Mit den Preiserhöhungen bei Spitzensmartphones in den letzten Jahren wird die Auswahl an "Flaggschiff-Killern", also Geräten, die mit der Oberklasse mithalten können, aber deutlich weniger kosten, langsam dünn. Selbst bei OnePlus, das diesen Terminus 2014 erfunden hat. Kostete das OnePlus One einst noch 269 Euro, verlangt man mittlerweile fast das Doppelte.

Eine Hoffnung ruht auf Xiaomi, das dieser Tage inoffiziell über einen Distributor mit einem Shop in in Österreich startet und hochoffiziell über den Netzbetreiber "3" auf den europäischen Markt kommt. Allerdings bot auch Huaweis Zweitverwertung der eigenen Spitzenhardware in den vergangenen Jahren eine Alternative – in Form der Honor-Reihe der gleichnamigen "Discountmarke". Diese hat nun den neuesten Ableger, das Honor 10, nach Europa gebracht. In Österreich wird das Handy zwar nicht offiziell eingeführt, doch über verschiedene Händler und via Amazon dürfte es wohl leicht zu erstehen sein.

Selbst die hardwareseitig etwas stärkere China-Ausgabe lässt sich erstehen. Der STANDARD hat ein Testmuster vom heimischen Importhändler Trading Shenzhen erhalten und dieses auf seine Qualitäten geprüft.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Dünne Ränder und ein Notch

In Sachen Design hat man dem Honor 10 eine Randverschlankung und dabei auch einen "Notch" spendiert. Frontlautsprecher, Selfiecam und Näherungssensor befinden sich also in einer Einkerbung am oberen Bildschirmrand. Dennoch wurde der Fingerabdruckscanner auf der Vorderseite belassen, aber deutlich schmäler gemacht.

Die Platzierung ist freilich Geschmackssache, sie ermöglicht jedenfalls eine flotte Entsperrung, wenn das Handy etwa auf dem Tisch liegt. Der schmalere Sensor ist allerdings etwas schwieriger zu "bedienen", was gelegentliche Fehlversuche provoziert. Das Gehäuse ziert ein matter Rahmen, die verglaste Rückseite gibt sich dafür als sehr reflektiver Fingerabdruckmagnet. Die knallige Farbgebung gefällt.

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Gutes Display

Die Displaydiagonale des LC-Panels ist von einst 5,15 auf 5,84 Zoll gewachsen. Im 18,7:9-Format kommt es nun auch auf eine etwas höhere Auflösung von 2.280 x 1.080 Pixel. Trotz der größeren Diagonale fällt das Handy mit 149,6 x 71,2 x 7,7 Millimeter nur minimal höher, aber deutlich schmäler und dünner aus, als noch das Honor 9. Der Bildschirm liefert satte Farben und hohe Helligkeit, die Wiedergabe (abseits der Schwarz-Problematik) spielt fast auf dem Niveau einer OLED-Lösung.

Die Lautstärkewippe und der Ein/Aus-Schalter bleiben an gewohnter Position auf der rechten Seite. Links sitzt der SIM-Slot, oben ein Infrarot-Modul, unten der USB-C-Port (USB 2.0) sowie der Klinkenstecker, der im Gegensatz zum Huawei P20 erhalten wurde.

Gute Performance

Das P20 ist auch der naheliegendste Vergleich zum Honor 10, das nach dem Mate 10 und eben jenem P20 den dritten Einsatz der beinahe gleichen Hardware bedeutet. Unter der Haube steckt Der Kirin 970 aus Eigenproduktion der Tochterfirma Hisilicon. Er bringt eine "Neural Processing Unit" mit, die durch künstliche Intelligenz etwa der Kamera assistiert und durch Motiverkennung die Einstellungen automatisch anpasst.

