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Wie winzige Kraken breiten sich Krebszellen im Körper aus. Gezielte Blocker sollen nebenwirkungsintensive Chemo- und Strahlentherapien überflüssig machen.

Foto: Picturedesk / Science Photo Library

Die Krebsforschung durchlebt eine Revolution: Das immer bessere Verständnis der molekularen Zellmaschinerie ermöglicht die Entwicklung gänzlich neuer Arzneimittel, die sich gezielt gegen Tumorzellen oder die an Krebs beteiligten Moleküle richten. Das unterscheidet die neuen Therapien grundlegend von den eher unspezifisch wirkenden Chemo- und Strahlentherapien, die auch gesunde Zellen angreifen und dadurch teils massive Nebenwirkungen auslösen.

"Die Fortschritte der vergangenen zehn Jahre konnte niemand vorhersehen", sagt Richard Moriggl, Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Krebsforschung und Professor für funktionelle Krebsgenomik an der veterinärmedizinischen und der medizinischen Universität Wien, der zu einer internationalen Tagung geladen hat, die bis heute Mittwoch im steirischen Schloss Seggau stattfindet.

Im Fokus des Austauschs stehen Signalübertragungswege und die daran beteiligten Akteure, die bei der Kommunikation zwischen Körperzellen eine herausragende Rolle spielen.

Gesunde Zellen sind streng reguliert: Sie bleiben an ihrem Platz – eine Nervenzelle im Gehirn, eine Leberzelle in der Leber – und vermehren sich nur dann, wenn sie den Befehl dazu erhalten. So teilt sich eine Darmzelle alle zwei Tage, Knochenzellen alle zehn Jahre und Lichtsinneszellen im Auge halten ein Leben lang durch.

Krebszellen hingegen brechen alle biologischen Regeln: Sie dringen in andere Organe ein und wachsen unkontrolliert. Häufig ist der Grund eine gestörte Zell-Zell-Kommunikation, die dazu führt, dass die feinabgestimmte Regulierung versagt.

"Unser heutiges Wissen verdanken wir den enormen Fortschritten in der Entschlüsselungstechnik der DNA", sagt Morrigl, "wir haben die Sequenzdaten von mehr als einer Million Tumoren, die wir mit gesundem Gewebe vergleichen können. So lässt sich ein Großteil der Mutationen, also Erbgut-Veränderungen, die zu Krebs führen, erkennen."

Lichtschalter für Krebszellen

Die Daten zeigen vor allem eines deutlich: Jede Krebserkrankung ist anders und weist spezifische Mutationen auf. Das bedeutet: Zwei Menschen, die an Lungenkrebs erkranken, weisen unterschiedliche DNA-Veränderungen auf. Die Herausforderung besteht darin, aus der Fülle möglicher Therapieansätze die richtigen herauszusuchen.

So konzentrieren sich Wissenschafter auf molekulare Schlüsselstellen, die bei mehreren Krebsarten eine Rolle spielen, etwa Mutationen im Myc-, im Ras- oder im P53-Gen, sogenannten Onko- und Tumorsupressorgenen, die alle eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Zellteilung spielen.

Dazu gehört auch der sogenannte Jak/Stat-Signalübertragungsweg, bei dem, vereinfacht erklärt, ein Signal außerhalb der Zelle dafür sorgt, dass in der Zelle Gene an- oder ausgeschaltet werden. Das geschieht, indem ein Wachstumsfaktor oder ein Hormon aus dem Blut an die Zelloberfläche bindet.

Das aktiviert ein Enzym im Inneren der Zelle, die sogenannte Januskinase (Jak), die wiederum dafür sorgt, dass sich die Stat-Proteine auf den Weg in den Zellkern machen, wo sie bestimmte Gene an- oder ausschalten. Der Signalweg ist evolutionär hochkonserviert, das heißt, er kommt bei Insekten, Mäusen und Menschen vor. Ein Fehler in diesem seit Jahrmillionen bestehenden Regelwerk hat fatale Folgen, wenn etwa die Zellregulierung entgleist.

"Die Proteine Stat3 und Stat5 spielen eine wichtige Rolle in vielen Krebsarten", erklärt Morrigl, "man kann sie mit Lichtschaltern vergleichen: In gesunden Zellen schalten sie nur das Licht in der Küche und im Bad ein, in Krebszellen hingegen das Licht im ganzen Haus."

Genaktivierung hemmen

Aus diesem Grund versuchen Wissenschafter, die Stat-Proteine gezielt zu blockieren, um auf diese Weise die Genaktivierung und damit das Krebswachstum zu hemmen. Patrick Gunning, ein renommierter Krebsforscher von der Universität Toronto, stellt auf der Tagung seine Arbeit zu Stat3 vor: "Zwei Stat3-Proteine verbinden sich in der Zelle zu einem Komplex, der Gene aktiviert. Mithilfe von Computerprogrammen modellieren wir die Proteinstruktur und können dann berechnen, an welcher Stelle ein künstliches Molekül am einfachsten und effizientesten binden kann", erklärt Gunning. Letztlich gehe es darum, die Bindestelle von Stat3 mit einem Wirkstoff zu blockieren, sodass sich kein Komplex bilden kann, der Gene aktiviert.

In Zusammenarbeit mit den Forschern des Ludwig-Boltzmann-Instituts ist es Gunning gelungen, auch für Stat5 einen hemmenden Wirkstoff zu entwickeln. Bisher wurden die Moleküle in Tierexperimenten untersucht. Die Forscher hoffen, die ersten klinischen Studien an Patienten in zwei Jahren starten zu können.

Extreme Wandlungsfähigkeit

Ein anderes Problem, das Forschern Kopfzerbrechen bereitet, ist die extreme Wandlungsfähigkeit von Krebszellen: Diese teilen sich so oft und unkontrolliert, dass häufig neue DNA-Veränderungen entstehen. Auf diese Weise können sie sich innerhalb kurzer Zeit an neue Bedingungen anpassen. In der Praxis bedeutet dies, dass eine anfänglich wirksame Therapie nach einer Weile unwirksam wird.

Deswegen setzt man auf die Kombination verschiedener Krebstherapien. Ziel von Immuntherapien etwa ist es, das körpereigene Abwehrsystem mithilfe von Antikörpern wieder in die Lage zu versetzten, Krebszellen anzugreifen. Möglicherweise lösen diese neuen Therapien zu Recht eine Art Goldgräberstimmung aus. Allerdings verursachen auch sie Nebenwirkungen und schlagen lange nicht bei allen Patienten an. Zudem warnen manche Experten vor einer Kostenexplosion, denn die Behandlungen sind aufwendig und sehr teuer.

Der erste Schritt ist aber die Diagnostik: "Durch eine DNA-Sequenzierung des Krebsgenoms kann für jeden einzelnen Patienten geprüft werden, ob es Möglichkeiten für eine gezielte Therapie gibt. Diese DNA-basierte Auswahl erspart dem Patienten die Belastung und dem Gesundheitssystem die Kosten von Therapien, die keine Erfolgschance haben", sagt der Bioinformatiker Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Bis jetzt ist diese Form der Diagnostik in Österreich noch keine Routineuntersuchung. Somit bleiben Operation, Chemotherapie und Bestrahlung vorerst wichtige Waffen im Kampf gegen Krebs. "Wir stehen an der Schwelle zu ganz neuen Möglichkeiten", sagt Moriggl, "in Zukunft werden wir neue und alte Therapien kombinieren. Krebs könnte so immer öfter zu einer chronischen Krankheit werden." (Juliette Irmer, 10.5.2018)