Es ist Samstag, 5. Mai, halb drei in der Früh. Ich stehe fröstelnd zwischen ungefähr zweitausend Menschen im sogenannten Hawks Nest am östlichen Rand der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien. Sieben Kilometer entfernt wartet eine Rakete vom Typ Atlas V-401 am Launch Complex 3 auf ihren Start.

Der Service-Tower wird zurückgerollt und gibt die Sicht auf die Atlas-V-Rakete mit InSight frei.
Foto: NasaA/Bill Ingalls

An Bord befindet sich die erste Landesonde, die gezielt das Innere des Mars erforschen soll. Daraus leitet sich auch der Name der Mission InSight ab, die Teil des Discovery-Programms der Nasa ist. Ungewöhnlich an dieser Mission ist, dass die Landesonde selbst zwar von der Nasa gebaut wurde, die meisten Messgeräte jedoch aus Europa stammen. Das Seismometer ist eine Kooperation zwischen Frankreich, England und der Schweiz. Deutschland liefert den Sensorteil des Wärmeflussinstruments HP3 und Polen die mechanische Hardware. Die wissenschaftlichen Teams kommen, wie es bei solchen Missionen üblich ist, beinahe aus der ganzen Welt. Auch Österreich ist mit dabei und so wird zum ersten Mal eine österreichische Flagge, als Teil des Kalibriertargets für die Kamera, auf dem Mars landen.

Mein Name fliegt als einer von 2.429.807 mit zum Mars :-)
Foto: Nasa/JPL-Caltech

Startverzögerung um sechsundzwanzig Monate

In gut einer halben Stunde soll die Rakete planmäßig starten und die Nervosität steigt mit jeder Sekunde. Der ursprüngliche Starttermin war bereits 2016. Ein winziges Leck im Vakuumbehälter des Seismometers hat jedoch für Verzögerungen in den letzten Abnahmetests gesorgt und so war der Starttermin nicht mehr zu halten. Nachdem die Konstellation zwischen Mars und Erde nur alle sechsundzwanzig Monate günstig für einen Start ist, hat sich der Abflug von März 2016 auf Mai 2018 verschoben.

Ein Leck, das so klein ist, dass ein Autoreifen damit dreihundert Jahre ohne Aufpumpen hätte fahren können, hat damit eine Startverschiebung um mehr als zwei Jahre und eine Kostenüberschreitung von hundertfünfzig Millionen US-Dollar verursacht. Der amerikanische Kongress war "not amused" und es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, um einen Abbruch der Mission durch die Regierung zu verhindern. Letztendlich waren die zu erwartenden wissenschaftlichen Ergebnisse wichtig genug, um weitermachen zu können.

NASA Jet Propulsion Laboratory

Rodeoritt am Schütteltisch

Einen Tag vor dem Start noch das letzte Team-Meeting. Die wissenschaftlichen Vorträge werden eher ungeduldig zur Kenntnis genommen. Jeder wartet auf die Leiter der Instrumententeams und die letzten Statusberichte. Das letzte halbe Jahr vor dem Start wurde nur mehr für Qualifikationstests genutzt. Jede Komponente für sich, alle Baugruppen und schließlich jedes Messgerät wurden im Vakuum durch Heiß-Kalt-Zyklen gequält und mussten einen "Rodeoritt" auf dem Schütteltisch überstehen.

Robuste Bauweise ist für Weltrauminstrumente Pflicht, denn nach dem Start gibt es keinerlei Reparaturmöglichkeit mehr. Hauptaugenmerk wird hier auf Fehlertoleranz gelegt, denn fehlerfrei gibt es nicht. Die Messgeräte müssen auch dann noch funktionieren, wenn kleine Schäden auftreten. Erst dann dürfen sie auf der Raum- oder Landesonde montiert werden, um gleich noch einmal auf Herz und Nieren geprüft zu werden.

NASA Jet Propulsion Laboratory

Endlich kommt der erlösende Satz vom Projektleiter, alle Instrumente sind auf "Go" und InSight ist klar zum Start. Applaus brandet auf, aber die Ernüchterung folgt unverzüglich. Die meteorologische Station der Air Force Base gibt den Wetterbericht durch. Mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent wird es Bodennebel geben, was den Sicherheitsvorschriften beim Start widerspricht. Kurz darauf wird vom Projektleiter die Entwarnung gegeben. Solange es nur Nebel und keine Wolken sind, kann mit einer Sondergenehmigung trotzdem gestartet werden.

Der lange Weg bis zum Start

Inzwischen sind es nur mehr fünfzehn Minuten bis zum Start und alle verfolgen gespannt die Meldungen, die über die Monitore laufen. Der Countdown ist plangemäß angehalten worden, um die letzten Kontrollen vor dem Start durchzuführen. Ein paar Warnungen werden angezeigt, aber für das routinierte Launch-Team ist das ganz normal und kein Grund zur Aufregung. Für die meisten Beteiligten an der Mission war es ein langer Weg bis hierher nach Vandenberg. Die Vorbereitungen für InSight haben insgesamt sieben Jahre gedauert, aber die Geschichte der einzelnen Mesgeräte geht viel weiter zurück.

Ein Seismometer des Institut de Physique du Globe de Paris (IPGP) war schon an Bord der Mission Mars-96, die es 1996 von Kasachstan nur bis in den Südpazifik geschafft hat. Ein Nachfolgeinstrument sollte dann 2003 mit der Mission Mars Netlander starten, die letztendlich aus Geldmangel eingestellt wurde.

