Nikol Pashinjan wurde nach der Wahl gratuliert.

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Eriwan – In einer Atmosphäre von Unwillen und kaum verborgener Feindseligkeit hat Nikol Pashinjan, der Führer der Protestbewegung in Armenien, am Dienstagmittag im Parlament in Eriwan seine Wahl zum neuen Regierungschef erreicht. Zehn Abgeordnete der bisher regierenden Republikanischen Partei gaben ihm ihre Stimmen.

"Betrachten Sie diese Abgeordneten nicht als ihre Unterstützer", sagte der Chef der Republikaner, Vahram Baghdasarjan. Der außergewöhnliche Schritt erfolge nur um der Stabilität des Landes willen. Auf dem Platz der Republik aber, im Zentrum der armenischen Hauptstadt, brachen Tausende Anhänger Pashinjans in Jubel aus.

"Ruhmreiche neue Seite"

Vergangene Woche noch versagte ihm die Regierungspartei bei der Sondersitzung des Parlaments die Zustimmung. Doch die Machtverhältnisse in der kleinen Kaukasusrepublik waren längst gekippt. Mit 59 Ja-Stimmen, sechs mehr als notwendig, wurde Pashinjan nun Armeniens neuer Ministerpräsident. Eine ruhmreiche neue Seite in der armenischen Geschichte sei mit der "Samt-Revolution" geöffnet worden, sagte der 42-jährige Politaktivist. Es gebe keine Rückkehr mehr in die Vergangenheit.

Pashinjan versprach Transparenz und Rechenschaftspflicht. "Die Regierung muss ihre Bürger lieben, und die Bürger müssen ihre Regierung lieben", erklärte er.

Minderheitsregierung

Mit wochenlangen, immer größer werdenden Straßenprotesten hatte der Oppositionspolitiker zuerst den Rücktritt von Serj Sargsjan erzwungen. Der hatte Armenien zehn Jahre im autoritären Stil als Präsident geführt und sich Anfang April dann nach einer Verfassungsänderung zum nunmehr mächtigen Ministerpräsidenten wählen lassen. Pashinjan drängte nach Sargsjans Rücktritt weiter und reklamierte als "Kandidat des Volkes" das Amt des Regierungschefs für sich.

Unterstützt wurde er im Parlament dabei von allen drei Oppositionsparteien; seine eigene kleine Fraktion, das Bürgerparteienbündnis Yelq – der Ausweg –, nominierte ihn für das Amt des Regierungschefs. Als Ministerpräsident einer künftigen Minderheitsregierung strebt Pashinjan nun Neuwahlen an.

Treffen mit Putin

In seiner Vorstellungsrede im Parlament am Dienstag gab sich Pashinjan versöhnlich und pragmatisch. Außenpolitisch betonte er die Bedeutung der Beziehungen zu Russland und nannte sie "zentral". Armenien werde auch weiter Mitglied der 2014 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion sein. Bereits am 14. Mai dürfte Pashinjan bei einem Gipfetlreffen dieser Unionsländer in Sotschi vom russischen Präsidenten Wladimir Putin empfangen werden.

Noch vor wenigen Wochen hatte Pashinjans Fraktion im Parlament den Austritt aus der eurasischen Wirtschaftsunion verlangt und eine klare Ausrichtung des Landes zur EU. Eine Vertiefung der Beziehungen Armeniens zu Europa erklärte Pashinjan aber dennoch zu einer Priorität seiner künftigen Regierung.

Detaillierter als in der Vorwoche, als ihm die Regierungspartei immer wieder Inkompetenz vorgeworfen hatte, listete Pashinjan nun verschiedene Programmpunkte seiner Übergangsregierung auf, von der besseren Verpflegung für Soldaten über die Bekämpfung von Willkür bei Verkehrsstrafen bis zur Bewässerung in der Landwirtschaft.

Nationalistische Töne

Pashinjan, langjähriger Chefredakteur einer Oppositionszeitung, schlug auch nationalistische Töne an. Berg-Karabach, eine armenische Enklave im Nachbarland Aserbaidschan, müsse künftig mit am Verhandlungstisch zur Beilegung des Konflikts sitzen, sagte Pashinjan. Armenien müsse härter für eine internationale Anerkennung von Karabach arbeiten.

Pashinjans Wahl zum Premier fiel auf den Jahrestag der Eroberung der Stadt Sushi im Karabachkrieg gegen Aserbaidschan von 1992 bis 1994. Der US-armenische Rockstar Serj Tankian von Symptome of a Down, der am Vorabend nach Eriwan gekommen war, verfolgte Pashinjans Wahl von der Tribüne im Parlament.

Abrechnung

An der anschließenden Aussprache beteiligten sich nur Vertreter der Oppositionsparteien. Am härtesten trat dabei Naira Zohrabjan auf, eine führende Politikerin der Partei Wohlhabendes Armenien. Jahrelang hätten die bisher regierenden Republikaner alles versucht, um den Bürger in Armenien als politische und gesellschaftliche Figur umzubringen, sagte Zohrabjan. Resignation und Illoyalität habe sich deshalb im Land breitgemacht. Nun aber sei die Zeit für einen wirklichen Wechsel gekommen. Im Nachbarland Georgien, ebenfalls eine frühere Sowjetrepublik, waren demokratische Reformer 2003 im Zuge der sogenannten Rosenrevolution an die Macht gekommen. (Markus Bernath; 08.05.2018)