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Gepaart wird er in der Europa-Variante mit vier GB RAM sowie 64 oder 128 GB Speicher. Die hier getestete, chinesische Ausgabe bringt sechs GB RAM mit. In der Praxis dürfte der Unterschied nur selten spürbar sein. Im Allroundbenchmark Antutu kommt das Handy auf etwa 198.000 Punkte und spielt damit leistungstechnisch auf dem Level des Samsung Galaxy S8. Die Performance entspricht also nicht dem aktuellen Snapdragon 845 von Qualcomm, sondern eher dem Modell 835 aus dem Vorjahr. Auch dieser erfüllt allerdings immer noch alle Ansprüche problemlos.

Das Benchmarkergebnis setzt sich auch gut in der Praxis um. Apps starten schnell, auch grafisch anspruchsvollere Games laufen flüssig. Zu bemerken ist allerdings bei längerer, höherer Last eine deutliche Wärmeentwicklung im oberen Bereich der Rückseite, die sich unangenehm anfühlt. Während Apps performant laufen, kommt es auf der Systemoberfläche des auf Android 8.1 basierenden "EMUI"-Systems gelegentlich zu Mikrorucklern. Das könnte der Tatsache geschuldet sein, dass Huawei mit Anpassungen nicht gerade zaghaft war.

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Neue Navigation

Puristen können den Startbildschirm mit entsprechenden Themes auf "Vanilla Look" trimmen und den Notch mit einem schwarzen Balken "verstecken". Auch ein Appdrawer lässt sich zuschalten. Hatte das Honor 9 noch eigene kapazitive Tasten für "Zurück" und den Appmanager, so muss man sich nun standardmäßig mit Touchgesten behelfen. Ein kurzer Druck auf den Fingerabdruckscanner bedeutet nun "Zurück", ein langer führt auf den Homescreen. Ein seitlicher "Wisch" zeigt nun die laufenden Programme an. Es können stattdessen aber auch auf der Unterseite die klassischen Navigationsbuttons des Android-Systems eingeblendet werden.

Wischt man nach oben, so startet in der China-Ausgabe der Sprachassistent HiVoice, der allerdings nur Chinesisch kann. Die Google-App ist zwar durch den Händler vorinstalliert worden, ebenso auch der Play Store, eine Einrichtung des "Okay, Google"-Sprachbefehls war allerdings nicht möglich. Die App meldete dabei einen nicht näher definierten Fehler mit dem Mikrofon. Ob sich dafür eine Lösung findet und inwieweit sich das auf Systemupdates auswirken könnte, lässt sich aktuell nicht beantworten. In der Euro-Version ist der Google Assistant von Haus aus mit dabei, dort sollten derlei Probleme nicht vorkommen.

Schnittstellentechnisch ist das Honor 10 fast State-of-the-Art. Es unterstützt LTE, ac-WLAN bei guter Empfangsstärke. NFC ist auch an Bord, beim Bluetooth-Support liegt man mit Version 4.2 aber eine Generation hinten (wenngleich es bislang nur wenig Bluetooth 5.0-kompatible Geräte im Consumer-Bereich gibt). Es gibt zwei SIM-Slots, eine Speichererweiterung ist nicht möglich.

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Großer Schritt für die Hauptkamera

Herzstück, auch in der Werbebotschaft, ist freilich wieder einmal die Kamera. Hier arbeitet ein Farbsensor mit 16 Megapixel (f/1.8) mit einem 24-MP-Schwarzweißsensor zusammen. Dazu gibt es einen Phase Detection-Autofokus, LED-Blitz (allerdings kein Dualtone mehr) und Bildstabilisierung, für welche künstliche Intelligenz bürgen soll. Das "Leica"-Branding und ein paar Zusatzeffekte für die Kamera-App, bleiben aber dem P20 vorbehalten. Mit dabei ist aber ein hybrider Zweifach-Zoom und ein normaler Zeitlupenmodus (120 Bilder pro Sekunde.