Ähnliches gilt auch für das "Heat Flow and Physical Properties"-Instrument HP3. Technologisch ist es ein "Enkel" des Instruments Mupus, das 2014 mit der Landesonde Philae auf dem Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko landete. In der jetzigen Form wurde es 2001 das erste Mal für eine Landesonde der Esa-Mission BepiColombo zum Merkur vorgeschlagen. Danach hätte es im Rahmen von ExoMars mit der Humbold-Station auf dem Mars landen sollen. Beide Landemodule wurden, wie so oft, aus Geldmangel wieder abgesagt. Zu diesem Zeitpunkt war man aber schon längst mit den Kollegen der Nasa in Verhandlung, um eine Mission im Discovery-Programm vorzuschlagen. Das Konzept, eine Nasa-Landesonde mit europäischen Messgeräten zu verschmelzen, um die Vitalparameter eines Planeten zu vermessen, war überzeugend genug, um sich gegen mehr als zehn Konkurrenten durchzusetzen. Somit wird InSight nun den Herzschlag des Mars – also die seismische Aktivität – und seine Fieberkurve – den Wärmestrom aus dem Planeteninneren – aufzeichnen. Mit diesen Messungen soll der innere Aufbau des Planeten charakterisiert und damit die Entstehung der terrestrischen Planeten besser verstanden werden.

Erster interplanetarer Start von der Westküste

Vier Minuten bis zum Start. Der Countdown wird wieder aufgenommen und der Flight Director ruft die einzelnen Stationen ab, um die letzten Statusinformationen zu bekommen. Die Sicht ist inzwischen auf unter hundert Meter gefallen, aber zum Glück handelt es sich nur um eine dünne Nebeldecke mit weniger als zweihundert Meter Höhe und nicht um Wolken, die die Telemetrieübertragung aus der Rakete stören könnten.

Viele wundern sich, warum zum ersten Mal Vandenberg für einen interplanetaren Start ausgewählt wurde. Zum einen lag es daran, dass der Kennedy Launch Komplex in Florida für den ersten Starttermin 2016 extrem gut gebucht war. Die Landesonde InSight ist zum anderen auch eine vergleichsweise leichte Raumsonde und die Atlas-V-Rakete mit ihrer Centaur-Oberstufe hat deswegen eine große Leistungsreserve, die auch einen Start in Kalifornien erlaubt. Üblicherweise werden Raketenstarts möglichst nahe am Äquator und vorzugsweise in Richtung Osten durchgeführt, um möglichst viel Schwung aus der Erddrehung mitzunehmen. Für interplanetare Starts gilt das nur bedingt, weil die Äquatorebene der Erde und die Bahnebene des Mars jahreszeitlich unterschiedliche Neigungen zueinander haben. Eine besondere Planetenkonstellation zum Startzeitpunkt zusammen mit der Achsenneigung der Erde hebt den Vorteil eines Starts von Florida aus beinahe auf. Ein Start von Vandenberg aus erfolgt immer nach Süden, der Küste entlang, in einen polaren Orbit über den Südpol hinweg. Damit kann man nach einem Umlauf über beide Pole quasi nach links auf die Bahnebene des Mars einbiegen und erspart sich aufwendige Anpassungsmanöver, wie sie von Florida aus notwendig wären.

NASAKennedy

Go InSight!

Die letzten dreißig Sekunden vor dem Start. Der Nebel ist inzwischen so dicht geworden, dass nicht einmal der kleinste Lichtschein vom Startplatz bis zu uns durchdringt. Alle scharen sich um die vorhandenen Lautsprecher, um die letzten Durchsagen in der Startprozedur zu hören. Es wird mucksmäuschenstill am Beobachtungspunkt. Dann hört man "Go Atlas", "Go Centaur" und den Satz, auf den wir sieben Jahre lang gewartet haben: "Go InSight"! Es folgen die letzten zehn Sekunden und zumindest auf dem Bildschirm kann man einen Bilderbuchstart mitverfolgen. Einundzwanzig Sekunden später kommt die akustische Bestätigung des Starts bei uns an. Aus einem leisen Donnergrollen entsteht ein ohrenbetäubender Lärm, der alle Unterhaltungen zum Verstummen bringt und die tiefen Frequenzen sind körperlich spürbar.

SciNews
Flugbahn von InSight über Los Angeles
Foto: D. Ellison

The pale blue dots

Wieder zurück in der Heimat erreichte mich am 9. Mai eine freudige Nachricht: Einer der beiden Cubesats, die gemeinsam mit InSight in Richtung Mars gestartet wurden, hat mit seiner Kamera ein Bild geschossen, um festzustellen, ob sich die Antenne des Satelliten planmäßig geöffnet hat. Auf dieser Aufnahme konnte man auch die Erde und den Mond aus einer Entfernung von rund einer Million Kilometer erkennen. Damit gibt es nach Voyager 1 (1990) und Cassini (2013) ein weiteres Bild von unserer Erde als "blassen blauen Punkt" im Universum.

NASA 360

Warten bis November

Mit einem erfolgreichen Start ist eine der riskantesten Phasen einer Raummission geschafft. Die nächste Hürde wird InSight am 26. November 2018 nehmen, wenn die Sonde hoffentlich sanft auf dem Mars landet - in Elysium Planitia, nur dreihundert Kilometer vom Curiosity Rover entfernt. Aber das ist eine andere Geschichte. (Günter Kargl, 25.5.2018)

Günter Kargl studierte Geophysik an der Universität Graz und ist nach einem mehrjährigen Aufenthalt am Max-Plank-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen seit 1997 am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) als Techniker und Wissenschaftler tätig. Sein Schwerpunkt liegt in der Untersuchung von planetaren Oberflächen.

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