Sind’s Cevapcici oder goldene Hoden? Die Künstlerin Ashley Hans Scheirl – hier zu sehen in ihrem Atelier – spielt gerne mit Mehrdeutigkeiten.

Foto: Christian Benesch

Es war einmal ein Cyborg mit multipler Persönlichkeit, der begab sich auf eine Zeitreise, um seine 14 Identitäten einzusammeln. Eine davon war eine sprechende Flamme, ein dunkelhäutiger Junge eine andere, das Rauschen des Fernsehers eine weitere. Des Cyborgs Widersacher war eine auf ihren Stammbaum fixierte Sippe, die für schillernde Charaktere wenig übrig hatte.

Zugegeben, für ein richtiges Märchen fehlt hier noch einiges. So oder so ähnlich könnte man aber den Film Dandy Dust (1998) der Künstlerin Ashley Hans Scheirl zusammenfassen. Gerecht wird man diesem queeren Experimentalfilm mit Kategorien wie Handlung oder Figuren aber damit ohnehin nur bedingt. Man muss ihn am eigenen Leib erlebt haben, diesen 90-minütigen Aberwitz, anzusiedeln irgendwo zwischen Splatter, Cyberpunk und (Adams-)Kostümfest.

Ashley Hans Scheirl: "Dandy Dust" (1998)
Phuxia Byzantine

Die Spitze des Eisbergs

Im erotisch aufgeladenen, psychedelischen Farbenrausch wird man die zentrale Botschaft mehr spüren als begreifen: Alles fließt – vor allem die Grenzen zwischen den Geschlechtern und Identitäten. Damit ist man mittendrin im Schaffen der Transgender-Künstlerin Ashley Hans Scheirl.

Seit gut vier Jahrzehnten ist Kunst für die 1956 als Angela Scheirl in Salzburg geborene Künstlerin ein Experimentierfeld für wechselnde Identitäten. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie 2017 auf der Großausstellung Documenta dabei war. Im Fokus stand dort ihr malerisches und zeichnerisches Werk. Dieses ist aber nur die Spitze eines Eisbergs, der tief in die Vergangenheit der europäischen Queer-Kultur und Performancekunst hineinragt.

Wer also könnte Ashley Hans Scheirl sein?

Als Teil einer Installation präsentierte Ashley Hans Scheirl das Gemälde "Golden Shower (L'Origine du Monde)" (2017) bei der vergangenen Documenta in der Neuen Galerie Kassel.
Foto: Scheirl

An einem Sehnsuchtsort

Als Anhaltspunkt eignet sich abermals Dandy Dust, eine Preziose des Avantgardefilms. Der Streifen führt zurück in eine Zeit, da Scheirl ganz in der Subkultur zu Hause war, ins London der wilden 1990er-Jahre. Nach ersten Erfahrungen in der österreichischen Performance- und Experimentalfilmszene und einem kurzen Aufenthalt in New York, betrat sie in der dortigen Lesben-Subkultur einen Sehnsuchtsort. Was Scheirl an den "Dykes" beeindruckte, war, dass hier "mit Sexualität experimentiert wurde". "Man war nicht einfach schwul oder lesbisch", erinnert sich die Künstlerin, "sondern probierte etwas aus. Das war sexuelle Avantgarde."

An den eigenen Leibern erprobte man hier jene Formbarkeit der Geschlechtsidentität, die Judith Butler 1990 im Kultbuch Das Unbehagen der Geschlechter nahegelegt hatte. Geschlecht werde durch soziale Konventionen bestimmt, so lautete die zentrale These der US-Philosophin. Ob ein Mensch Frau oder Mann ist, beruhe auf der Wiederholung eingeübter "Sprechakte" – und ist mithin veränderbar.

Butlers Werk hat einen Fixplatz im Bücherregal all derer, die sich heute mit Gendertheorie beschäftigen. Scheirl gründete in London eine "Factory" à la Warhol. Hier schöpfte man aus dem exzessiven Spiel mit der Identität, ihm widmete das Kollektiv das lesbische Science-Fiction-Drama Flaming Ears und Dandy Dust.

