Der Weg zur Mauer führt vorbei an Wechselstuben und Imbissbuden. Vorbei an blinkenden Reklameschildern von Apotheken und Zahnarztpraxen, deren Kunden aus Kalifornien kommen, weil Medikamente und Zahnkronen in Tijuana deutlich billiger sind als in San Diego. Irgendwann geht es auf einer Schnellstraße quer durch ein Armenviertel, bis diese zum staubigen Holperweg wird und Rancho Escondido erreicht ist: die versteckte Ranch.

Ein Slum. Zur Rechten schiefe Hütten mit Wellblechdächern, zur Linken ein rostiger Zaun. Man muss sich auf einen Erdhaufen stellen, um einen Blick hinüber werfen zu können – und dann sieht man sie endlich: Donald Trumps Mauer. Acht Mauerteile, jedes neun Meter hoch, eines mit Metallstacheln, einige ockerbraun wie die Gegend, eines in Blau, zwei haben unten Stäbe, durch die man hindurchschauen kann – und alle müssen mindestens 180 Zentimeter tief in die Erde reichen.

"Los prototipos" – die Prototypen. So nennen die Mexikaner Donald Trumps Entwürfe für eine künftige Mauer.
Foto: AFP PHOTO / GUILLERMO ARIAS

Wie Messe-Exponate stehen sie da. "Los prototipos", sagen die Mexikaner – Prototypen für die Mauer, für die Trump erst am Wochenende vom US-Kongress wieder mehr Geld forderte als die vorgesehenen 1,6 Milliarden Dollar (1,33 Milliarden Euro). Ihm schweben 25 Milliarden Dollar vor, andernfalls sei er bereit, es auf einen Shutdown, den Regierungsstillstand, ankommen zu lassen.

Versteckte Mauerteile

Schon komisch, findet Maria Teresa Fernandez. "Da macht der Mann einen solchen Wirbel um seine Mauer, und dann versteckt er sie." Die Fotografin kennt den Grenzstreifen wie ihre Westen tasche. Man müsse nach Mexiko, denn nur von dort lasse sich Trumps Mauer besichtigen.

In Rancho Escondido, am Rand der Millionenstadt Tijuana, riecht es nach Gas, irgendwo ist eine Leitung undicht. Hunde streunen herum, es türmt sich der Müll. Juan Lozano treibt die Neugier vor seinen Schuppen. Sein Englisch ist das eines Amerikaners, geprägt vom Slang der Megacity Los Angeles. In L.A., erzählt er, habe er zwei Filialen einer Imbisskette gemanagt, dann aber habe es Ärger gegeben. Ein Streit muss eskaliert sein, so viel erschließt sich aus Lozanos Redeschwall. Jedenfalls wurde er, einst illegal nach Kalifornien eingewandert, nach Mexiko abgeschoben. Ohne Familie führt er das traurige Leben eines Einsiedlers in einem Hüttenviertel, das zwar zu Tijuana gehört, aber gefühlt im Niemandsland liegt, vergessen im Schatten des Grenzzauns.

"Acht einsame Ritter"

Lozano hat jede einzelne Phase des Mauerbaus miterlebt. Erst kamen Landvermesser, dann Ingenieure. Es dauerte ein paar Wochen, bis die Prototypen so standen, wie man es sich im Weißen Haus vorgestellt hatte. "Acht einsame Ritter", das ist die Metapher, die Maria Teresa Fernandez für die Prototypen aus Stahl und Beton findet, während sie ein spöttisches Lächeln andeutet.

Juan Lozano führt das traurige Leben eines Einsiedlers in einem Hüttenviertel im gefühlten Niemandsland.
Frank Herrmann

Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist 3144 Kilometer lang, sie erstreckt sich von Brownsville am Golf von Mexiko bis nach San Diego am Pazifik. Zu etwa einem Drittel ist sie schon durch Zäune gesichert, hier bei San Diego seit ein paar Jahren sogar durch einen doppelten.

