Historiker Oliver Rathkolb: "Man kann die eine oder andere Passage der Köhlmeier-Rede kritisieren, aber generell trifft Köhlmeier den Kern der Auseinandersetzung der FPÖ."

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STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass Kanzler Sebastian Kurz zur Kritik des Schriftstellers Michael Köhlmeier an der FPÖ und auch an ihm nichts zu sagen hat?

Rathkolb: Ich habe eigentlich von einem Bundeskanzler, der immer wieder ein sehr kritisches und offenes Verhältnis zur österreichischen Vergangenheit im Nationalsozialismus gezeigt hat, eine andere Stellungnahme erwartet. Man kann die eine oder andere Passage der Köhlmeier-Rede kritisieren ...

STANDARD: Wo er sagt, auch schon früher sei man stolz auf die Schließung von Fluchtrouten gewesen ...

Rathkolb: ... aber generell trifft Köhlmeier den Kern der Auseinandersetzung der FPÖ mit ihrer Geschichte bis hinein ins 19. Jahrhundert – und da wäre ein klares Wort des Bundeskanzlers zu erwarten gewesen, der ja auch immer sagt, er gibt demokratisches Leadership vor.

STANDARD: Wie schätzen Sie es ein, wenn FP-Chef Heinz-Christian Strache beim Akademikerball sagt, für Antisemitismus sei kein Platz in der FPÖ?

Rathkolb: Strache ist eine rätselhafte, aber gleichzeitig interessante Figur, er gehört zu den FPÖ-Funktionären, die aus dem aktiven Neonazi-Eck und einer ehemaligen Wehrsportgruppe kommen. Da führt kein Weg daran vorbei. Aber ich nehme Strache das wirklich ab. Ich glaube, es ist sozusagen eine merkwürdige Geschichte, dass er durchaus bereit war, weiter zu gehen, auch bei der Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ. Aber er ist auf Widerstand gestoßen. Denn einerseits ist ein antisemitisches Liederbuch einer schlagenden Burschenschaft der Ausgangspunkt der Kommission, aber die schlagenden Burschenschaften sind dann nicht Untersuchungsgegenstand, weil sie ja nicht Teil der FPÖ wären.

STANDARD: Da hat es offenbar massive Blockaden gegeben.

Rathkolb: Das jetzige Kommissionsmandat ist ja absurd. Bei der Pressekonferenz haben sie mit einer riesigen Österreich-Erklärung angefangen – was hat das mit der Geschichte der FPÖ zu tun? Klingt alles wie ein Notprogramm. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er weiter gehen wollte – er wird ja von den klassischen Burschenschaften als Nichtakademiker in einer Art Kastendenken eher herabgestuft –, aber bei dem hohen Anteil an Verbindungsmitgliedern, Burschenschaften, Mädelschaften, Sängerschaften hat er sich scheinbar nicht richtig durchsetzen können. Es geht nicht, dass man das Grundthema – die geschichtliche Unkultur oder Kultur bei den Burschenschaften – einfach auslässt.

STANDARD: Er kann vermutlich nicht anders. Er hat vielleicht eine Wandlung durchgemacht, wobei sein neuer Philosemitismus sich auf die Muslime als gemeinsamen Feind beschränkt. Gleichzeitig verbreitet aber Klubobmann Johann Gudenus eine klassische antisemitische Verschwörungstheorie, nämlich vom jüdischen Spekulanten, der Europa mit Muslimen umvolken will – und Strache sagt dazu, es ist nicht antisemitisch, aber die Weltverschwörung des Herrn Soros ist trotzdem ein Faktum für ihn. Das ist verrückt.

Rathkolb: Aber es ist leider Teil des politischen Diskurses in der Gegenwart, nicht nur beschränkt auf Österreich. Das Grundproblem ist, wenn auch Kanzler Kurz nach langem Nachdenken zu den Anschuldigungen gegen Soros ein klares Wort gefunden hat, dass diese völlig absurden Weltverschwörungstheorien weiter von einflussreichen Politikern verbreitet werden. Der Herr Gudenus ist ja kein Dummer. Da werden ganz bestimmte Codes verwendet. Ich glaube, die FPÖ ist gut beraten, die Historikerkommission wieder aufzulösen und dafür zu sorgen, dass sich der Alltagsdiskurs wieder rationaler Argumente bedient. (Hans Rauscher, 8.5.2018)