akzeptabel noch das Befeuern einer Islamfeindlichkeit, beides führt in den Konflikt. Viele Menschen, auch wir Neos, sind viel zu lange mit einer naiven Auffassung von Toleranz diese Probleme nicht angegangen.

"Ich habe fünfmal überlegt, ob ich das alles sagen kann": Neos-Boss Strolz meint, dass es wegen des politischen Islam in Österreich zu "brutalen, blutigen" Konflikten kommen kann.

STANDARD: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat 2016 ebenfalls vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Damals gaben sich die Neos empört über die Wortwahl, weil Strache mit den dunkelsten Stunden von Österreich und mit Gewalt spiele – alles schon vergessen?

Strolz: Das war nicht ich.

STANDARD: Aber Ihr Verfassungssprecher Nikolaus Scherak.

Strolz: Ich habe im Gegensatz zu Strache hinter der Überschrift einen differenzierten Ansatz. Aber ja, auch intern haben manche keine Freude mit meinem Posting. Ich mach' meinen Job nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn mir etwas unter den Nägeln brennt und ich finde, dass es darüber eine ernsthafte Debatte braucht, dann nehm' ich mir als Parteichef jetzt die Freiheit und sage, was ich denke.

STANDARD: Wo könnten aus Ihrer Sicht hierzulande bald No-go-Areas entstehen?

Strolz: In der tschetschenischen Community gibt es ein starkes Aufflammen von organisierter Kriminalität – weil wir es verabsäumt haben, sie zu integrieren. Dasselbe droht bei vielen afghanischen Jugendlichen, weil sie mit Drogengeschäften 5000, 6000 Euro im Monat verdienen können. Die bekommen wir weder zum AMS noch in den Arbeitsmarkt. Dazu haben wir in manchen Moscheen grobe Probleme. Und nicht nur dort: In Schulen gibt es kleine Machos, die ihre Mitschülerinnen als "Schlampen" drangsalieren, wenn sie mit 16 einen Freund haben. Da müssen wir halt sagen. Ich will nicht, dass unsere Kinder in solchen Klassen aufwachsen.

"Als Parteichef nehme ich mir die Freiheit und sage, was ich denke", sagt Strolz – bisher wurden heikle Themen bei den Neos meist von der Mitgliederversammlung abgesegnet.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Problemaufriss verstanden – was wären Ihre Lösungen?

Strolz: In anderen Ländern gibt es 40-stündige Integrationskurse. Und wer die Scharia über unsere Verfassung stellt, hat bei uns keinen Platz.

STANDARD: Einst hat Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bei Ihnen zwei Rhetorikkurse besucht – ist er nun gar Ihr Coach?

Strolz: Keineswegs. Das Geschäftsmodell der Kurz-Strache-Koalition ist es, zwar den Brand zu melden, aber ihn weiterbrennen zu lassen. Manchen unterstelle ich sogar, den Brand zu beschleunigen. Mein Geschäftsmodell ist leider nicht so ein Gassenhauer, denn mir geht es darum, den Brand zu benennen – und ihn zu löschen. Aber gegen Applaus von der falschen Seite kann ich mich nicht impfen. Ich habe fünfmal überlegt, ob ich das alles sagen kann.

STANDARD: Wer fehlende Integration anprangert, sollte halt auch gleich benennen, dass die Regierung nun die Integrationsgelder kürzt, von der Schule bis zum AMS.

Strolz: Natürlich, das gehört aus unserer Sicht sofort rückgängig gemacht – und da wissen wir auch alle Experten auf unserer Seite.

STANDARD: Wissen Sie schon, ob die Neos beim geplanten Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen mitstimmen?

Strolz: Bei einem Gesetz, das sämtliche ostentativ vor sich hergetragene religiösen Symbole bis zur Religionsmündigkeit mit 14 verbieten würde, wären wir dabei. Wir wollen keinem Gesetz zustimmen, das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gekippt werden könnte.

STANDARD: Würde Ihr Vorschlag also auch ein Aus für das Kreuz als Symbol bedeuten?

Strolz: Nein, ich meine nicht das Kreuz an einem Ketterl, aber wenn ein Schulkind mit einem Pullover herumrennt, auf dem steht "In the Name of Jesus!", dann würde das auch unter "ostentativ" fallen.

STANDARD: Nach den Landtagswahlen will die Koalition beim Umbau der Sozialversicherungsträger Nägel mit Köpfen machen – ein "Reformturbo" in Ihrem Sinne?

Strolz: Die Überschriften schon. Skepsis ist aber angebracht, denn schon bei der ersten Reformbaustelle, der Allgemeinen Unfallversicherung, hat die Regierung dilettiert. Da kriegst du ja als Bürger Angst! Die Drohung, die AUVA abzuschaffen, ohne eine Folgelösung zu haben, ist fahrlässig, jenseitig und konzeptlos.

STANDARD: Die Reduktion der Sozialversicherungsträger wurde von Regierungsseite mit einer Debatte über Spekulationsgeschäfte, Dienstwägen und Funktionärsprivilegien eröffnet – was die Krankenkassen als Fake-News zurückweisen.

Strolz: Dass der Apparat zu opulent und fett ist, steht außer Streit. Es gibt zu viele Funktionäre.