John Fanestil geht mit langen, schnellen Schritten den Strand entlang, rechts der Ozean, links eine postkartenschöne Dünenlandschaft, geradeaus Mexiko. Immer sonntags marschiert der hochgewachsene Methodistenpfarrer zur Grenze, zu einer Art Begegnungsstätte am Zaun. Früher konnten sich Menschen dort zu beiden Seiten des "Parks der Freundschaft" versammeln, in einem 20 Meter breiten, streng überwachten Abschnitt, um sich zwischen den Gitterstäben die Hände zu reichen.

Engmaschiger Zaun

Irgendwann monierten die Grenzpolizisten, dass auf diese Weise ja auch Rauschgift geschmuggelt werden könnte. Heute bedeckt engmaschiger Maschendraht die Lücken zwischen den Stäben, sodass sich allenfalls Fingerkuppen berühren können.

Maria Teresa Fernandez hat das alles dokumentiert, den Wandel von einer relativ durchlässigen Trennlinie zu einer hermetisch abgeriegelten. Eines ihrer Bilder zeigt grenzübergreifendes Yoga am Strand, ein anderes ein binationales Picknick – lange ist’s her.

1993, als sie zu fotografieren anfing, war es ein Kinderspiel, von Tijuana nach San Diego zu gelangen, auch ohne gültige Papiere. Von Großstadt zu Großstadt, hin und auch wieder zurück, wenn man sich etwa um betagte Eltern in der alten Heimat zu kümmern oder jemanden zu Grabe zu tragen hatte. Fernandez ist legal eingewandert als Frau eines Chirurgen, den sie in San Diego mit Kusshand begrüßten. "Ob das heute noch so wäre? Ich weiß es nicht", grübelt sie. "Das Klima hat sich geändert, schon vor Trump, aber unter Trump umso mehr."

Sayra Martinez hofft auf Papiere, die ihr den legalen Aufenthalt in den USA möglich machen sollen.
Frank Herrmann

Auch Sayra Martinez, 31 Jahre alt, ist zum Freundschaftspark gekommen, um ihren Sohn zu sehen. Mit 15 kam sie in die USA, wo sie einen Mann heiratete, der bald begann, sie zu schlagen. Die Schwangere suchte erst in einem Frauenheim Schutz und ging dann nach Mexiko zurück. Auch dort, erzählt sie, habe ihr Ex sie aufgespürt und verprügelt.

Also habe sie sich im Kofferraum eines Autos zurück nach San Diego schmuggeln lassen, wo sie seitdem anderer Leute Wohnungen putze. In Fällen häuslicher Gewalt auf kalifornischem Boden, erfuhr sie von einem Anwalt, habe sie ein Bleiberecht. Noch fehlen ihr die Dokumente, die es von Amts wegen bestätigen, das aber, glaubt Sayra Martinez, sei nur eine Frage der Zeit.

Nur ihren Sohn, inzwischen 14 Jahre alt, bekommt sie kaum noch zu Gesicht. Er lebt bei ihren Eltern in Chiapas, im Süden Mexikos. Sobald sie genug Geld gespart hat, kauft sie ihm und den Eltern Flugtickets nach Tijuana, sodass sie sich am Zaun sehen können.

Hier Kalifornien, dort Mexico: Bei San Diego erreicht der Grenzzaun den Pazifik.

Oder Hector Barajas. "Hey Hector", ruft Pastor Fanestil in sein Megafon, bevor er unter freiem Himmel zu predigen beginnt. "Hector, erzähl dem Reporter hier deine Geschichte!" Und Barajas erzählt. Das heißt, er schreit seine Lebensgeschichte in kurzen Sätzen über den Zaun. Sie handelt vom Militär, von der schwierigen Rückkehr ins Zivilleben und einem Missverständnis.

Im Alter von sieben Jahren hatte Barajas die Grenze überquert, illegal, im Schlepptau seiner Eltern. Als er bei der US-Armee unterschrieb, glaubte er, damit die Türen zur amerikanischen Staatsbürgerschaft weit geöffnet zu haben; dass er nach dem Dienst in Uniform praktisch automatisch ein "Citizen" werden würde, damit hatten sie ja geworben, die Offiziere im Rekrutierungsbüro der Army.