Ashley Hans Scheirl: "Hairy Deals" (2016)
Foto: Courtesy Galerie Loevenbruck Paris

Hautnahe Zusammenarbeit

Die Wirkung der Filme rührt daher, dass sie eine intensive, quasi hautnah-sexuelle Zusammenarbeit der Beteiligten vermitteln. Dass Scheirl diese Arbeitsweise im Kollektiv auch als kräftezehrend empfand, war mit ein Grund, Malerin zu werden.

Zurückgreifend auf ihr Studium der Restaurierung an der Wiener Akademie der bildenden Künste, schafft Scheirl als Malerin poppige, zwischen Icons und Fotorealismus flottierende Bild tafeln. Dabei zelebriert sie das Spiel mit mehrdeutigen Symbolen. Abstrahierte Comictierchen treffen in sterilen Räumen auf baumelnde Hoden; Pinselstriche, die den abstrakten Expressionismus zitieren, kommen mit goldenem Exkrement zusammen.

Die Künstlerin stellte diese Bilder unter dem Namen Hans aus. Sie habe stets darunter gelitten, als Frau weniger wert zu sein, sagt Scheirl. Den Wechsel von Frau zu Mann vollzog sie, als ihr eine Künstlerkollegin zum 40. Geburtstag eine Testosteronbehandlung schenkte. Bis zum Sechziger trat Scheirl als Mann auf – dann entschied sie sich, wieder Frau zu sein. Davon zeugt auch Scheirls neuer erster Vorname: "Ashley" kann allerdings weiblich wie männlich gelesen werden.

"Genital Economy Posing" heißt Scheirls Personale im Künstlerhaus Graz. Teil der Ausstellung ist dieses begehbares Gemälde.
Foto: Markus Krottendorfer

Genitalökonomie und Fäuste

Ob Angela, Hans oder Ashley – konstant geblieben ist Scheirls Zuneigung zu ihrer Mentorin Maria Lassnig. Zwischenzeitlich als Assistentin der 2014 verstorbenen Malerin tätig, war Scheirl von deren Konzept des "Body Awareness Painting" beeindruckt. Die Malerei-Ikone verfocht eine Kunst, die nicht auf dem Denken, sondern auf dem Spüren des eigenen Körpers beruhte. Heute lehrt Scheirl selbst. Sie unterrichtet seit 2006 an der Wiener Akademie Kontextuelle Malerei – also eine Malkunst, die Grenzen gen andere Medien überwindet.

"Transgender, Transgenre, Transmedium", diese Dreiheit beschwört Scheirl gerne, wenn sie über ihre Kunst spricht. Auch ihre aktuelle Personale im Künstlerhaus Graz (Genital Economy Posing) ist von Grenzüberschreitungen geprägt. Scheirl nennt sie ein "begehbares Gemälde". Abseits davon, dass sich hier Gelegenheit bietet, Filme Scheirls zu sehen, macht die Ausstellung noch eine weitere Facette in ihrem Schaffen deutlich: Konsequent beleuchtet die Künstlerin Verbindungslinien zwischen dem Intimsten und dem Sozialen, zwischen Sexualität und Politik.

Ashley Hans Scheirl: "Numbered" (2016)
Foto: Courtesy Erste Campus Mobilien GmbH & Co KG

Das Leben als Performance

An Jean-François Lyotards Libidinöse Ökonomie und dessen These, libidinöse seien von wirtschaftlichen Energien nicht zu trennen, gemahnt der Ausstellungstitel. Sinnbildlich dafür steht zentral eine Faust, in der sich der Kampf um politische Freiheit mit der Sexualpraktik des Fistens verbindet. Die Ausstellungs architektur hat im Übrigen Scheirls Lebenspartnerin, die Wiener Künstlerin Jakob Lena Knebl, gestaltet.

Die Grenzen zwischen Leben und Kunst einzuebnen, das Private künstlerisch zu bearbeiten, ist wesentlich für die Kunst von Ashley Hans Scheirl. Vom "Performativen ihres Lebens" spricht sie, erklärt aber auch, sie wäre "eigentlich gerne Malerin". Aber sie ist doch eine? "Was ich male, wird zum Requisit für meine ‚Life Art‘", sagt sie. Man ist am Ende nicht sicher, ob es ein Hauch von Bedauern oder doch Koketterie ist, wenn sie nachsetzt: "Ich bleibe irgendwie nicht auf der Fläche." (Roman Gerold, 15.5.2018)