Gleich eines vorweg: Nein, ich bin nicht jener Nachhilfelehrer aus Graz, der seinen Schüler beim Schummeln via Smartphone unterstützt hat. Aber natürlich habe ich am Mittwoch mit meinen Schülern und Schülerinnen ab 8.30 Uhr mitgefiebert. Und natürlich hätte auch ich sehr gerne vorher gewusst, welche Beispiele für diesen Haupttermin ausgewählt wurden.

Ab Mittwoch 16 Uhr, als die Aufgaben und die Lösungen veröffentlicht wurden, konnte ich mir ein erstes Bild machen. Die Frage, ob die Mathe-Matura zu diesem oder jenem Termin leichter oder schwerer war, wird mir oft gestellt. Ich hab mich bis dato nie zu einer Einschätzung hinreißen lassen, da jeder Termin meiner Meinung nach aus einer ausgewogenen Mischung aus 24 Grundkompetenzen besteht. Hie und da war das eine oder andere Beispiel vielleicht leichter als erwartet; dafür wurden im Gegenzug manche Themen auf eine gewisse Art abgefragt, die im ersten Moment als neu und überraschend aufgefasst werden könnte.

Foto: DER STANDARD/Corn http://www.corn.at

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Üben und Nachvollziehen aller Beispiele der bisherigen Haupt- und Nebentermine eine sehr gute Ausgangsbasis in Bezug auf die Vorbereitung darstellt. Als Nachhilfelehrer mache ich meinen Schülern und Schülerinnen einerseits diese Maturen zugänglich und unterstütze andererseits mit begleitenden Beispielen desselben Themas aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Es kommt relativ selten ein und dasselbe Beispiel mit anderen Zahlen. Daher müssen die jungen Leute ihre erlernten "Werkzeuge" wie auch Denk- und Lösungsstrategien anwenden, um immer wieder auf eine neue Fragestellung angemessen reagieren zu können.
 
Ich beschränke mich in meiner Betrachtung des Haupttermins 2017/2018 auf die 24 Beispiele von Teil 1. Denn um überhaupt positiv abzuschneiden, muss die Hürde von zwei Drittel der möglichen Punkteanzahl (auch unter Zuhilfenahme der markierten Ausgleichspunkte aus Teil 2) genommen werden. Aus der Sicht des Nachhilfelehrers ist das zumeist der Hauptjob!

Zwei Drittel waren "Routine"

Meine Bilanz lautet nun wie folgt: Zwei Drittel der 24 Beispiele sind "Routine" und eher überraschungsarm. Eine entsprechende Vorbereitung war also gut möglich. Ein Drittel stufe ich als interessant beziehungsweise herausfordernd ein, da es sich um einen eher neuen Zugang oder Blickwinkel handelt. Die Chance, dass solche Beispiele genau in dieser Form vorab geübt wurden, ist meines Erachtens eher gering. Wenn man die typischen Maturatraining-Lernbücher durchgearbeitet hat, kennt man die „gängigen“ Formate, um auch auf Neues reagieren zu können.
 
Mein Fazit: Die aktuelle Matura (Fokus auf Teil 1) finde ich gut ausgewogen und machbar. Vor allem das Verhältnis von 2:1 (Bekanntes vs. Herausforderndes) gibt keinen Anlass zur Sorge oder Beschwerde. Wer geübt und sich mit der Materie beschäftigt hat, dem wurden keine Steine in den Weg gelegt.

Ab wann ist ein Beispiel "herausfordernd"?

Da im ersten Teil grundlegende Kompetenzen abgeprüft werden, müssen ja nicht 24 Herausforderungen auf unsere Maturanten und Maturantinnen warten. Eines aber lässt sich schwer operationalisieren: Ab wann ist ein Beispiel "herausfordernd"? Vieles hängt davon ab, wie viele Erfahrungen mit anderen und/oder ähnlichen Beispielen in der Vorbereitungszeit gemacht wurden: Welche Denk- und Entscheidungsmuster lassen sich anwenden? Welche Ausnahmen gilt es zu berücksichtigen? Wo könnte ich eine erste Handlung setzen, obwohl ich dieses Beispiel noch nie gesehen habe? Welche Auswahlmöglichkeiten kann ich als "falsch" ausschließen? Was könnte dieses Ergebnis im Kontext der Fragestellung bedeuten und wie lässt es sich interpretieren?

Auf zwei Beispiele möchte ich konkret eingehen.
 
Aufgabe 12 beschäftigt sich mit der Sinusschwingung, genauer gesagt mit ihrer Amplitude und Frequenz. Hobbymusiker mit Saiteninstrumenten kennen Ersteres als Lautstärke und Zweiteres als Tonhöhe: Schwingt die Saite doppelt so schnell, wird der Ton oktaviert. In früheren Maturen gab es als Angabe Funktionsgraphen, aus denen Amplitude und Frequenz abgelesen werden konnten. Diesmal musste aber das Bild des Graphens erst im Kopf entstehen, um daraus Rückschlüsse ziehen zu können. Also eigentlich nichts Neues, aber ein anderer Zugang zur Materie.

AHS Matura, Teil 1, Aufgabe 12 von 24
Quelle: www.srdp.at
Sobald das Bild im Kopf entsteht, lässt sich die Aufgabe gut lösen.
Quelle: GeoGebra

Zur Lösung: Wenn die Periode nur π (gerundet 3,14 Radiant als Einheit)lang ist, dann ist in dieser Zeit eine komplette Schwingung (also Wellenberg und Wellental) passiert. Daraus können wir schließen, dass in der Zeit von 2π (gerundet 6,28) zwei Schwingungen passieren. Daher ist die Frequenz b = 2. Wenn die Differenz zwischen dem höchsten Berg und dem tiefsten Tal der Schwingung genau 6 Einheiten beträgt, muss die Amplitude a = 3 sein. Als Rettungsanker dient hier, dass die klassische Sinusschwingung immer lediglich zwischen -1 und +1 schwingt, daher eine Amplitude von 1 hat.

Welcher Zusammenhang könnte zwischen Hausübungen und Punkten bei Schularbeiten vermutet werden?
Quelle: www.srdp.at

Aufgabe 19 stellt Verständnisfragen zu einem Punktwolkendiagramm. Selbst als Nachhilfelehrer muss ich festhalten, dass ich beinahe nie solche Beispiele üben lasse, da es sich hier um einen quasi "Nebenschauplatz" im Bereich der Statistik handelt und auch von Seiten meiner Schüler und Schülerinnen diesbezüglich keine Fragen gestellt werden. Diese Beispiele lassen sich mit dem sogenannten "mathematischen Hausverstand nach zwölf Schuljahren" aber gut lösen, was in meinen Augen auch zu einer abschließenden (Reife-)Prüfung gehören sollte. (Rainer Saurugg, 10.5.2018)