STANDARD: Droht nicht die Gefahr, dass die SV-Reform zu einer großen Umfärbeaktion verkommt?

Strolz: Keine Frage, es wird ein türkis-schwarzer Bruderkampf werden, weil ein Großteil der Funktionäre aus der schwarzen Reichshälfte stammt. Die Gefahr ist groß, dass über die Länderkassen nur eine Holding gezogen wird, also eine weitere Ebene in Türkis-Blau.

STANDARD: Würden Sie die AUVA auch umkrempeln?

Strolz: Es braucht eine Unfallversicherung, aber es braucht nicht die AUVA. Arbeitgeber sollten eine Unfallversicherung abschließen. Die Produkte, die angeboten werden, müssen staatlich normiert sein, den Rest müssen Arbeitgeber für ihre Angestellten selbst checken.

STANDARD: Aber eine private Unfallversicherung übernimmt das Risiko für einen Buchhalter sehr viel lieber als für einen Tischler.

Strolz: Das kann sein. Hier können wir aber staatliche Netze spannen. Normen gibt es bei der betrieblichen Altersvorsorge auch.

STANDARD: Offensichtlich soll auch der Einfluss der Sozialpartner zurückgedrängt werden. Und auch Sie haben dafür Vorarbeit geleistet, indem etwa Ihr Salzburger Frontmann Sepp Schellhorn im Wahlkampf als "Kammerjäger" aufgetreten ist.

Strolz: Mir ist die Ambivalenz bewusst. Wenn es aber stimmt, benennen wir Probleme auch – und es gibt fette Apparate.

STANDARD: Ein Kammerjäger ist ein Schädlingsbekämpfer. Ist eine solche Diktion angebracht?

Strolz: Auch das haben wir intern diskutiert, und wir haben das augenzwinkernd gemeint. Außerdem wurde uns dieser Stempel von außen aufgedrückt – und Schellhorn hat entschieden, die Zuschreibung mit Würde zu tragen. Ich habe mich dem gefügt.

STANDARD: Werden Sie die Koalition beim ORF-Umbau unterstützen, im Zuge dessen FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger Korrespondenten streichen will – nachdem ihm die Berichterstattung über die Ungarn-Wahl einseitig erschien?

Strolz: Die Machtfantasien von Steger sind absurd und orbánesk!

STANDARD: Aber haben nicht auch Sie das ORF-feindliche Klima mitaufbereitet mit Ihrem ständigen Kampf gegen "Zwangsgebühren"?

"Wir sind da derzeit auch ganz bedächtig in der Wortwahl, weil wir uns in dieser Phase nicht in den blauen Hooligansektor einreihen wollen": Strolz zu einem bevorstehenden ORF-Umbau.
Foto: Robert Newald

Strolz: Achtung, wir haben stets gesagt, dass wir für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind, weil es in Zeiten von Fake-News eine gewisse Qualität an Informationen braucht. Aber wir sind gegen die GIS-Gebühr. Denn viele Zwanzigjährige zeigen einem den Vogel, wenn sie für das Fernsehen bezahlen sollen, es aber online gratis bekommen.

STANDARD: Kein Wunder, wenn auch Parteien wie die Ihre mit dem Spruch "GIS abdrehen!" kampagnisieren anstatt zu erklären, dass guter Journalismus etwas kostet.

Strolz: Ab und zu müssen auch wir den Lautstärkeregler nach oben drehen, sonst werden wir nicht gehört. Fest steht: Wir wollen eine Finanzierung für den ORF aus dem Bundesbudget samt neuen digitalen Möglichkeiten – und zwar am besten einen Fünfjahrespfad, optimalerweise mit Zweidrittelmehrheit abgesegnet, damit der Öffentlich-Rechtliche nicht in Geiselhaft einer dumpfen schwarz-blauen Regierung gelangen kann. Deswegen sind wir da derzeit auch ganz bedächtig in der Wortwahl, weil wir uns in dieser Phase nicht in den blauen Hooligansektor einreihen wollen.

STANDARD: Was war für Sie bisher schlimmer: Rot-Schwarz oder Türkis-Blau?

Strolz: Das ist vom Regen in die Traufe! Weder das eine noch das andere trifft mein Lebensgefühl. In Salzburg droht jetzt wieder eine Schlafwagenkoalition aus Schwarz und Rot, da sag ich "Gute Nacht"! Und falls dort Schwarz-Blau kommt, droht noch mehr dumpf-nationale Folklore. Aber in Summe ist Schwarz-Blau schlimmer – weil ich der nächsten Generation kein Land hinterlassen will, in dem braune Rülpser auf der Tagesordnung stehen, Viktor Orbán als Vorbild dient und hemmungsloser Opportunismus regiert. Das Beklemmende ist diese perfekte Inszenierung, Kurz' ÖVP leistet großes Kino – handwerklich perfekt, aber seelenlos. Deswegen hat sich Irmgard Griss auch für uns entschieden, obwohl ihr Kurz den zweiten Listenplatz, den Posten als Nationalratspräsidentin sowie ein Ministeramt angeboten hat. (Marie-Theres Egyed, Nina Weißensteiner, 27.4.2018)