Der Sprecher der größten US-Waffenlobby, der NRA, hält sich im Vorfeld der Jahresversammlung nicht zurück: "Das ist die führende Feier des zweiten Verfassungszusatzes in den USA", sagt Jason Brown. Der genannte Zusatz, im Original bestehend aus 27 Wörtern, ist seit langem ein Streitpunkt in den Vereinigten Staaten, bei dem sich auch Oberste Gerichte, Richter, Anwälte und Politiker nicht einig sind.

Fest steht, dass er am 15. Dezember 1791 verabschiedet wurde: "Da eine wohlreglementierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." Bis 2008 war sich der Supreme Court, das oberste Gericht der USA, nicht einig, wessen Recht dadurch eigentlich geschützt werden sollte. Manche Entscheidungen sehen darin klar die Bewaffnung der bundesstaatlichen Milizen festgeschrieben, manche das Recht des Einzelnen auf eine Waffe, und wiederum andere sehen es nur als Möglichkeit der Bundesstaaten, dem Einfluss aus der Hauptstadt etwas entgegenzusetzen.

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Sieben von zehn US-Bürgern sind laut einer Umfrage für strengere Waffengesetze. Doch die Waffenbefürworter sind noch immer die lauteren Stimmen im öffentlichen Diskurs.
Foto: Brad Horrigan/Hartford Courant via AP

Recht des Einzelnen

Meistens hielt sich der Supreme Court gänzlich aus der Debatte heraus. Bis 2008. Im Fall District of Columbia gegen Heller entschieden die Höchstrichter mit fünf zu vier Stimmen, dass ein Verbot des Besitzes von Schusswaffen in Washington, D.C., gegen den zweiten Verfassungszusatz verstößt. Das Recht des Einzelnen war fixiert.

Doch das sei nicht die Intention der Gründerväter der USA gewesen, sagte Carl Bogus, Rechtsprofessor an der Roger-Williams-Universität, zum Guardian. So hätte etwa James Madison mit dem Zusatz unter anderem seinen Bundesstaat Virginia absichern wollen. Sklavenhalter hätten Angst vor Revolten gehabt: "Damals waren die Milizen im Süden fast ausschließlich ein Werkzeug, um Sklaven zu kontrollieren", sagte Bogus.

Im 19. Jahrhundert wurden die Waffenrechte der US-Bürger erneut im Kongress diskutiert. Der Bürgerkrieg war vorbei, die Milizen der ehemaligen Konföderierten aufgelöst, und mit dem Civil Rights Act erhielten auch befreite Sklaven im Jahr 1866 gleiche Bürgerrechte – auch das Recht auf Schusswaffen. Gewalttätige rassistische Gruppierungen, wie der Ku Klux Klan, attackierten daraufhin Afroamerikaner und versuchten sie auch zu entwaffnen.

Marsch der "Black Panther"

Einhundert Jahre später war das Recht der afroamerikanischen Bevölkerung auf Waffen noch immer nicht gesichert. Am 2. Mai 1967 marschierten zwei Dutzend Aktivisten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung "Black Panther" in das Kapitol von Sacramento. Jeder von ihnen mit einer geladenen Waffe. Die Polizei schritt ein und beschlagnahmte die Waffen, die sie anschließend zurückgeben musste, da die Aktivisten gegen kein Gesetz verstoßen hatten. Geladene Waffen waren im US-Bundesstaat erlaubt, wenn sie sichtbar getragen wurden. "Das Volk der USA und vor allem die schwarze Bevölkerung sollen genau auf die rassistische Legislatur in Kalifornien achten, die eine Gesetzgebung plant, die darauf abzielt, Schwarze unbewaffnet und machtlos zu halten", hieß es anschließend in einem Statement der Black Panther.

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Aktivisten der "Black Panther" im Kapitol von Sacramento.
Foto: AP Photo/Walt Zeboski, File

Gemeint war der sogenannte "Mulford Act", der vom damaligen kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan verordnet wurde und der das öffentliche Tragen von geladenen Schusswaffen verbot. Die Verordnung war eine Reaktion auf bewaffnete Patrouillen der Black Panther in Nachbarschaften der Stadt Oakland, die als Gegenwehr zu Polizeigewalt gegen Schwarze initiiert wurden. Selbst die Waffenlobby der National Rifle Association (NRA) unterstützte damals den Bann der Schusswaffen.

Abschaffung ohne Wirkung

"Schafft den zweiten Verfassungszusatz ab", appellierte der ehemalige Höchstrichter John Paul Stevens diesen März in einem Artikel für die "New York Times". Stevens hatte beim Urteil des Supreme Court 2008 mitgestimmt, doch er war gegen das Recht des Einzelnen gewesen. Mit dem Entscheid habe man nur der NRA eine Propagandawaffe in die Hand gegeben.

Hunderttausende marschierten im März in den USA für strengere Waffengesetze. Im Bild die Kundgebung in der Hauptstadt Washington, D.C.
Foto: APA/AFP/NICHOLAS KAMM

Würde der Verfassungszusatz abgeschafft werden, hätte das "keine Auswirkungen auf bestehende Gesetze", sagt Adam Liptak, Supreme-Court-Korrespondent der "New York Times", zum STANDARD. Es wäre noch fast kein Gesetz zur Reglementierung des Waffenbesitzes wegen des Zusatzes aufgehoben worden. "Was zwischen uns und starker Waffenkontrolle steht, ist nicht der zweite Verfassungszusatz, sondern der politische Wille der Amerikaner", sagt Liptak.

"March for Our Lives"

Laut einer CNN-Umfrage vom Februar unterstützen sieben von zehn US-Bürgern strengere Waffengesetze. "Das lässt sich aber nur schwer auf die Politik umlegen", sagt Liptak. Denn die Macht der NRA sei zu groß. Auch deshalb, weil "noch immer Menschen, die Waffenrechte unterstützen, das zu ihrem wichtigsten Thema machen". Der "March for Our Lives", bei dem im März hunderttausende Menschen in den USA für strengere Waffengesetze auf die Straße gingen, könnte das ändern. (Bianca Blei, 4.5.2018)