Bilder, bestehend aus Splittern der Vergangenheit und der Gegenwart: Mareike Fallwickl.


Foto: Gyöngyi Tasi

Ein zynischer Manipulator, sein Mitläufer und Prügelknabe – ein geradezu politisches Setting -, dazu zwei zutiefst verletzte Frauen, und alle auf je eigene Art einsam. Um die wechselnden Konstellationen zwischen diesen vier Hauptfiguren dreht sich der klug gebaute Roman Dunkelgrün fast schwarz von Mareike Fallwickl.

Er ist aus der Perspektive von drei dieser Figuren erzählt, zweimal aus der Er-/Sie-Distanz, einmal aus der Ich-Nähe. Die Abschnitte sind mit ihren Namen Moritz, Johanna und Marie überschrieben, nicht indes mit jenem des zerstörerischen Blenders Raffael, der die längste Zeit allen geheimnisvoll und rätselhaft bleibt.

1986, ausgerechnet im Waldheim-Jahr, zog Marie mit Moritz, ihrem Neugeborenen, ins alte Familienhaus ihres Gatten, der in Wien sein Medizinstudium abschloss. Im kleinen Bergdorf bei Salzburg war sie die Fremde und zunächst erfreut, als ihr Sohn einen Spielkameraden fand.

Raf und Motz, wie sie sich nannten, schienen unzertrennlich, am Ende ihrer Gymnasialzeit schloss sich ihnen Johanna an, "Jo", die Neue in der Schule. Die vermeintliche Freundschaft, deren gefährliche Kraft Marie teils erkannte, teils erahnte, endete fatal. 2017 kommen die vier wieder zusammen, zu einem Showdown, in dem Kriminalität auf Bürgerlichkeit trifft, selbstbewusste Unverfrorenheit auf selbstzerstörerische Naivität.

Raffiniert wechselt Fallwickl die Zeitebenen, führt in die Vergangenheit zurück, zur gegenseitigen Beleuchtung der Abgründe des früheren Geschehens und der gegenwärtigen Situation. Langsam erschließt sich die Tiefe der Vorgänge und Verhängnisse; das Rezept ist mitgeliefert: "Diese Geschichte ist ein Mosaik", erläutert das Ende eines Abschnitts aus der Perspektive von Moritz, der in bestimmter Seelenlage die Menschen von Farben umgeben sieht, begabt zeichnet und "so viele Bilder in sich" trägt: "Aus vielen Splittern besteht sie, aus Splittern der Vergangenheit und der Gegenwart."

Derart gelingt Fallwickl eine ansprechende Erzählanordnung, die nach etwas mühsamem Beginn packend in die Gänge kommt, allerdings zwischendurch den Leerlauf der Banalität einlegt. Einige Passagen wie jene über Maries Arbeit in der Ordination ihres Mannes sind auch sprachlich kaum mehr als uninteressante Abläufe. Die Alltäglichkeit spielt an dieser Stelle keine Rolle, wohl aber in der geschlossenen Anfangssituation des Bergdorfs. Da führen Raffael und seine Eltern ihr Leben eben abseits der ausgetretenen Wege, sodass sich geradezu ein Lehrstück von Abhängigkeiten und Hintergrundgewalt, von Macht über andere und deren Unterwürfigkeit entwickelt.

Das Problem eines Lehrstücks liegt allerdings oft darin, dass es zum Plakativen neigt. Fallwickls Figuren sind zu sehr im Schwarz-Weiß-Schema verhaftet, manche Passagen deutlich auf Effekt hin geschrieben, leicht affektiert formuliert, etwa die "stumm schmelzenden Schneeflocken". Wie es im Roman heißt: "ein Overkill an Eindrücken".

Rauschen der Zeit

Um der Originalität willen wirkt einiges übercodiert ("In der Nacht ist das Sehnen am größten. Es schwebt. Es wabert und gleitet und tropft") und übertrieben (wenn wiederholt Gin und Whiskey "durch sein Blut jagen"). Auch das sonst interessant und passend eingesetzte Farbenmotiv trägt an wichtigen Stellen zu dick auf, dadurch schafft es schiefe Metaphern. Über die beeindruckenden Augen von Raffael heißt es zunächst, sie hätten "die helle Farbe eines Himmels, an dem gerade das Wetter umschlägt", und später: "Augen wie das Meer an seiner tiefsten Stelle".

Das mag als Charakterbild gut gemeint sein, ist jedoch falsch – am Grund des Ozeans ist es dunkel. Zudem stören oftmals schludrige Formulierungen, mitunter verpufft die beachtliche Beobachtungsgabe im Kitsch: "Ohne zu filtern", nehmen die Augen die "Tränenfeuchte im Wimpernkranz" und das "Farbenbild der Wolken in der Seeoberfläche" auf, während die Ohren das "laute Rauschen der Zeit, die vergeht", empfangen.

Im Interview mit der Salzburger Zeitung, für die sie schreibt, sagte Mareike Fallwickl, ihr Roman wolle keine hochtrabende Literatur sein, sondern unterhalten. Dies gelingt. Und ist dennoch schade, denn über weite Strecken vermag die Prosa wahrlich ästhetischen Ansprüchen der Sprachkunst zu genügen.

Ihrer Aussage nach musste sie das Buch unter Zeitdruck abschließen, offenbar galt das auch für das Lektorat. Es sei der Autorin literarisches Debüt, behauptet der Klappentext. Fallwickl hat aber 2012 Auf Touren in der Reihe "Erotische Romane" publiziert.

Meint der Verlag, das sei nur eine Vorarbeit für die recht handgreiflichen Sexszenen in Dunkelgrün fast schwarz, oder betont er so die Qualität des neuen Buchs, während die Autorin der Unterhaltung gegenüber dem Hochtrabenden Priorität gibt?

So oder so, Mareike Fallwickl zeigt in weiten Teilen ihres zweiten ersten Romans, dass sie Charaktere zu formen, Situationen plastisch darzustellen und eine ansprechende sprachliche, literarische Umsetzung zu finden versteht. (Klaus Zeyringer, 30.4.2018)