Als Fotohandy schlägt sich das Honor 10 gut und ist dem Huawei P20 Pro weitgehend ebenbürtig. Allerdings fehlen Superzeitlupe und Fünffach-Zoom, die aber auch die reguläre Ausgabe des P20 nicht mitbringt. Dieses hat allerdings eine optische Bildstabilisierung an Bord und ist deshalb für Fotos Abends und Nachts die bessere Wahl.

Andererseits ist die Lowlight-Performance des Honor 10 trotzdem passabel und ein deutliches Upgrade zum Honor 9. Auch unter guten Bedingungen fällt der Unterschied teils deutlich auf, obwohl das 9er an und für sich gut ausgestattet ist. Allgemein reagiert die Kamera flott und auch bei schlechteren Tageslichtbedingungen und unter Kunstlicht gelingen die meisten Fotos gut.

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Upgrade für Selfiecam

Die Kamera-App bietet das gewohnte, dezent von iOS inspirierte Interface und eine Reihe von Aufnahmemodi. Auch hier gibt es allerdings keine automatische HDR-Verwendung oder die Möglichkeit, diesen Modus schnell zuzuschalten. Stattdessen muss man über die Modiübersicht in einen eigenen Modus wechseln. Wer gerne alles manuell anpasst, kann dies wie gehabt im Profi-Modus tun.

Eine klare Verbesserung zum Vorgänger ist auch die Selfiekamera. Statt der "okayen", aber etwas farbarmen 8-MP-Kamera gibt es nun einen 24-MP-Sensor, der ein kontrastreicheres Bild liefert – freilich auch von KI unterstützt.

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Ordentliche Akustik und Akkulaufzeit

Akustisch lässt sich dem Honor 10 kein Vorwurf machen. Die Musikwiedergabe über den Lautsprecher ist für ein Smartphone absolut brauchbar und ausreichend laut. Problemfrei funktioniert auch die Wiedergabe via Kopfhörerklinke. Klanglich ordentlich funktioniert auch Telefonie. Man selbst ist für den Gesprächspartner bei normalem Hintergrundlärm klar und deutlich zu verstehen. Auch umgekehrt gibt es kein Verständigungsproblem.

Soweit im Rahmen der Testzeit eruierbar, schlägt sich auch der Li-Po-Akku mit 3.400 mAh gut. Auch bei intensiver Verwendung sollte zumindest ein Tag mit etwas Reserve drin sein, ehe das Gerät wieder mit Strom gefüttert werden sollte. Huawei verspricht eine weiter verbesserte Schnellladefunktion, die den Ladestand binnen 24 Minuten von null auf 54 Prozent heben kann.

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Fazit

Die Europa-Version des Honor 10 wird für 399 Euro (64 GB) bzw. 449 Euro (128 GB) verkauft und ist damit im Vergleich zum Vorgänger sogar um 30 bzw. 20 Euro günstiger ausgefallen. Das entspricht zwar nicht dem Schnäppchenpreis, den einst das OnePlus One hatte, macht das Handy der Huawei-Tochter bei der aktuellen Preislage zu einer sehr interessanten Alternative.

Wer kein Gerät der absoluten Topliga braucht, die aktuell bei 600 Euro aufwärts angesiedelt ist, sollte das Honor 10 auf jeden Fall in Betracht ziehen. Insbesondere, wenn man mit dem P20 liebäugelt, macht der klar niedrigere Preis das Smartphone trotz kleinerer Abstriche schmackhaft. Es ist einer der letzten "Flaggschiff-Killer". (Georg Pichler, 27.05.2018)

Testfotos

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Tageslicht
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Vergleichsfoto: Honor 9
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Tageslicht, Gadsenfoto
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Gemischte Lichtsituation
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Abgeschwächtes Tageslicht
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Kunstlicht
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Schwaches Kunstlicht
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Vergleichsfoto: Honor 9
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Frontkamera
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Nachtsituation
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