"Ich habe Fehler gemacht"

Barajas ging nach Fort Bragg in North Carolina, zur 82. Luftlandedivision. Von 1995 bis 2001 diente er bei den Fallschirmjägern. Hinterher fiel es ihm schwer, im Zivilleben wieder Fuß zu fassen. "Ich habe Fehler gemacht", ruft er über den Zaun. Einmal, als ihn die Wut packte, schoss er auf ein Auto. Zwar wurde niemand verletzt, doch Barajas wanderte für drei Jahre ins Gefängnis, und als er es verlassen durfte, wurde er nach Mexiko deportiert. Er kam zurück, bei Nacht und Nebel, konnte irgendwann bei einer Verkehrskontrolle keinen Führerschein vorzeigen und wurde zum zweiten Mal abgeschoben.

Einen dritten Versuch will er nicht wagen. Wer dreimal illegal eingewandert ist und erwischt wird, kann sich ein Leben lang nicht mehr legal in den USA niederlassen. Also wartet Barajas, er hofft, dass seine Appelle eines Tages fruchten, die Verweise auf den patriotischen Dienst beim Militär. Mit Liliana, der elfjährigen Tochter, die in Los Angeles lebt, hält er per Skype Kontakt. Sonntag für Sonntag steht er in Tijuana am Zaun.

Pastor John Fanestil predigt am Zaun das Wort Gottes: "Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran!"
Frank Herrmann

"Lasst die Kinder kommen"

Unterdessen hat Methodistenpfarrer Fanestil einen Teppich ausgebreitet, auf dem er ein Weinglas abstellt, daneben Brot und eine Bibel. "Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes", liest er daraus vor. Die Regierung seines Landes, greift Fanestil das Motiv auf, habe noch einen weiten Weg zurückzulegen, um bei Jesus Christus anzukommen. Und die Mauer? "Reine Symbolpolitik. Symbole, das ist das Einzige, wovon Trump etwas versteht."

Auch Chris Harris stimmt mit seinem Präsidenten nicht in jedem Punkt überein, in einem wichtigen aber doch: Keine Nation könne überdauern, wenn sie nicht in der Lage sei, ihre Grenzen zu kontrollieren, zitiert er Trump. "Völlig richtig! Es ist wie mit deinem Haus. Du entscheidest, wer eintreten darf. Und wie lange sie bleiben dürfen." Auch das hat Trump ganz ähnlich formuliert.

Als die örtliche Gewerkschaft der Grenzpolizisten, deren Sprecher Harris ist, einen Präsidentschaftskandidaten zur Wahl empfehlen sollte, entschied sie sich für den New Yorker Bauunternehmer. Trump, so erzählt Harris, habe ihnen in die Augen geschaut und gesagt: "Ihr seid die Experten, euch frage ich um Rat, wie man die Grenze am besten schützen kann. Ich frage euch, nicht die Professoren aus Harvard." Das habe ihm imponiert, sagt der Grenzschützer.

Grenzpolizist Chris Harris: "Eine Große Mauer wie in China werden wir sicher nicht bauen."
Frank Herrmann

Kosten-Nutzen-Rechnungen

Und die Mauer? "Nun, eine Große Mauer wie in China werden wir sicher nicht bauen", sagt Harris, während er in einem Geländewagen am Grenzzaun entlangfährt. Kühl wie ein Buchhalter spricht er von Kosten-Nutzen-Rechnungen. Eine durchgehende Betonbarriere vom Pazifik bis zum Golf von Mexiko, das wäre technisch zweifellos machbar, nur wäre sie viel zu teuer. "Was wir brauchen, ist eine sinnvolle Kombination. Mehr Personal, modernere Technik, bessere Infrastruktur."

Was Harris ohnehin mehr beschäftigt als die Mauer, ist die Frage, woher er Personal bekommt. Seit Trump im Oval Office sitzt, hat die Border Patrol, etwa 19.000 Mann stark, rund 500 Polizisten angeheuert, aber zugleich rund 900 verloren. "Es reizt die Leute nicht, die ganze Zeit in irgend einem gottverdammten Nest in der Wüste zu hocken." Dass der Aderlass im krassen Widerspruch zu Trumps Wahlkampfthesen steht, kommentiert er mit Ernüchterung: "Mit Rhetorik kommst du bis zu einem bestimmten Punkt, aber nicht weiter." (Frank Herrmann, 30.4.2018)